vonDetlef Georgia Schulze 17.07.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Teil I. und II. als .pdf-Datei:


http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2024/07/Nicht_schade_und_doch_schade.pdf.

Falls ich noch Tippfehler finde, werde ich auch die .pdf-Datei noch mal austauschen.


 

Im gestrigen Teil I. hatte ich aufgezeigt, daß mittlerweile von einer deutschen Traditionen von Verboten von Organisationen, die (fast) nichts anderes machen, als Medien herauszugeben oder zu verlegen, gesprochen werden muß (1961: Verlag „Hohe Warte“; 2008: Roj TV; 2016: Altermedia; 2017: „linksunten.indymedia“ bzw. vielmehr gemeint: „IMC linksunten“; 2019: Mesopotamien Verlag; gestern: Compact-Magazin GmbH).

Angesichts dieser Entwicklung hatte ich zwei Fragen aufgeworfen:

1. Ist in Bezug auf Organisationen, die sich hauptsächlich oder ausschließlich in Form des Verlegens oder Herausgebens von Medien betätigen, Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz überhaupt einschlägig? Oder sind insoweit vielmehr die Medienfreiheiten aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz und deren spezifischen Schranken in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz sowie die Schranken-Schranke des Zensurverbots aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 3 Grundgesetz die vorrangige lex specialis?

2. Falls derartige Verbote von Medienorganisationen (1.) grundsätzlich und (2.) im jeweils konkret in Rede stehenden Fall zulässig sind – welche Konsequenzen hat dies für die Medien dieser Organisationen? Dürfen jene Medien künftig von Einzelpersonen (die – wie gesagt – vereinsrechtlich nicht verboten werden können) und/oder von nicht-verbotenen Vereinen herausgegeben bzw. verlegt werden – jedenfalls, sofern das Recht an den Titeln jener Medien nicht – markenrechtlich – zum Vermögen der verbotenen Organisation gehört?

Hier nun meine Antwort auf diese Fragen.

Wie wirkt sich das Verbot von Medienorganisationen auf deren Medien aus?

Die zweite Teilfrage von Frage 2. ist m.E. klar mit „ja“ zu beantworten:

a) Medien sind keine Vereine – also darf gegen sie vereinsrechtlich nicht vorgegangen werden.

Der materielle Unterschied zwischen Medien sowie (Medien verlegenden und/oder herausgebenden) Organisationen

Zwar mag es vorkommen, daß Medien einerseits und deren HerausgeberInnen bzw. Verlage andererseits ein- und denselben Namen haben. Aber weder ist dies zwingend, noch heißt dies, daß das Medium einerseits und der/die jeweilige Herausgeber/inn/en / Verlag andererseits ein- und dieselbe Entität sind. Dies zeigt sich schon daran, daß ein- und derselbe Verlag mehrere Medien verlegen kann; manche Bücher werden auch von mehreren Verlagen gemeinsamen verlegt; auch können Vereine, aber auch Einzelpersonen und nicht vereinsförmig organisierte Personenmehrheiten Medien herausgeben (der Vereins-Begriff des Vereinsgesetzes ist zwar weit, aber nicht grenzenlos: „Wenn drei Kaufleute zusammenarbeiten, sind, grundrechtlich gesehen, auch nur drei Individuen am Werk, und es tritt nicht notwendig ein vierter, kollektiv überwölbender Grundrechtsträger hinzu.“ [Isensee1]).

2019 – zwei Jahre nach dem Verbot – hatte ich (als LeserIn und AutorIn der kollateral-betroffenen Webseite / Internet-Zeitung) beim Bundesinnenministerium beantragt, das linksunten-Verbot (siehe den gestrigen Teil I.) zurückzunehmen2; zur Begründung hatte ich unter anderem ausgeführt (die Hyperlinks in den Fußnote zu folgendem Zitat aktualisiere ich bei dieser Gelegenheit):

„Dieser Unterschied [zwischen BetreiberInnenkreis und Internet-Plattform] wird auch in Abschnitt B. I. (Formelle Verbotsvoraussetzungen / Vereinseigenschaft) [der linksunten-Verbots-Verfügung] konfundiert. Dort heißt es:
‚›linksunten.indymedia ist ein Verein […]. Bei dem Betreiberteam von linksunten.in­dymedia handelt es sich um eine Mehrheit natürlicher Personen“.
In der Tat dürfte es sich bei den BetreiberInnen von linksunten um eine Mehrzahl von Personen handeln; aber die internet-Plattform bzw. internet-Zeitung besteht – ganz genauso wie jedes andere Medium – nicht aus Personen, sondern wird von Personen herausge[ge]ben. Die Personen sind das Subjekt; das Medium ist das Objekt.
Ein Medium besteht aus Papier oder Bits oder Celluloid etc.; ein Verein dagegen aus natürlichen und/oder juristischen Personen.

  • Der Vorwärts, die Parteizeitung der SPD, ist nicht mit der SPD selbst identisch;
  • der Revolutionäre Zorn, das Organ der Revolutionären Zellen, ist nicht mit den Revolutionären Zellen identisch,
  • die FAZ (internet- und Papierausgabe) ist nicht identisch mit den Herren Braunberger, D‘Inka, Kaube und Kohler, sondern sie wird von diesen herausgegeben
    und
  • die HerausgeberInnen der Zeitschrift radikal, mögen diese vereinsförmig organisiert (gewesen) sein oder nicht, sind nicht mit ihrer Zeitung identisch. Denn die HerausgeberInnen bestehen aus Fleisch, Blut und ziemlich viel Wasser; die Zeitschrift dagegen aus Papier und DruckerInnenschwärze. –

Diesen Unterschied zwischen Medien und deren HerausgeberInnen hat auch der Staatsschutzsenat des Bundesgerichtshof in den 1970er und 1990er Jahren anerkannt:
In dem 1995er Ermittlungsverfahren wegen der Zeitschrift radikal sprach auch der Bundesgerichtshof von, ‚Organisation […], die für die Herausgabe und Verbreitung der unregelmäßig erscheinenden linksextermistischen/linksterroristischen Untergrunddruckschrift ‚radikal‘ verantwortlich ist‘ – unterschied also zwischen herausgebender ‚Organisation‘ einerseits und ‚Untergrunddruckschrift‘ andererseits.3
Genauso erkannte der BGH den Unterschied zwischen den Revolutionären Zellen einerseits und dem ‚Organ der revolutionären Zellen’ andererseits (Name des Organs: Revolutionärer Zorn).4
Und ganz entsprechend sind auch die (seinerzeitigen) HerausgeberInnen von linksunten Menschen, die aus Fleisch, Blut und ziemlich viel Wasser bestehen, während das Medium aus ziemlich vielen Bits besteht bzw. bestand.“

Nach der gerade zitierten Passage folgte noch folgende Tabelle:

(u.U. vereinsformig organisierte)

HerausgeberInnen

geben heraus:

Medium

Subjekt

Prädikat

Objekt

SPD

gibt heraus

vorwärts

Revolutionäre Zellen

gaben heraus

Revolutionärer Zorn

Braunberger / D‘Inka / Kaube / Kohler

geben heraus

FAZ

IMC Linksunten

gab heraus

linksunten.indymedia.org

Das Bundesinnenministerium gab meinem Antrag nicht statt (schickte mir nicht einmal einen ablehnenden Bescheid); aber das Bundesverwaltungsgericht schien die Sache – im Rahmen seines Urteils zu der Klage der z. Hd.-AdressatInnen5 des linksunten-Verbot – genauso zu sehen:

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“
(BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 6 A 1.19, Textziffer 33).

Allerdings übersah das Bundesverwaltungsgericht – wie in Teil I. schon kritisiert (siehe bei FN 11 in der .pdf-Datei) –, daß der BetreiberInnenkreis der Subdomain linksunten.indymedia nicht genauso wie sein Medium hieß. Wenn wir dieses Versehen korrigieren, ergibt sich also:

IMC Linksunten

betrieb

die Subdomainy
linksunten.indymedia.org
(der Titel des Mediums lautete genauso wie die URL des Mediums; siehe folgenden screen shot)

Personenzusammenschluß (vielleicht ein vereinsförmiger Personenzusammenschluß)

betrieb

Veröffentlichungs- und Diskussionsportal.

Der älteste überlieferte Zustand der Webseite des Veröffentlichungs- und Diskussionsportal linksunten.indymedia.org:

Schaubild 2:
https://web.archive.org/web/20090206153134/http://linksunten.indymedia.org/

Entsprechend der Tabelle oberhalb des screen shot gilt auch:

Wirtschaftsvereinigung i.S.d. § 17 VereinsG

Medium

(Titel und Untertitel)

Compact-Magazin GmbH

—–

Quelle: BAnz AT 16.07.2024 B1, S. 2

Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH

https://www.faz.net/faz-net-impressum-112096.html

Quelle: https://zeitung.faz.net/
(auf „E-Paper“ klicken)

Beim Blick ins Impressum der FAZ und auf deren Webseite stellen wir außerdem fest:

  • Seit 2019 kam es zu einem Wechsel im HerausgeberInnenkreis der FAZ: Herr D‘Inka schied aus; hinzu kam Carsten Knop.
  • Die Zeitung und deren Webseite existieren aber immer noch.

Quod erat demonstrandum: Medien einerseits und MediumsherausgeberInnen/Verlage sind zweierlei; Medien können ihre HerausgeberInnen überleben; Medien können verkauft werden, Mediums-HerausgeberInnen können wechseln usw.

Auch wenn es den ‚rohen Materialismus‘ überfordern mag, von der Materialität nicht-verkörperter Medien (z.B. Rundfunk) zu sprechen, so wußte doch ein russischer Philosoph und Jurist vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts: „‚Die Materie verschwindet‘ heißt: Es verschwindet jene Grenze, bis zu welcher wir die Materie bisher kannten, unser Wissen dringt tiefer; es verschwinden solche Eigenschaften der Materie, die früher als absolut, unveränderlich, ursprünglich gegolten haben (Undurchdringlichkeit, Trägheit, Masse usw.) und die sich nunmehr als relativ, nur einigen Zuständen der Materie eigen erweisen.“ (LW 14, 260)

Geschult durch Lenin können wir also durchaus von der Materialität nicht-verkörperter Medien sprechen; in Bezug auf verkörperte (z.B.: gedruckte) Medien dürfte der Unterschied zwischen Medien und MedienherausgeberInnen auch rohen MaterialistInnen begreiflich zu machen sein:

Den Herren Braunberger, Kaube, Knop, Kohler die Hände zu schütteln, fühlt sich anders an, als eine Frankfurter Allgemeine Zeitung in die Hand zu nehmen.

Der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH können wir zwar nicht die Hände schütteln, wir können sie auch nicht in die Hand nehmen (nicht einmal auf den Arm nehmen; oder das vielleicht schon ;-)) – aber geschult durch Lenin (LW 14, 261, 260: die „vom menschlichen Bewußtsein“ erkannte „objektive Realität“ muß nicht stofflich sein; die „Materie“ [z.B.: eine juristische Person, die FAZ GmbH] kann „Eigenschaften“ haben, die dem rohen Materialismus un-begreif-lich sind), können wir auch von der Materialität juristischer Personen, von der Materialität von „Vereinen und Gesellschaften“ (Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz6) sprechen.

Der Unterschied zwischen Artikel 9 Absatz 1 und 2 Grundgesetz (Vereinigungsfreiheit und deren Schranken) sowie Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz (Meinungsäußerungs- und Medienfreiheiten sowie deren Schranken)

Dem materiellen Unterschied zwischen Medien einerseits sowie (z.B.: Medien verlegenden und/oder herausgebenden) Organisationen andererseits entspricht der juristische Unterschied zwischen Artikel 5 Absatz 1 und 2 sowie Artikel 9 Absatz 1 und 2 Grundgesetz:

Artikel 5 Absatz 1 und 2 GG

Artikel 9 Absatz 1 und 2

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html

https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html

Deshalb kann ich mir leider nicht verkneifen, an der gestrigen Formulierung von Joschka Buchholz und Max Kolter in der Legal Tribune Online:

„Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat am Dienstag das vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als rechtsextremistisch eingestufte Compact-Magazin verboten. […]. Formal handelt es sich damit um ein Vereins- und nicht um ein Medienverbot. Es bezieht sich auf zwei Gesellschaften, die das Magazin bzw. den Online-Kanal ‚Compact TV‘ ver- bzw. betreiben: die COMPACT-Magazin GmbH und die CONSPECT FILM G“

philosophisch etwas nachzufeilen:

  • Ministerin Faeser mag die Absicht gehabt zu haben, die Zeitschrift „Compact. Magazin für Souveränität“ zu verbieten; sie mag sich auch einbilden, es getan zu haben. (Falls ich noch ein drittes Mal mit Lenin nerven darf: „Wer wüßte aber nicht, daß es in der Politik nicht auf Absichten ankommt, sondern auf Taten? nicht auf fromme Wünsche, sondern auf Tatsachen? nicht auf das, was man sich einbildet, sondern auf das, was wirklich ist?“ [LW 23, 177 – 198 <187>])
  • Objektiv getan hat das Bundesinnenministerium aber Folgendes – es hat verfügt: „1. Der Verein ‚COMPACT-Magazin GmbH‘ einschließlich seiner Teilorganisation ‚CONSPECT FILM GmbH‘ richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. 2. Der Verein ‚COMPACT-Magazin GmbH‘ und seine Teilorganisation ‚CONSPECT FILM GmbH‘ sind verboten und werden aufgelöst.“ (BAnz AT 16.07.2024 B1)“

 

Sie hat also nicht zwei Medien (eine Zeitschrift und einen online-Kanal), sondern zwei Verlage (? – jedenfalls einen Zeitschriften-Verlag und außerdem einen Film-Verlag [?]); nicht zwei Medien, sondern zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung für verboten erklärt und deren Auflösung verfügt. Auch im juristischen Sinne handelt es sich nicht ‚nur‘ „formell“ um ein Vereinsverbot; sondern in diesem7 Sinne sind auch „materiell“ Verbotsgegenstand zwei GmbH, zwei Wirtschaftsvereinigungen – nicht zwei Medien (eine gedruckte Zeitschrift und ein Telemedium).

Daß das Verbot der Verlage deren Medien in Mitleidenschaft ziehen kann, ist wahr, aber nicht Inhalt der juristischen (Verbots)regelung, sondern nur deren – nicht unwahrscheinlicher8faktischer Nebeneffekt: Ohne MediumsherausgeberIn / Verlag, keine Medium. Ohne ProduzentInnen keine Produktion und keine Produkte.

Was heißt das für die Medien, die von den beiden GmbH verlegt bzw. betrieben wurden? Ich komme auf die Frage sogleich zurück.

Stellen wir zunächst noch folgendes klar:

Einzelpersonen sind keine Vereine

b) Einzelpersonen sind keine Vereine (§ 2 Absatz 1 Vereinsgesetz: „Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen […] zusammengeschlossen […] hat“; Mehrheit hier = Mehrzahl)9 – gegen Einzelpersonen darf also auch nicht vereinsrechtlich vorgegangen werden, wie das Bundesverwaltungsgericht in dem Hohe Warte-Fall auch schon entschieden hat:

„Nun kann allerdings eine natürliche Einzelperson nicht nach Art. 9 Abs. 2 GG und den Vorschriften des Vereinsrechts verboten und aufgelöst werden.“
(BVerwG, Urteil vom 23.03.1971 zum Aktenzeichen I C 54.66, Textziffer 34)

Wenn nun das Bundesinnenministerium – egal was die Ministerin beabsichtigt hatte – objektiv nicht die Zeitschrift „Compact. Magazin für Souveränität“, sondern deren Verlags-GmbH verboten hat, dann

  • ist zwar dieser Verlags-GmbH Existenz und Betätigung verboten – und wenn sie sich diesem Verbot widersetzt, machen sich die ausführenden natürlichen10 Personen strafbar (§ 20 Absatz 1 Nr. 1 Vereinsgesetz11) –,
  • aber – abgesehen von Fragen des Eigentumsrechts am Namen „Compact. Magazin für Souveränität“, die ich hier ausblende, ist jedenfalls keiner Einzelperson verboten, künftig die Zeitschrift „Compact. Magazin für Souveränität“ herauszugeben bzw. zu verlegen.

Die Mitgliedschaft in Vereinen ist erst ab Verbot bzw. ab Feststellung, daß ein Verein X „Ersatzorganisation“ eines bereits verbotenen Vereins Y sei, strafbar (Verbots- und Feststellungsprinzip)

c) Gegen bisher nicht-verbotene Vereine darf – unter bestimmten Voraussetzungen – vereinsrechtlich vorgegangen werden:

  • In Bezug auf (andere) Vereine, die ebenfalls einen oder mehrere der drei Verbotstatbestände12 des Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz erfüllen, darf ebenfalls die Auflösung verfügt werden.
  • Außerdem bestimmen § 8 Absatz 1 sowie Absatz 2 Satz 1 Vereinsgesetz:

    „(1) Es ist verboten, Organisationen zu bilden, die verfassungswidrige Bestrebungen (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) eines nach § 3 dieses Gesetzes verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolgen (Ersatzorganisationen) oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen.
    (2) Gegen eine Ersatzorganisation, die Verein im Sinne dieses Gesetzes ist, kann zur verwaltungsmäßigen Durchführung des in Absatz 1 enthaltenen Verbots nur auf Grund einer besonderen Verfügung vorgegangen werden, in der festgestellt wird, daß sie Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist.“
    (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__8.html)

Da nun – wie gesehen – objektiv nicht die Zeitschrift „Compact. Magazin für Souveränität“, sondern deren Verlags-GmbH verboten wurde, ist also nur dieser Verlags-GmbH (und allen anderen Vereinen, deren Verbot und Auflösung schon bei früheren Gelegenheit bestandskräftig verfügt wurde – die sich also ebenfalls nicht mehr betätigen dürfen [egal wie]) verboten, die Zeitschrift „Compact. Magazin für Souveränität“ herauszugeben bzw. verlegen.

Nicht verboten ist aber das Verlegen bzw. Herausgeben der Zeitschrift „Compact. Magazin für Souveränität“ nicht-verbotenen Vereinen. Allerdings: Vereine, die künftig die Zeitschrift „Compact. Magazin für Souveränität“ mit gleicher redaktioneller Linie wie bisher herausgeben bzw. verlegen, gehen das hohe Risiko ein, vom Bundesinnenministerium als „Ersatzorganisation“ des gestern verbotenen Vereins klassifiziert zu werden – und ab diesem Moment ist auch die Mitgliedschaft in der „Ersatzorganisation“ strafbar (sofern die Klassifizierung nicht gerichtlich aufgehoben oder außer Vollzug gesetzt wird).

d) All dies – insbesondere Punkt a) – ergibt sich auch ziemlich klar aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht zum linksunten-Verbot – auch wenn dieser Punkt der Entscheidung sowohl in der medialen Diskussion als auch in der linksradikalen Szene wenig beachtet wurde – ich zitiere noch einmal:

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“
(BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 6 A 1.19, Textziffer 33).

Entsprechend gilt in Bezug auf das gestern verfügte Verbot:

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot der Zeitschrift ‚Compact. Magazin für Souveränität‘, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses als Organisation – also das Verbot der ‚Compact-Magazin GmbH‘, wie es ja in der Verbotsverfügung auch ausdrücklich heißt“.

Schrieb ich gestern also die Unwahrheit? Werden Pressefreiheit und Zensurverbot doch nicht ausgehebelt?

Ich behauptete in den beiden vorgehenden Abschnitte:

  • Objektiv wurde nicht die Zeitschrift „Compact. Magazin für Souveränität“, sondern deren Verlags-GmbH verboten wurde – also auch nur dieser Verlags-GmbH (und allen anderen Vereinen, deren Verbot und Auflösung schon bei früheren Gelegenheit bestandskräftig oder zumindest [weiterhin] vollziehbar verfügt wurde) verboten, die besagte Zeitschrift herauszugeben bzw. zu verlegen.
  • Hinzugefügt sei noch: Ein an Andere als an verbotene Vereine adressiertes Verbot, die Zeitschrift herauszugeben / zu verlegen, (das objektiv nicht erfolgt ist), müßte an den publizistischen Grundrechten dieser Anderen gemessen werden. Nur in Bezug auf verbotene Vereine, ist das Verbot, die fragliche Zeitschrift herauszugeben (oder überhaupt noch irgendetwas zu tun), die notwendig Implikation des Existenzverbotes (siehe zu dieser Implikation oben S. 6 der .pdf-Datei).
  • Folglich ist keiner Einzelperson und auch keinem nicht-verbotenen Verein verboten, künftig die Zeitschrift „Compact. Magazin für Souveränität“ herauszugeben bzw. zu verlegen.
  • Erwähnt sei noch: Die entsprechende Behauptung vertrete ich schon seit langem in Bezug auf das Betreiben der Internet-Plattform/-Zeitung linksunten.indymedia. Wenn ich mir zeitlich und politisch zutrauen würde, den Moderationaufwand allein zu stemmen, und mir technisch zutrauen würde, für den Schutz der Anonymität der LeserInnen und AutorInnen zu sorgen, hätte ich schon längst die Probe aufs Exempel gemacht.

Ist also gar nicht wahr, was ich im gestrigen Untertitel schrieb – mit dem vereinsrechtlichen Verbot von Organisationen, die nichts anderes machen als Medien herauszugeben bzw. verlegen, würden die Pressefreiheit und das Zensurverbot ausgehebelt? (Alle Individuen und alle nicht-verbotenen Vereine behalten die volle Freiheit, die Plattform linksunten.indymedia.org zu betreiben, und/oder Bücher zu verlegen, die früher vom Mesopotamien Verlag verlegt wurden, neu aufzulegen, usw.)

Nun – daß zwischen Medium und Verlag unterschieden werden muß, heißt ja nicht, daß ein solches Verlagsverbot für dessen Medien nicht folgenlos ist… (was schon daran zu sehen ist, daß ich die gerade angesprochene Probe aufs Exemplare bisher nicht gemacht habe):

  • Es müssen sich erst einmal Leute finden, die bereitet sind, diese kollateral-betroffenen Medien bereits verfügter Verlags-Verbote fortzuführen. (Nicht, dass ich politische bedauern würde, wenn sich keine Leute fänden, die Medien der COMPACT-Magazin GmbH und der CONSPECT FILM GmbH fortzuführen; hier geht es nur darum, daß Verlagsverbote durchaus nicht folgenlos für deren Medien sind).
  • Zeit und Fähigkeiten von Individuen sind begrenzt und der Vereins-Begriff des Vereinsgesetzes ist weit. Zwar impliziert nicht jede Kooperation von Individuen sogleich die Bildung eines Vereins. Aber das Risiko, daß Leute, die kontinuierlich etwas zusammen machen, als „Verein“ klassifiziert werden, ist schon nicht gering.
  • Und das Risiko für Vereine, die Medien von verbotenen Vereinen mit gleicher redaktioneller Linie wie bisher herausgeben bzw. verlegen, als Ersatzorganisationen der verbotenen Vereine klassifiziert werden, ist auch nicht gerade klein.

Also: Auch wenn ich auf den Unterschied zwischen Medien und Vereinen und deshalb auf die begrenzte Reichweite von Vereinsverboten hinweise, heißt das nicht, daß die Welt der Pressefreiheit trotz Verbots von Medienorganisationen in Ordnung sei. Es ist schon ein ziemlich scharfes Schwert, das die JuristInnen im Bundesinnenministerium da ausgetüffelt haben… (und mittlerweile – muß gesagt werden – schon ziemlich etabliert haben). Kommen wir daher noch zur zweiten gestern ausgeworfenen Frage:

Ist in Bezug auf Organisationen, die sich hauptsächlich oder ausschließlich in Form des Verlegens oder Herausgebens von Medien betätigen, Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz (oder vielmehr Artikel 5 Absatz 1 und 2 GG) die einschlägige Norm?

Ich tendiere dahin zu sagen, Organisationen, die nur Medien herausgeben oder verlegen (und nur wenige Mitglieder/GesellschafterInnen haben), fehlt die organisations-spezifische Gefährlichkeit, die von Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz vorausgesetzt wird.13

Sehr wohl können solche Organisationen geistig gefährlich sein. Aber für geistige Gefährlichkeit ist Artikel 5 (Medienfreiheiten, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit) und insoweit Artikel 18 Grundgesetz einschlägig. Artikel 18 Grundgesetz bestimmt unter anderem:

„Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), […], zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_18.html)

Im Wege des Artikel 18 darf also (auch und gerade) gegen Einzelpersonen vorgegangen werden.

Damit ist aber immer noch nichts zur Frage gesagt, ob gegen Medien (als solche – im Unterschied zu deren HerausgeberInnen / Verlage) auf der Grundlage von Artikel 5 Absatz 2 vorgegangen werden darf.

Es folgen morgen oder Freitag noch die drei Abschnitte:

Die Schranken des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz

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Die Bedeutung des Zensurverbots

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Wie könnten – falls politisch für richtig gehalten – Verbote von faschistischen und rechtspopulistischen Medien und Organisationen zulässig gemacht werden, ohne durch Verfügung solcher Verbote zugleich Wasser auf die Mühlen der – ns-verharmlosenden – Totalitarismustheorie zu gießen?

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1 Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, in: ders./Kirchhof [Hg.], Handbuch des Staatsrecht. Band IX, 2011, 911 – 980 (928, RN 26).
Entsprechend gilt: Die BürgerInnen dürfen (zu zweit) heiraten; zu vielen demonstrieren; als kleine Gruppe regelmäßig ins Theater gehen / Meinungen äußern / Presseorgane herausgeben, ohne dafür erst einen Verein gründen zu müssen. – Das Ehepaar, das aufgrund der Heirat entsteht, ist kein Verein im Sinne des Vereinsgesetzes.

2 § 48 Absatz 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz: „Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/__48.html)

3 Beschluß vom 07.06.1995 zu den Aktenzeichen StB 16/95 und 2 BJs 127/93, https://research.wolterskluwer-online.de/document/5184bb04-f5fd-48ba-ae4d-4a6208eb57df; Textziffer 2.

4 Urteil vom 03.10.1979 zu den Aktenzeichen 3 StR 273/79 (S); https://research.wolterskluwer-online.de/document/32076947-017a-4867-8991-9f9f27341c50, Textziffer 12.

5 Das linksunten-Verbot war „An die Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ zu Händen ihrer Mitglieder:“ adressiert – und dann folgten die Namen und Adressen von einigen Personen, von denen das Ministerium vermutete, das sie am Betrieb von linksunten.indymedia beteiligt seien.

6 „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“

7 juristischen; nicht philosophischen.

8 Zusammen mit dem Verein verschwandt zunächst auch das Medium von der Bildfläche; inzwischen ist zumindest ein Archiv des Mediums online: https://linksunten.indymedia.org/.

9 „eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen“ = „mehrere natürliche oder juristische Personen“; umstritten ist in der juristischen Literatur, ob es mindestens zwei, drei oder noch paar mehr sein müssen.

10 Juristische Personen sind nach deutschem Strafrecht nicht schuldfähig; in den Knast gesteckt können sie sowieso nicht werden; theoretisch könnten juristischen Personen, die sich strafbar machen, Geldstrafen auferlegt werden – das ist im BRD-Strafrecht aber nicht vorgesehen.

11 „Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit 1. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt, […] wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__20.html; Hyperlinks hinzugefügt)

12 a) „deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen“
b) „die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung […] richten“
c) „gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html).

13 2019 hatte ich in meinem Antrag an das Bundesinnenministerium das linksunten-Verbot zurückzunehmen, folgende Überlegung in den Raum gestellt:

„Eine tragfähige Lösung könnte eventuell sein, Medien-Redaktionen und -HerausgeberInnenkreise,

  • die sich auf die rein geistige, publizistische Tätigkeit beschränken und nicht zugleich als dieser Personenkreis an Demonstrationen teilnimmt (oder materielle Straftaten [d.h.: solche, die keine bloßen Äußerungsdelikte sind] begeht);
  • die über Leitlinien für ihre publizistischen Entscheidung hinaus kein handlungsorientiertes politisches Programm haben
    und
  • die nur einen (relativ kleinen) Kreis von RedakteurInnen (ModeratorInnen) bzw. HerausgeberInnen umfassen, aber nicht auch eine große, schlagkräftige Vereinigung unter Einschluß ihrer LeserInnenschaft bilden,

von vornherein (d.h. unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen des § 2 VereinsG) aus dem Vereinigungs-Begriff des Art. 9 II GG auszunehmen. Denn in diesen Fällen handelt es sich um ein ‚publizistisches Phänomen‘ im Anwendungsbereich des Art. 5 I, II GG und nicht um vereinigungsförmige Gefährlichkeit i.S.d. Art. 9 II GG.“

Aber ausargumentiert hatte ich diesen Gedanken damals nicht – und habe ich auch seitdem nicht.

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