von 16.03.2011

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Von Jan-Hendrik Cropp, Teilnehmer am Workshop der taz Panter Stiftung

Welchen Journalismus brauchen wir? Und: Taugt die taz dafür? Diese grundsätzlichen Fragen gingen mir während meiner Zeit bei der taz immer wieder durch den Kopf. Von einer „linken, radikalen Bewegungszeitung“ hin zum „unabhängigen Journalismus“. Wie das Vokabular, so änderte sich wohl auch die Zeitung. Viele der alt angestammten Leser_Innen wollten mal eine „Alternative zu den bürgerlichen Medien“ und sind dann wohl doch, mehr oder weniger bewusst, selbst in die Bürgerlichkeit geschliddert. Große Teile der Gründer_Innen-Redaktion haben die taz als „Journalistik-Schule“ genutzt und arbeiten nun bei Stern oder Spiegel und lesen die Süddeutsche. Sie basteln heute, wie viele Ex-Radikale, so lange an ihren Lebensgeschichten herum, bis sie ihnen einigermaßen kohärent erscheinen. Es zeigt die allgegenwärtige Schwierigkeit auf, die eigenen Ideale zu bewahren und sich seinen Ansprüchen langfristig gerecht zu werden.

Ein Umgang mit den Frustrationen über die prekäre Situation der Zeitung war die Gründung der Genossenschaft an der sich wohl viele der „Alte“ beteiligt haben dürften. Damit wurde der Versuch unternommen die Eigentumsverhältnisse zu demokratisieren und die Mitwirkung von außen zu stärken. Eine einmalige Initative in der BRD, die sicherlich in die richtige Richtung weist und sich mit anderen Projekten solidarischer Ökonomie vernetzen könnte.

Zwar herrschen heute Hierarchien und Delegation in Genossenschaft und Redaktion vor. Über deren Zusammensetzung darf aber wenigstens von Genoss_Innen und Redakteur_Innen basisdemokratisch befunden werden. Dies ist vermutlich das Ergebnis von Frustrationen mit endlosen, strukturlosen Plenas und mangelnder Übernahme von Verantwortung in der Pionierzeit. Das diese fehlende Organisationsfähigkeit mit Hierarchie und Delegation beantwortet wird, ist gängige linke Praxis. Schade, dass die taz da keine Ausnahme darstellt. Denn stattdessen hätte man auch an der eigenen Methodik zur kollektiven Entscheidungsfindung arbeiten und klarer Verantwortlichkeiten verteilen können.

Von „kritischer Öffentlichkeit“, „Menschenrechten“, „Stimme derer, die gegenüber den Mächtigen kein Gehör finden“, „demokratische Rechten jedes einzelnen Menschen“, Position beziehen „gegen jede Form von Diskriminierung“, „Stereotype“ und „Konformismus“ sowie der „Freiheit der Andersdenkenden“ ist im Redaktionsstatut die Rede. Das hört sich immernoch nach „unabhängigem“ und deshalb politisch, linkem Journalismus an. Journalismus, der Betroffene zu Wort kommen lässt. Journalismus, der Position bezieht. Und der kompromisslos die gesellschaftlichen Zustände offen legt. Das klingt nach Politik und nicht nach dem vielbeschworenen „Lebensgefühl“, das die taz neuerdings verkörpern soll. Die taz ist gewachsen. Die größere Leser_Innenschaft ist aufgeschlossen und kritisch. Sie braucht kein Lifestyle-Magazin, sondern soliden Journalismus, der die gesellschaftlichen Verhältnisse radikal aufdeckt und Möglichkeiten aufzeigt, sie zum tanzen zu bringen. Daran sollte die taz gemessen werden. Auch wenn dies Ernüchterung mit sich bringt.

Interessant wäre zu erfahren, wer heute für die taz schreibt. Und aus welchen Beweggründen. Sind es immer noch (junge) Radikale, die die gesellschaftlichen Verhältnisse umwerfen wollen und deshalb für einen anderen Journalismus kämpfen? Oder kommen sie von den Journalistik-Schulen dieses Landes und suchen schlicht nach einem „Job“ und nutzen die taz, indifferent, als Sprungbrett zu Spiegel und Springer? Denn so richtig nah an den Statuten scheint die Berichterstattung oft nicht mehr zu sein …

Klar kostet ein solcher Journalismus Geld. Denn Menschen sollten von dem Leben können, wofür sie eine Leidenschaft haben. Da ist es zu begrüßen, dass ein gewisser Pragmatismus in der taz Einzug erhalten hat, um das solide Abo-Fundament als Finanzierung zu ergänzen: (Ökologische) Luxusartikel im taz-Shop an ein wohlbetuchtes, geneigtes Publikum verticken, den Feinden mit Anzeigen das Geld aus der Tasche locken. Klar ist das immer Abwägungssache: Wieviel Politik ersetze ich mit Lifestyle? Wie sehr prägen die Anzeigen das Blatt inhaltlich? Und wie mündig sind die Leser_Innen? Aber wenn ich mit einer Vattenfall-Anzeige fünf vernünftige Recherchen zu Klimagerechtigkeit und Atomfilz finanzieren kann, sollte die Lage klar sein. Alles andere wäre individualisierende und verkürzte Kapitalismuskritik. Geld ist dreckig. Egal wo es her kommt. Da schaue ich doch, dass ich welches unter Bedingungen kriege, für die ich mich am wenigsten verbiegen muss und die mir vielleicht sogar (journalistischen) Freiraum schaffen.

Resümee: In Sinne des Artikels wäre es also zu begrüßen wenn die taz, Springer auf die Frage „Ist es nicht schön, wenn man ein Alter erreicht, in dem man Cocktails trinkt, anstatt sie zu werfen?“ nächstes Mal getrost antworten würde: „Klar wollen wir Cocktails. Und zwar für alle. Dazu dann gleich noch die Brause- und Schnapsfabrik. Und damit wir die kriegen, werden wir darüber berichten warum es Sinn machen könnte, wenn in den richtigen Situationen Cocktails fliegen.“

P.S.: Ein beim Workshop formulierter, aber auf Grund von fehlender Formwahrung (Bericht) und Platzmangel nicht in der Beilage abgedruckter Artikel findet sich hier: „Zensur heißt Paternalismus“

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