Wie angekündigt und zu erwarten, erging heute das Urteil im Rondenbarg-Prozeß vor dem Landgericht Hamburg. Der Rondenbarg ist eine Straße in Hamburg, in der 2017 eine Demo gegen den damaligen G20-Gipfel in der Hansestadt von der Polizei unsanft gestoppt wurde. Vorher war einiges kaputt gegangen und einiges von DemonstrantInnen geworfen wurden.
In dem jetzigen Verfahren (es folgen weitere) ging es um zwei Angeklagte, denen (wie wohl allen Angeklagten) keine eigenhändige Gewalttat vorgeworfen wird. Das Gericht verurteilte sie wegen „Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten gefährlichen Körperverletzung, mit Beihilfe zum tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit Beihilfe zur Sachbeschädigung“ zu 90 Tagessätzen (Auskunft der zuständigen Gerichts-Pressestelle). § 40 Absatz 2 Strafgesetzbuch bestimmt: „Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Es achtet dabei ferner darauf, dass dem Täter mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum seines Einkommens verbleibt. Ein Tagessatz wird auf mindestens einen und höchstens dreißigtausend Euro festgesetzt.“
Auf die 90 Tagessätze gibt es 40 Tage ‚Verzögerungs-Rabatt‘ (die ‚Tat‘ war wie gesagt 2017; inzwischen schreiben wir 2024): „Wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung gelten jeweils 40 Tagessätze der verhängten Strafe als vollstreckt“, wie die Pressestelle ebenfalls mitteilte.
Außerdem wurde den beiden Verurteilten Ratenzahlung bewilligt; die Verfahrenskosten müssen sie – als Verurteilte – logischerweise auch zahlen.
NDR-Bericht über das Urteil
Die Urteilsverkündung hat etwa zwei Stunden gedauert, wie die Pressestelle auch noch mitteilte. Da ich aber nicht vor Ort war und die Pressestelle keine detaillierte Zusammenfassung zur Verfügung stellen mochte, läßt sich noch nicht viel zur Urteilsbegründung sagen. Der NDR berichtet:
„Der schwarze Block sei martialisch aufgetreten und hätte die Menschen rundum eingeschüchtert. Die ‚Unfriedlichkeit‘ sei schon im Keim angelegt gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin bei ihrer Urteilsbegündung. Das sei auch den Angeklagten klar gewesen. Auch sie seien schwarz gekleidet gewesen, die Frau hatte sogar eine Sturmhaube auf. Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten.“
(https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Zwei-G20-Gegner-in-Hamburg-zu-Geldstrafen-verurteilt,gzwanzigprozess136.html)
Die zuständige Gerichts-Pressestelle hat meine Frage, ob dies die Auffassung des Landgerichts korrekt darstelle, folgendes geantwortet:
„der NDR gibt Teile der Argumentation durchaus richtig wieder. Anzumerken ist, dass die Vorsitzende stets vom sog. Schwarzen Finger sprach, nicht vom schwarzen Block. Sie machte – u.a. – Ausführungen zum Aktionsbündnis Fight G20, das im Unterschied zum Aktionsbündnis Colour the red zone Gewalttätigkeiten gerade nicht aus-, sondern vielmehr eingeschlossen habe. Die Kammer hat ausdrücklich erklärt, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handele und auch nach ihrer Rechtsauffassung keinesfalls ein einfaches Mitlaufen bei einer Demonstration zur strafrechtlichen Verfolgung führe.“
Daher nur kurz dazu:
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Leute, die schon mal bei einer veritablen Straßenschlacht waren, werden die Demo vielleicht nicht als ganz so „martialisch“ empfunden haben wie anscheinend das Gericht.
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„Die ‚Unfriedlichkeit‘ sei schon im Keim angelegt gewesen“: Hierzu wäre wichtig zu wissen, worin dieser „Keim“ bestanden haben soll.
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„Das sei auch den Angeklagten klar gewesen“: Mag sein – bleibt die Frage, ob sie es auch gewollt und unterstützt haben.
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„Auch sie seien schwarz gekleidet gewesen, die Frau hatte sogar eine Sturmhaube auf“: Das mag ggf. als Vermummung strafbar sein, ergibt aber allein noch keinen Landfriedensbruch – auch nicht in der Form der Beihilfe zu Gewalttätigkeiten (oder Bedrohungen).
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„Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten“: Woher weiß das Gericht das erstere? Ist das eine bloße Deduktion aus den schwarzen Klamotten oder gibt es dafür auch einen konkreten Beweis? Und zu dem zweiten: Ging dieser Schutz über das Maß hinaus, das ohnehin daraus folgt, daß Landfriedensbruch per definitionem aus einer Menschenmenge heraus erfolgt? Dies ist deshalb wichtig, weil dieses Normalmaß noch nicht strafbar ist, denn es erkennen alle an, daß die alleinige Zugehörigkeit zu der Menschenmenge seit 1970 nicht mehr strafbar ist.
Zu „Aktionsbündnis Fight G20“:
Ich weiß nicht, was dort tatsächlich der Aktionskonsens war; im Prozeßbericht bei „Gemeinschaftlicher Widerstand“ über das Plädoyer der Staatsanwältin heißt es jedenfalls:
„Meesenburg zitiert aus dem Flyer ‚Fight G20‘ in dem es heißt ‚Dabei lassen wir uns weder von Strafgesetzen noch von irgendwelchen SozialdemokratInnen vorschreiben, wie und wann wir unseren Widerstand artikulieren dürfen. Wir wählen unsere Aktionsformen selbst‘. Der Wortlaut legt laut der Staatsanwältin nahe, dass nicht nur gewaltfreie Aktionen vorgesehen sind.“
(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/)
Angesichts zum Beispiel
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der Unmenge an Äußerungsstraftatbestände im Strafgesetzbuch;
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angesichts der Unterscheidung der Rechtsprechung zwischen „Gewalt“ im Sinne des Nötigungs-Paragraphen 240 StGB („mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel […] nötigt“) und „Gewalttätigkeiten“ im Sinne Landesfriedensbruchs-Paragraphen 125 StGB (ersterer Begriff wird uferlos weit; letzterer enger interpretier)
und
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angesichts des Unterschiedes zwischen Raub (Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache „mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“) und Diebstahl (Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache ohne Gewalt oder eine solche Drohung)
läßt sich aus dem Flugi-Satz keine Ankündigung oder Befürwortung von Gewalttätigkeiten im Sinne des Landfriedensbruchs-Paragraphen herauslesen.
Im übrigen kommt auch in Betracht, daß die für bestimmte Situationen selbstgewählten Aktionsformen gesetzeskonform sind. 🙂
Ich werde morgen noch mal wegen der von mir zu dem NDR-Bericht aufgeworfenen Fragen bei der Gerichts-Pressestelle nachhaken – falls Antworten kommen, wird es hier noch mal einen Nachschlag geben.
Katharina Schipkowski im redaktionellen Teil der taz
Weitere aufschlußreiche Informationen finden sich aber schon jetzt im redaktionellen Teil der taz im Artikel von Katharina Schipkowski:
Schwarze Kleidung = kriminell
Der Rondenbarg-Prozess gegen G20-Gegner*innen endet mit Geldstrafen. Dabei wird den Verurteilten vor allen ihr Outfit am Demo-Tag zum Verhängnis.
https://taz.de/G20-Demos-in-Hamburg/!6031226/.
Mit ihren ersten drei Sätzen liegt sie aber nicht ganz richtig; diese lauten:
„Kann man Demonstrant*innen dafür bestrafen, dass sie dabei waren, als andere Demonstrant*innen Steine warfen? Nein, sagte das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Urteil 1985 – das schränke die Versammlungsfreiheit zu sehr ein. Doch, urteilte am Dienstag das Hamburger Landgericht.“
Im Brockdorf-Urteil ging es gar nicht um die (strafrechtliche) Frage,
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unter welcher Voraussetzung Leute wegen Dingen, die bei einer Demo passiert sind, bestraft werden dürfen,
sondern um die (verwaltungsrechtliche) Frage,
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unter welchen Voraussetzungen eine Demo verboten werden darf, bevor sie stattfindet – also bevor etwas passiert ist (also wegen der bloßen Gefahr, daß etwas passieren könnte).
Weitere Berichte
Laut Hamburger Morgenpost gab sich jedenfalls eine der beiden angeklagten Personen nach dem Urteil kämpferisch:
„Anders anziehen will er sich künftig bei Demos nicht. ‚Meine Regenjacken sind alle Schwarz‘, so der 28-Jährige.“
Das nd zitiert denselben Angeklagten mit den Worten:
„Ob die beiden nach acht Monaten mit 24 Verhandlungstagen gegen das Urteil in Revision gehen, ist noch nicht sicher. ‚Es gibt Anhaltspunkte, die dafür sprechen, das zu tun‘“.
Falls tatsächlich Revision eingelegt wird, sollte allerdings genauer auf die landgerichtliche Argumentation eingegangen werden, als bisher in der Öffentlichkeitsarbeit und vermutlich auch vor dem Landgericht auf die staatsanwaltschaftliche Argumentation eingegangen wurde – warum erkläre ich bei de.indymedia:
Rondenbarg-Prozeß: Vogel-Strauß-Politik ist eine schlechte Verteidigung
https://de.indymedia.org/node/453122.
Hauptthese: „etwas, das gar nicht erst korrekt zur Kenntnis genommen wird, [kann] auch nicht treffend kritisiert kann. […] durch Umhauen von PappkameradInnen [können] keine realen Schlachten gewonnen und keine Staatsanwaltschaften besiegt werden […]. Der Gegenseite Positionen zu unterstellen und dann bloß diese unterstellten Positionen zu kritisieren, läßt die tatsächlichen Positionen der Gegenseite unkritisiert – schwächt also weder die Gegenseite noch stärkt es die eigene Seite.“