vondie verantwortlichen 16.01.2025

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Neunundzwanzig Prozent der deutschen Stromproduktion hat die Windenergie im letzten Jahr geliefert. Das hat Alice Weidel am vergangenen Sonntag nicht daran gehindert, die „Windmühlen der Schande“ feierlich zu verfluchen und ihren Abriss zu schwören. Offenbar wollte sie dabei zugleich an das von AfD- Vordenker Höcke so bezeichnete „Denkmal der Schande“, das Holocaust-Mahnmal in Berlin Mitte, erinnern.

Zur Wirklichkeit der Energieversorgung oder zu den historischen Tatsachen gibt es in  Weidels rhetorischer Welt keine Verbindung mehr. Im Gespräch mit Elon Musk hatte sie ein paar Tage zuvor die Weltöffentlichkeit darüber aufgeklärt, dass Hitler ein Kommunist gewesen sei. Bei der Frage, ob und für wen aus dieser Lüge eine Wahrheit wird, entscheidet allerdings längst nicht mehr die historische Realität, darüber entscheiden Geld und Reichweite. Dass die Menschheit sich digital über Kontinente und Sprachgrenzen hinweg in Echtzeit verständigen kann, ist ein unglaublicher Fortschritt. Die dafür notwendigen digitalen Infrastrukturen allerdings werden von Monopolen, privaten oder auch staatlich-diktatorischen, gesteuert. Von Menschen also, denen es gelungen ist, ungeheure Macht auf sich zu konzentrieren.

Macht ist die „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Max Weber). In diesem Fall beruht sie auf der Steuerung von digitalen Maschinen, deren sich ganze Gesellschaften für ihre Kommunikation bedienen müssen. Menschen, die dafür alle möglichen Kompromisse eingehen, obwohl ihnen das eigentlich widerstrebt. Sie müssen ihre Daten eingeben, Geld bezahlen, unerwünschte Werbung wegklicken usw. usf.  Das Grundprinzip, dass auch tote Gegenstände einen Zwang ausüben können und der Machthaber nicht persönlich anwesend sein muss, hat Friedrich Schiller 1804 in seinem letzten Drama „Wilhelm Tell“ ausgefaltet. Der Sage und dem Drama zufolge hat der Schweizer Landvogt Gessler eine Stange mit seinem Hut aufgestellt und den Leuten befohlen, diesen zu grüßen, als nähme er persönlich ihre Referenz entgegen. In der Folge dieser Demütigung kommt es im Stück zu dem berühmten Apfelschuss – und zu einer erfolgreichen Revolution.

„Wir unsre Knie beugen vor einem Hut! Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würd‘gen Leuten?“ Den Impuls der Schwyzer Bürger verstehen wir gut, und trotzdem verbeugen wir uns täglich. Geben Passworte ein, die wir genau so schnell wieder vergessen haben. Klicken herum, damit das Wlan funktoniert. Versuchen, der allgegenwärtigen Internet-Kriminalität und den Tricks zahlloser Anbieter zu entgehen, die uns Märchen erzählen, in unsere Computer eindringen, uns erpressen und uns beklauen wollen. Die dahinterstehenden digitalen Großmächte sind schließlich schlauer als der Landvogt, sie bieten etwas für die Befolgung ihrer Regeln (die wir selbstverständlich unterschrieben haben, ohne sie zu lesen). Und sie nutzen unsere fleißige Mitarbeit, um in Teilen des digitalen Raumes ihre eigene Wirklichkeiten zu kreieren: So entstehen Blasen, in denen Hitler Kommunist war (hat er nicht sogar gegendert beim Reden?) und Atomkraftwerke schon nächstes Jahr die Windräder ersetzen können.

Während unser Staat – dem Schutzversprechen zum Trotz, das er uns Bürger:innen gegeben hat – sich weitgehend heraushält. Wir können zwar „melden“, wenn uns etwas allzu schräg vorkommt. Aber wirksame Unterstützung gibt es kaum. Die Wut, die sich in dieser demütigenden, alltäglichen Auseinandersetzung mit einem undurchschaubaren und komplexen technischen Monster in uns aufstaut, und keineswegs nur unter den Älteren, dürfte eines der Hauptmotive für die Ausbreitung globaler Hass- und Wutreden sein.

Einige der reichsten Männer der Welt sind jetzt dabei, ihre – von uns ihnen übertragene – kommunikative Macht jeder Kontrolle zu entziehen. Das Ziel der Herren von X und Facebook ist offenbar, Europa so zu spalten, dass demokratisch kontrollierte, d.h. staatliche Gegenmacht sich nicht mehr gegen sie durchsetzen kann. Dass sie dafür mit rechtradikalen Organisationen kooperieren und das hehre demokratische Ziel der Meinungsfreiheit ins Feld führen, ist so grotesk wie diese gesamte Entwicklung der machtgestützen Informationsmanipulation.

Und nein, auch mit Boykott kann man ihnen als Individuum schon lange nicht mehr kommen. „Der Starke ist am mächtigsten allein“, sagt Schillers Tell, aber das war wohl schon damals ein Irrtum. Wenn ich meinen Facebook-Account kündige, sinkt Mark Zuckerbergs Reichweite um ein 3-Milliardstel. So also wird das nichts. Auch, weil wir uns längst an die alltägliche Verbeugung vor dem digital-oligarchischen Gesslerhut gewöhnt haben. Und auch die Macht der Gewöhung ist stark.

Die rechtspopulistische Blasenentwicklung ganz zu verhindern, wird kaum möglich sein. Aber eine demokratische Kontrolle der Netze sehr wohl. Oder der Aufbau neuer Plattformen nach öffentlich-rechtlichem Vorbild – Maximilian Probst hat in der ZEIT darüber gerade berichtet. In jedem Fall werden wir unseren Staat und Europa brauchen. Und wir werden uns von beliebten Illusionen verabschieden müssen. Zum Beispiel derjenigen, dass das Netz ein Freiraum sein soll, in dem man ohne Absenderangabe Menschen beleidigen oder Falschbehauptungen aufstellen darf. Die Meinungsfreiheit ist gewiss das höchste Gut. Ihre größte Bedrohung ist aber nicht, dass Menschen Verantwortung übernehmen müssen für das, was sie denken und schreiben. Sondern dass „Plattformen“ die öffentliche Diskussion gemäß der Meinung ihrer Eigentümer manipulieren und sich zugleich von der Pflicht befreien, wahrheitsgemäß zu berichten.

Alles läuft also auf einen Konflikt zwischen den demokratischen Staaten der Welt – insbesondere der EU auf der einen Seite und den kalifornischen, chinesischen und russischen Oligarchen auf der anderen Seite hinaus (der Historiker Timothy Snyder zählt auch Putin dazu). Das ist nicht ohne Risiko. Noch riskanter wäre es allerdings, diesen Konflikt zu vermeiden.

 

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