vonMesut Bayraktar 29.09.2018

Stil-Bruch

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Das Stuttgarter Staatstheater Schauspiel hat am vergangenen Wochenende die Spielzeit 2018/2019 eröffnet – Was erwartet uns mit?

Allerorts hat die Schauspielsaison begonnen, außer im Staatstheater Stuttgart, obwohl die neue Spielzeit letztes Wochenende mit dem neuen Intendenten und dem neuen Ensemble gefeiert wurde. Nach dem Hin und Her von Armin Petras, der schließlich zur Überraschung vieler (oder auch nicht?) vorzeitig sein Posten als Intendant durch ein Abgang mit Spektakel geräumt hat, übernimmt nun Burkhard C. Kosminski das Ruder. Kosminski ist bekannt für Souveränität im Schauspiel und Mut für Neues. Er studierte Regie und Schauspiel in New York City am Lee Strasberg-Institute und am William Esper-Studio. Als Regisseur arbeitete er u. a. an der Berliner Schaubühne am Schauspiel Frankfurt, Theater Dortmund sowie am Staatsschauspiel Dresden. Von 2001 bis 2006 war er leitender Regisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit Beginn der Spielzeit 2006/2007 war er Schauspieldirektor, seit Mai 2013 war er Schauspielintendant und Betriebsleiter am Nationaltheater Mannheim. Außerdem war er seit 2006 künstlerischer Leiter der Internationalen Schillertage am Nationaltheater Mannheim. Zusammen mit Matthias Lilienthal bildete er die Festivalintendanz bei Theater der Welt 2014 in Mannheim. Als Schauspieler trat Burkhard C. Kosminski unter anderem in den Filmen Night Train to Venice, The Deflowering und Multiple Futures auf. Nach Stuttgart ist also ein Mann mit Format und viel Erfahrung gekommen. Wir hoffen, dass er hier ebenso das Publikum begeistert, indem sein Haus dem Publikum auf der Bühne die Vorgänge hinter den Vorgängen zeigt.

Die Spielzeit beginnt am 16. November 2018 mit Vögel (DSE) von Wajdi Mouawad, eine Familiensaga vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts, der mit der Vitalität antiker Tragödien verbunden wird. Dass die Spielzeit und Intendanz Kosminskis mit diesem und keinem klassischen Stück beginnt, ist ein Zeichen der Hoffnung auf zeitgenössisches Theater im traditionsgebundenen Stuttgart. Die Regie übernimmt Kosminski persönlich.

Hierauf folgt das berühmte Orestie nach Aischylos am 17. November 2018, bearbeitet und Regie von Robert Icke. Ein Stück, das seither die gesamte Geschichte im Okzident begleitet und Verzweiflung wie Zuversicht gestreut hat. Was wird die Inszenierung von Icke in Stuttgart streuen? Daneben folgt eine Palette eingreifender Dramatik: Die Weber von Gerhart Hauptmann am 12. Januar 2019, das letztes Jahr im Thalia Hamburg für Furore sorgte; Die sieben Todsünden von Kurt Weill und Bertolt Brecht am 02. Februar 2019, das sicher ein Höhepunkt des größten Drei-Sparten-Hauses Europas sein wird; Wolken.Heim. von Elfriede Jelinek am 25. Mai 2019, die Stücke schreibt, welche für ihre Wucht und Provokation bekannt sind; Jugend ohne Gott von Öden von Horvath am 25. November 2018, das heute als Jugend in der Postmoderne übersetzt werden kann; Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt am 22. Juli 2019, das ebenso nach dem Nihilismus wie nach der Eschatologie der Technik und Wissenschaften fragt, ohne stocksteif und langweilig zu werden; Romeo und Julia vom unsterblichen Shakespeare am 24. November 2018, das, obwohl Liebesgeschichte, als Sozialtragödie die Grenzen der Liebe im Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse zementiert; und schließlich Medea von Franz Grillparzer am 14. Dezember 2018, Der Menschenfeind von Molière am 23. Februar 2019 und Der goldene Topf von E.T.A. Hoffmann am 18. Mai. 2019.

Hinzu kommen Stücke wie Die Abweichungen (UA) von Clemens J. Setz, Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel von Theresia Walser, Der gestiefelte Kater nach dem Märchen der Gebrüder Grimm, Hey (UA) von Nis-Momme Stockmann, Bernardo Albas Haus von Federico Garcia Lorca, Ein Projekt des Europa Ensembles (UA) von Oliver Frljic, Merlin oder das wüste Land von Tanker Dorst, Thaddäus Troll (UA) von Gernot Grünewald und 100 Songs (DSE) von Roland Schimmelpfennig.

Es wird also spannend. Im Spielzeitheft spricht sich Kosminski dafür aus, dass für ihn das Schauspiel Stuttgart integraler Bestandteil der Stuttgarter Stadtgesellschaft sei, „eine Plattform für Fragen und konstruktiven Dialog.“ Wir werden sehen, inwiefern er das Theater zu einer Agora Stuttgarts öffnen kann und wird und welchen Teil der Stuttgarter Stadtgesellschaft er mobilisieren wird: die aufkeimenden, jungen, vitalen, erneuernden Kräfte oder die altgebackenen, fachlangweiligen, kulturkulinarischen, theaterjesuitischen Silberkränze.
„Als Frage ohne Frage und Frage hinter der Frage“ werden wir oft der Formulierung WARUM DENN NICHT WARUM begegnen, wie Kosminski ankündigt. Ein entsprechendes Banner flattert bereits vor den Stuttgarter Toren theatralischer Hochkultur. Wird er aber darauf auch den Willen zum DARUM DENN DARUM folgen lassen? Außerdem ist das Autorentheater eine „Herzensangelegenheit.“ Das liest sich gerne. Wir hoffen, dass es nicht nur „Herzenansgelegenheit“ bleibt, sondern zu einer Gelegenheit für junge Autoren kommt, die den Staub und Glitzer der Bühnen mit sozialen Tatsachen und Wirklichkeit ersetzen. Schließlich will Kosminski die Frage stellen: „Wem gehört die Stadt?“, eine Frage die in allen Theaterspielzeiten und Theaterhäusern der Republik inflationär gestellt wird. Sie hört sich demokratisch an und lässt gleichsam die Radikalität, mit der man diese Frage angehen müsste, verschwinden. Ob Kosminski die Frage im Sinne eines kulturpolitischen Instititutionalismus oder mit der Gründlichkeit stellt, wie sie derzeit in der Berliner Volksbühne die Gemüter erhitzt – das wird sich freilich zeigen. Wie dem auch sei, wir freuen uns auf den neuen Intendanten, die neue Spielzeit und das neue Programm und wünschen viel Erfolg.

Toi, toi toi
ruft der Matrose
Und der Kapitän erwidert
Ahoi!

 

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