vonDetlef Georgia Schulze 04.09.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Bereits gestern abend zitierte ich eine der beiden im Rondenbarg-Prozeß zuletzt noch angeklagten Personen – via nd – mit den Worten, „Es gibt Anhaltspunkte, die dafür sprechen, das [Revision einzulegen] zu tun‘“. Ich setzte hinzu: „Falls tatsächlich Revision eingelegt wird, sollte allerdings genauer auf die landgerichtliche Argumentation eingegangen werden, als bisher in der Öffentlichkeitsarbeit und vermutlich auch vor dem Landgericht auf die staatsanwaltschaftliche Argumentation eingegangen wurde“ (siehe ausführlicher dazu: de.indymedia von gestern [03.09.2024]).

Harakiri-Revision zu befürchten

Außerdem veröffentlichten die Kampagnen „Grundrechte verteidigen“ und „Gemeinschaftlicher Widerstand“ eine gemeinsame Presseerklärung, in der es hieß:

„Die Bündnisse ‚Grundrechte verteidigen‘ und ‚Gemeinschaftlicher Widerstand‘ kritisieren das Urteil scharf und bezeichnen es als einen Angriff auf die Versammlungsfreiheit. Die Verteidigung prüft eine Revision und sieht dafür bereits mehrere Ansatzpunkte. Rechtsanwalt Adrian Wedel nimmt dazu Stellung: ‚Das heutige Urteil stellt einen schweren Angriff auf das Demonstrationsrecht dar. Der ›Schwarze Finger‹ war eine nach Artikel 8 des Grundgesetzes geschützte Versammlung, die brutal von der Polizei zerschlagen wurde. Während die Polizeigewalt am Rondenbarg bis heute nicht aufgeklärt ist, werden die Protestierenden nun für Straftaten verantwortlich gemacht, die sie nicht begangen haben.‘ Nils Jansen, einer der heute Verurteilten, sagte dazu: ‚Mit dem heutigen Urteil werden Demonstrierende in Kollektivhaftung genommen – das kann eine abschreckende Wirkung auf alle haben, die in Zukunft protestieren wollen. […].‘“
(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/pressemitteilung-ein-angriff-auf-die-versammlungsfreiheit-revision-wird-geprueft/)

Ich muß leider sagen: Mit derartigen Schaufenster-Reden wird das keine erfolgreiche Revision werden, falls sie denn eingelegt wird:

  • Das Urteil bedroht nicht „alle […], die in Zukunft protestieren wollen“. Das Urteil bedroht insbesondere nicht Leute, die bei einer Groß-Demo zufällig in den militanten Teil der Demo geraten und dann von der Polizei dort aufgegriffen werden. Es bedroht auch nicht Leute, die sich wegen privater Neugierde oder aus beruflichen Gründen (JournalistInnen, SanitäterInnen) mitten in einer ausgewachsenen Straßenschlacht aufhalten.
    Es waren jedenfalls vor allem solche Leute, die die sozialliberale Reformmehrheit von 1970 schützen wollte.1
    Das Gericht wirft den Verurteilten aber vor: „Die ‚Unfriedlichkeit‘ sei schon im Keim [der Demo] angelegt gewesen, […]. Das sei auch den Angeklagten klar gewesen. Auch sie seien schwarz gekleidet gewesen, die Frau hatte sogar eine Sturmhaube auf. Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten.“ (NDR über die Urteilsbegründung)
    Das mag eine falsche Beweiswürdigung des Gerichts sein, aber damit muß sich auseinandergesetzt werden – sei es, daß geltend gemacht wird, daß das Gericht in die andere Richtung weisende Beweise ignoriert habe, oder in der Weise, daß dargelegt wird, daß auch das vorgeworfene Verhalten im straflosen Bereich liege.

  • Auch der Satz von Anwalt Wedel, „Der Schwarze Finger war eine nach Artikel 8 des Grundgesetzes geschützte Versammlung, die brutal von der Polizei zerschlagen wurde“, geht ins Leere. Denn, daß es eine geschützte Versammlung war, schließt nicht aus, daß es in diesem Rahmen zu Gewalttätigkeiten und Beihilfe zu Gewalttätigkeit kam. Artikel 8 Grundgesetz ist ja kein Freibrief, einfach zu machen, was man/frau/* will – was soll mit solchen Wolkenkuckucksheim-Argumenten erreicht werden?

Auch die Staatsanwaltschaft prüft Revisions-Einlegung

Heute morgen fragte ich die Staatsanwaltschaft, sind Sie mit dem Urteil zufrieden oder werden Sie Revision einlegen?“ Antwort: Ob das Urteil mit der Revision angegriffen werden soll, wird innerhalb der einwöchigen Einlegungsfrist entschieden werden.“ Die Entscheidung muß also getroffen werden, bevor die schriftliche Urteilsbegründung vorliegen wird. (Angesichts der schriftlichen Urteilsgründe aussichtslose Revisionen können dann später zurückgezogen werden.)

Neue Auskünfte der Gerichts-Pressestelle zur mündlichen Urteilsbegründung

Außerdem hatte ich gestern aus dem NDR-Bericht über die Urteilsbegründung zitiert und dazu einige Fragen aufgeworfen und die zuständige Gerichts-Pressestelle gebeten, mir dazu zusätzliche Informationen zu geben – hier die Antworten:

  • NDR: „Die ‚Unfriedlichkeit‘ sei schon im Keim angelegt gewesen“.

    • Icke: „Hierzu wäre wichtig zu wissen, worin dieser ‚Keim‘ bestanden haben soll.“

      • Gerichts-Pressestelle: „Gemeint ist hier insbesondere (hinzu treten aber – u.a. – noch die Aussagen des Protestforschers Herrn Haunss, des Leiters der Lagebeurteilung beim LKA 7 und eines Vertreter des Hamburgischen LfV) die in dem Aktionskonsens des Bündnisses ‚Fight G20‘ getroffene Abrede. In der ‚Skizze zum Aktionstag‘ heißt es u.a. wie folgt:
        ‚Aktionsraum ist die Hamburger Innenstadt mit der Zielsetzung in Richtung Rote Zone zu kommen. Allerdings soll das nicht um jeden Preis durchgekämpft werden, wenn absehbar ist, dass die Bullen zu gut aufgestellt sind und wir in der Auseinandersetzung deutlich unterliegen. Blockaden im weiteren Umkreis machen ebenfalls Sinn, wobei z.B. die Route zwischen Flughafen und Messehallen oder wichtige Verkehrsknotenpunkte in Frage kämen. Außerdem befinden sich viele politische Ansatzpunkte, Aushängeschilder des Kapitalismus und Prestigeobjekte der Herrschenden in der Stadt, die im Rahmen der Proteste symbolkräftig angegangen werden können. Wir gehen von größeren Menschengruppen aus, die Straßenzüge durch ein kämpferisches Auftreten unpassierbar machen, die bewegungsfähig sind und eigeninitiativ gezielte Aktionen durchführen können. Es geht uns weder um ritualisierte Sitzblockaden, noch um willkürliche Zerstörung. Dass Angriffe auf Bushaltestellen und Kleingewerbe uns keine Hilfe sind, sollte den meisten ebenso einleuchten, wie die Sinnhaftigkeit und Vermittelbarkeit von beschädigten Banken, Konzernzentralen und Einrichtungen der Repressionsbehörden. Neben einer zielgerichteten und verantwortungsvollen Militanz können – je nach Verfasstheit der Menschengruppen – durchaus auch Handlungen des zivilen Ungehorsams wie Menschenblockaden eine wichtige Rolle spielen – nur sollte von einer passiven Praxis, die sich dem geplanten Handeln der Bullen unterwirft (abtransportiert werden, abdrängen lassen) Abstand gehalten werden.‘“

        • Icke: Nicht, daß ich den von der Gerichts-Pressestelle zitierten Text politisch falsch fände – aber „beschädigte Banken, Konzernzentralen und Einrichtungen der Repressionsbehörden“ liegt halt außerhalb des legalen Bereichs. – Bleibt trotzdem die Frage, ob das, was bei der Rondenbarg-Demo passiert sein soll (ÖPNV-Haltestelle zerkloppen; am Wegesrand stehende Polizeieinheit angreifen [statt zügig den vorrangig ins Auge gefaßten Blockadepunkt in der Roten Zone erreichen]) im Rahmen des Aktionskonsenses lag und von den Angeklagten für den fraglichen Morgen gewollt und unterstützt wurde.

  • NDR: „Das sei auch den Angeklagten klar gewesen“.

    • Icke: „Mag sein – bleibt die Frage, ob sie es auch gewollt und unterstützt haben.“

      • Gerichts-Pressestelle: „Auch hierzu wurde im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung umfangreich ausgeführt. Der Angeklagte J. war nach Auffassung des Gerichts über den Aktionskonsens als eine zentrale Figur bei der AKAB, die bei dem ‚Treffen revolutionärer Gruppen‘ am 23.4.17 vertreten war, informiert. Für die Angeklagte L. wurde das u.a. aus ihrer Bekleidung abgeleitet. Ein Indiz sei auch der Umstand, dass ungewöhnlich viele Personen, so auch L., das gleiche Schuhmodell trugen.“

        • Icke: Nun nehmen wir mal, es sei tatsächlich etwas Handgreifliches geplant gewesen und die Angeklagten wußten und billigten das und befolgten deshalb den Dresscode, der die einzelnen Leute möglichst wenig unterscheidbar (identifizierbar) machen sollte – bleibt trotzdem die Frage, ob genau oder halbwegs das, was geplant war, auch passiert ist. Oder lief die Sache aus dem Ruder, weil einige Heißsporen, die an der Vorbereitung nicht beteiligt waren, oder staatliche agents provocateurs dazwischen funkten?

  • NDR: „Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten“.

    • Icke: „Woher weiß das Gericht das erstere? Ist das eine bloße Deduktion aus den schwarzen Klamotten oder gibt es dafür auch einen konkreten Beweis? Und zu dem zweiten: Ging dieser Schutz über das Maß hinaus, das ohnehin daraus folgt, daß Landfriedensbruch per definitionem aus einer Menschenmenge heraus erfolgt? Dies ist deshalb wichtig, weil dieses Normalmaß noch nicht strafbar ist, denn es erkennen alle an, daß die alleinige Zugehörigkeit zu der Menschenmenge seit 1970 nicht mehr strafbar ist.“

      • Gerichts-Pressestelle: „Ja, der Schutz ging aus Sicht der Kammer über das von Ihnen genannte Maß hinaus und wurde ausführlich dargestellt. Ich muss Sie an dieser Stelle leider noch einmal darauf verweisen, dass Sie die Gelegenheit, der mündlichen Urteilsbegründung beizuwohnen nicht wahrgenommen haben und meine schriftlichen Auskünfte diese naturgemäß nicht wiederholen und erst Recht nicht die noch ausstehende schriftliche Urteilsbegründung vorwegnehmen können. Insbesondere hat die Kammer darauf abgestellt, dass man es mit einer Menschenmenge zu tun hatte, bei der man die beteiligten Personen bewusst schwerlich voneinander unterscheiden konnte.“

Bereits gestern hatte mir die Gerichts-Pressestelle mitgeteilt: „Die Kammer hat ausdrücklich erklärt, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handele und auch nach ihrer Rechtsauffassung keinesfalls ein einfaches Mitlaufen bei einer Demonstration zur strafrechtlichen Verfolgung führe.“

Eine Revision der Angeklagten/Verteidigung, die sich mit alledem nicht auseinandersetzt, wird keinen Erfolg haben.


1 „Unter dem Eindruck dieser zahlreichen Stellungnahmen konnte im Sonderausschuß ein Teileinverständnis darüber erzielt werden, daß […] Passanten und sogenannte Abwiegler, ferner diejenigen, die sich aus dienstlichen oder beruflichen Gründen in der Menge aufhalten, z. B. Ärzte, Rote-Kreuz-Helfer, Presse-, Film- oder Fernsehberichterstatter, aus diesem Tatbestand ausgeschlossen sein müßten.“
Darüber hinaus wurden von der sozialliberalen Reformmehrheit auch noch diejenigen geschützt, „ die – ohne die Gewalthandlungen fördern zu wollen – in der Menge bleiben, weil es ihnen um das mit der Demonstration verfolgte Anliegen geht“ (https://dserver.bundestag.de/btd/06/005/0600502.pdf, S. 9, linke Spalte; Hv. hinzugefügt).
Das Landgericht Hamburg sieht aber als erwiesen an, daß die Angeklagten, die es am Dienstag verurteilt hat, die Gewalttätigkeit gefördert haben und fördern wollten. Damit muß sich auseinandergesetzt werden – statt irgendwelche PappkameradInnen umzuhauen!

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