vonMesut Bayraktar 30.10.2020

Stil-Bruch

Blog über Literatur, Theater, Philosophie im AnBruch, DurchBruch, UmBruch.

Mehr über diesen Blog

Man hatte Zeit – Zeit, um eine wirksame Strategie zur Ausrottung des Virus zu entwickeln und effektive Präventivmaßnahmen gegen die Seuche einzuleiten, nämlich über den Sommer, z.B. mit massivem Ausbau des Gesundheitswesens durch Personal einschließlich Lohnerhöhungen.

Man wusste, dass eine zweite Coronawelle im Herbst kommen wird. Man wusste, dass Mediziner und Pflegekräfte in ihren Krankenhäusern immer wieder seit Jahren den Mangel an Personal anzeigten. Man wusste, dass jüngst im Tarifkonflikt mit kommunalen Arbeitgeberverbänden Arbeiterinnen und Arbeiter durch ihren Streik eben u.a. für diese Forderungen kämpften und auf die akute, ernste, gefährliche Lage verwiesen.

Doch wieder werden wie im Frühjahr planlose Maßnahmen erlassen, die statt von einem Sozialplan mit leeren Worten an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen begleitet werden. „Nationale Kraftanstrengung“, „Vernunft und Solidarität der Menschen“, „wir wissen, was wir den Menschen zumuten“ – Appelle und Phrasen, die Taten nicht ersetzen. Das gehört zum unsozialen Durchwurschteln der Merkel-Politik.

Ein Sozialplan hieße zum Beispiel den Verdienstausfall von Gering- und Normalverdienern durch Besteuerung der reichen Klassen voll und schuldenfrei zu ersetzen, damit kein Kellner, kein Imbissbetreiber, kein Kinokassierer, kein Student und Schauspieler und Musiker ins Elend fallen muss. Man kann nicht von unteren Klassen Verständnis für Corona-Maßnahmen erwarten, die gleichzeitig den ökonomischen Boden unter den Füßen der Arbeitenden wegreißen, weil der Staat weder imstande noch gewillt ist, den maßlosen Profit des Groß- und Finanzkapitals anzutasten.

Ich nehme das Virus sehr ernst. Ich nehme aber auch sehr ernst, dass ich und millionen weitere mit ihm allein gelassen werden, während eine handvoll asozialer Geldsäcke ihre Taschen im Umweg über Kurzarbeit, Subventionen, Stellenabbau, Spekulation und Ausbeutung füllen – durch uns.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/stilbruch/2020/10/30/wenig-verstaendnis/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert