vonCaro 07.04.2016

Fotoblog Streetart

Geklebtes, Geschriebenes, Gesprühtes – es gibt Vieles, was die Straßen der Stadt erobert. Hier gibt es Fotos davon zu sehen.

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„…mit der vielleicht naiven Hoffnung, dass sich der Eine oder Andere doch noch ändert“

Heute gibt es hier endlich mal wieder ein Interview! Danke an LAPIZ für die Geduld und all die Mühe. Und Euch allen wünsche ich viel Spaß beim Lesen und inspiriert werden! Hier geht es zur Website von Lapiz.

Lapiz-Ferryman

Foto: LAPIZ. „Ferryman“. Installation beim 40Grad Festival in Düsseldorf.

1. Hallo. Wie heißt Du, bzw. welchen Namen verwendest Du, und hat der eine Bedeutung?

Hallo, ich arbeite unter dem Namen ‘Lapiz’, spanisch für Bleistift. Der Name war ein Spitzname aber er passt auch gut zu meiner Kunst, zum Einen arbeite ich gerne mit Grautönen, zum Anderen weil ich Dinge beschreiben und ausdrücken möchte.

2. Wohnst Du in Berlin? Wo bist Du aktiv? Wo können Deine Kunstwerke gesichtet werden?

Ich wohne nicht in Berlin und bin erst vor Kurzem wieder in Deutschland gelandet. Ich reise viel herum, immer auf der Suche nach Wänden und um auf Festivals usw. zu malen. In Deutschland kann man meine Sachen vor allem in München, Hamburg, Köln, Celle und Bad Harzburg sehen. Ansonsten habe ich viel in Buenos Aires (Argentinien) vor allem in den Stadtteilen Palermo und San Telmo gemalt, in Neuseeland, Kanada, Schweden usw. Das größte Bild befindet sich in der dänischen Stadt Svendborg, wo ich mit ein paar Freunden ein Trockendock verschönert habe.

Lapiz-ColorExplosion

Foto: LAPIZ. „Colour Explosion“ – München

3. Auf Deiner Website habe ich gesehen, dass Du hauptsächlich mit Schablonen arbeitest. Warum? Welche Materialien verwendest Du sonst auch gerne?

Ich male am liebsten mit Schablonen wegen der leichten Reproduzierbarkeit. Oft male ich ein Bild mehrmals, speziell wenn das Thema mir sehr am Herzen liegt.
Was mir an der Schablonenkunst gefällt, ist auch, dass sich die Arbeit in verschiedene Schritte aufteilt: zum Einen skizziere ich die Idee erst mit Bleistiften, Acryl, Filzstiften usw., um einen Eindruck zu bekommen wie das Motiv wirkt, danach kommt die sehr lange Vorbereitungszeit, also das Anfertigen der Schablonen und am Ende eine vergleichsweise kurze Zeit an der Wand. Dabei kann ich mich auch immer weiter entwickeln. Am Anfang habe ich nur mit kleineren Wheatpastes gearbeitet, wobei die Schablonen auf Zeitungspapier gesprüht wurden, die dann schnell bei Nacht und Nebel an die Wand geklebt wurden. Mittlerweile sind die Arbeiten größer und komplexer geworden, dadurch bevorzuge ich das direkte Arbeiten an der Wand.
Abgesehen von Schablonen arbeite ich auch viel mit Siebdruck, welche ich auf meiner Homepage  verkaufe.

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Foto: LAPIZ. „Maslow 3.0“ – Konstanz

4. Deine Kunst ist offensichtlich politisch motiviert. Warum hast Du ausgewählt, Deine Kunst im öffentlichen Raum zu zeigen? Ist das an sich schon eine politische Aktion? Was möchtest Du den Betrachtern mitteilen?

In vielen Ländern (gerade in den Industrienationen) ist es ja ein krimineller Akt oder wird als kindliche Rebellion angesehen, wenn jemand ein bisschen Farbe auf eine Wand klatscht. Für mich ist es eher eine Demonstration meiner Meinungsfreiheit, eine Art Ventil das herauszutragen, was mich beschäftigt. Ich sehe sehr oft Menschen, die sich über irgendeinen Blödsinn aufregen oder geistesabwesend durch das Leben streifen, diese möchte ich aus ihrer Lethargie herausreißen und sie dazu bringen über ihre Umwelt nachzudenken und ihr Tun zu reflektieren, mit der vielleicht naiven Hoffnung, dass sich der Eine oder Andere doch noch ändert. Der öffentliche Raum ist dazu das Medium den normalen Menschen auf der Straße zu erreichen und nicht nur ein ausgewähltes Fachpublikum in einer Galerie.

LapizUncleSam

Foto: LAPIZ.

Lapiz-Terrorists

Foto: LAPIZ. „Terrorists“ – Vancouver, Kanada

Kannst Du dieses Motiv etwas genauer beschreiben?

‚Terrorists‘ spielt mit der Propaganda des Wortes und bezieht sich auf den Verlust der persönlichen Freiheit. Jeder ausländischer Bürger, der nur durch die Transitzone der USA reist, muss seine Fingerabdrücke scannen lassen. ‚Terrorists‘ zeigt Fingerabdrücke mit den Gesichtern von Nelson Mandela, Osama Bin Laden und einem unbekannten Individum, das Wort ‚Terrorist‘ ist darunter geschrieben. Jemanden als Terrorist zu bezeichnen ist sehr subjektiv. Für die meisten Menschen ist Mandela eine Legende, ein Kämpfer für den ANC, Gewinner des Friedens-Nobelpreises und Präsident von Südafrika, aber für das Apartheid-Regime war er sicherlich ein Terrorist der für Jahrzehnte weggesperrt wurde. Für die westliche Welt war Bin Laden ein Terrorist, aber für andere war er es nicht. In Mittelamerika konnte man T-Shirts mit seinem Konterfei kaufen, diese Menschen waren keine Islamisten, aber begrüßten jeden, der die USA herausforderte. Die Grenzen zwischen ‚gut‘ und ‚böse‘ sind nicht klar, das Einführen eines Fingerabdruck-Scans kann aus einem normalen Menschen einen Terroristen machen.

5. Aus aktuellem Anlass wollte ich Dich noch zu Deinem Stencil fragen, das Du nach den Anschlägen in Paris gemacht hast. Was sieht man da? Warum hast Du dieses Motiv ausgewählt? Würdest Du das gleiche Stencil auch in Brüssel kleben gehen?

Was mich an Paris sehr geschockt hat waren die Reaktionen nach den Anschlägen im November 2015. Wie selbstverständlich sich Menschen damit einverstanden erklären, dass ihre Emails durchsucht und ihre persönlichen Daten gespeichert werden. Nach den Attacken in Paris, stimmten 84 % der Franzosen (laut einer Umfrage von LePoint) zu, einen Teil ihrer persönlichen Freiheiten zu verlieren, um dadurch mehr Sicherheit zu bekommen. Daraufhin habe ich eine verzweifelte Freiheitsgöttin (angelehnt an die Marianne von Eugene Delacroix) gemalt, die schluchzend einen Pinsel hochhält mit dem sie ‘Liberté’ (Freiheit) geschrieben hat. Vielleicht ist sie verzweifelt, dass die Freiheit, welche die westliche Welt so schätzt, der Angst Vorrang lässt, dass sich die Menschen für eine vermeintliche Sicherheit auf Kosten der Freiheit entscheiden.
Ich würde dieses Motiv auch in Brüssel malen und überall dort, wo die persönlichen Freiheiten immer mehr eingeschränkt werden.

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6. Du hast ja auch bei einigen Ausstellungen mitgemacht. Machst du dafür extra Kunstwerke, die anders sind, als wenn Du sie im öffentlichen Raum ausstellst? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?

Das kommt sehr auf die Ausstellung an. Ich habe so eine Hitliste in meinem Notizbuch, mit Skizzen der wichtigsten Themen. Ich versuche dann diese auch auf Festivals und Ausstellungen zu repräsentieren und wandele sie vielleicht ein bisschen ab oder gleiche sie an. Aber wenn ich eingeladen werde, wissen die Leute anhand meines Stils auch, dass ich kein Friede-Freude-Eierkuchen-Bild malen werde. Teilweise bereite ich auch Motive speziell für eine Ausstellung vor. Beim 40 Grad in Düsseldorf zum Beispiel konnte ich einen ganzen Raum gestalten und habe dafür extra Motive gewählt, die um die Ecken gingen, damit die Betrachter um die Ecke denken mussten, um einen Gesamteindruck zu bekommen.

Lapiz-Rimbaud

Foto: LAPIZ. ‚Rimbaud‘ – Buenos Aires, Palermo

7. Ich persönlich finde es ja immer spannend, mehr zum Kontext eines Kunstwerkes herauszufinden. Ab und zu hilfst Du den Betrachtern Deiner Kunst, den politischen und sozialen Kontext nachvollziehen zu können (zB. durch Titel/Slogans), oft sind die Motive ja auch sehr klar „formuliert“. Wie entscheidest Du Dich für ein Motiv? Ist das Feedback der Betrachter_innen relevant für Dich?

Die besten Motive sind kurz und prägnant, welche die Leute schnell erreichen und einen Punkt rüberbringen. Ich denke, das ist auch das Schwierigste, etwas so darzustellen, dass es (schnell) einleuchtet. Ich muss die Menschen erst einmal aufscheuchen, damit sie hingucken, dadurch sind viele Motive krass, aggressiv oder “furchtbar”. Das Feedback ist dabei enorm wichtig, ich will ja, dass die Menschen verstehen worauf ich hinaus will. Sehr spannend ist es, wenn sich ein Dialog entwickelt, weil die Betrachter_innen etwas an dem Bild entdecken, was ich vorher selber gar nicht gesehen habe.

Lapiz - likes dont feed

Foto: LAPIZ. „Likes don’t feed“ – Bad Harzburg, Niedersachsen.

8. Magst du eine Anekdote aus Deinem Leben als Streetartist erzählen?

Auf der Straße zu malen ist immer etwas ganz Besonderes. Man steht da an einer Wand und malt vor sich hin. Eigenartigerweise sehen einen die meisten Menschen gar nicht, selbst wenn man auf einem Gerüst oder einer langen Leiter steht. Viele laufen auch an einem vorbei und es ist, als ob sie einen ausblenden. Wenn ich Auftragsarbeiten mache, rufen die Nachbarn oft die Polizei, was ich sehr schade finde, da ich mich immer freue, wenn mich jemand freundlich anspricht. Ich grüße immer die Passierenden, damit sie sehen, dass ich nicht gefährlich und ansprechbar bin. Die schönsten Momente sind aber gerade die Kinder. Sie haben keine Scheu und fragen direkt heraus :”Was machst du da?” Ich versuche ihnen dann zu erklären, was das alles bedeutet und es wäre schön, wenn die Erwachsen auch so reagieren würden und einfach mal „Hallo“ sagen und ins Gespräch kommen.

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Foto: LAPIZ. „Corporate Bubbles“ – Paris, Frankreich (das war zur Brandalism-Aktion während des COP21)

9. Möchtest Du noch etwas hinzufügen?

Ich lade alle dazu ein mit offenen Augen durch ihre Umgebung zu laufen, sich mal umzudrehen, mal hoch zu schauen und mal runter. Es gibt überall soviel Kunst, vielleicht hat jemand was auf ein Dach gemalt oder es steht etwas an eine Wand gelehnt, teilweise werden Werbungen ausgetauscht oder verändert, es gibt viele tolle Sticker und Streetart muss nicht das gigantische Mural sein, selbst viele der verhassten Tags haben eine ganz eigene Ästhetik und wenn man darauf achtet, werden sie zu alten Bekannten, die man immer wieder trifft.

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Foto: LAPIZ. „Tehuelches“ – Buenos Aires, Argentinien („Der Stadtteil Palermo, das ist so ein hipster Stadtteil mit vielen Touristen, deswegen habe ich auch Ureinwohner dort gemalt, ist aber eine längere Geschichte“).

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https://blogs.taz.de/streetart/2016/04/07/interview-mit-lapiz/

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