vondie verantwortlichen 28.11.2024

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Wer den neu gewählten Kaiser in seinem Palast mit seinen Hofschranzen und Hofnarren speisen sieht, kann Angst bekommen. Der Reichste unter den Oligarchen dieser Welt geht nicht von seiner Seite, die Verbindung zwischen politischer und wirtschaftlicher Macht, zwischen Bosheit, Geld und Wahn scheint durch die Bestückung von vielen der höchsten Ämter seit den US-Wahlen perfekt. Ein Shakespeare-Drama, als Reality-Show wieder aufgeführt, live und in Farbe – und diesmal kann (oder muss) die ganze Welt zusehen.

Wird in Mar a Lago bereits eine neue Form politischer Herrschaft sichtbar, an die wir uns gewöhnen müssen und die derzeit in der ganzen Welt in verschiedenen Ausprägungen zum Vorschein kommt  – als Weiterentwicklung bürokratischer Massenorganisation, wie in China, als mafiöse Vermischung von Staatsapparaten und Wirtschaftskonzernen wie in Russland, oder eben als (einstweilen noch?) demokratisch gewählte Mischung eines autoritären und rassistischen Personenkultes mit Chaos und Spektakel?

Gemeinsam haben die neuen Herrschaftsformen, dass sie mit einer grundlegenden Veränderung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse einher gehen. Digitale Verfahren zur Steuerung von Milliardenkonzernen und die Übertragung menschlicher Alltagskommunikation in digitale Medien haben in den letzten Jahrzehnten eine beispiellose Konzentration  und Zentralisierung wirtschaftlicher Macht ermöglicht. Dass diese wirtschaftliche Macht jetzt völlig ungehemmt in die Politik hineinwirkt, dürfte ein Hauptgrund für den Schock sein, den die US-Wahlergebnisse im Rest der Welt verursacht haben. Es geht um grundlegende Ordnungsprinzipien, an die wir uns über viele Jahrzehnte gewöhnt hatten. Gehören freie (d. h. zugunsten des Wettbewerbs und der Kunden transparent regulierte) Märkte und demokratische Wahlen der Vergangenheit an?  Müssen wir uns an solche Herrschaftsformen gewöhnen?

Die Vermutung ist: Nein. So weit ist es noch nicht.

Wir befinden uns eher, ähnlich wie Shakespeare bei der Entstehung moderner Staatsapparate im 17. Jahrhunderts, an der Schwelle zu etwas Neuem. Und es hängt auch von uns ab, wie dieses Neue aussehen wird.

Ein paar Argumente.

Der Hauptgrund ist: Wir, die Menschen, haben in den letzten Jahren in großen Teilen der Welt beispiellose neue Freiheiten erkämpft und erfahren. Die großen gesellschaftlichen Mehrheiten wollen keine Willkürherrschaft. Wenn männliche Trump-Anhänger jetzt mit posts wie „Your body – my choice“ Frauen stalken, sind sie mit ihren Phantasien auf dem Holzweg. Die Entwicklungen der letzten 200 Jahre lassen sich nicht zurückdrehen, und wer dergleichen individuell versucht, wird es mit einer modernen Gesellschaft zu tun bekommen: Mit Strafanzeigen, mit Polizei, Gerichten und auch mit der übergroßen Mehrheit auch der Trump-Wähler:innen, die über „my choice“ selbst entscheiden will.

Ein zweiter Punkt. Die neue Regierung besteht zum größten Teil aus Medienfiguren. Sie stehen künftig an der Spitze von gigantischen Institutionen, von denen sie zumeist keine oder wenig Ahnung haben. Die Aufgabe, diese zu leiten – oder auch zu zerstören – ist, Trumps „Trifekta“ hin oder her, keineswegs trivial. Wer staatliche Institutionen von innen kennt, weiß, dass dazu 2 Jahre (bis zu den Midterms) oder 4 Jahre bis zur Präsidentschaftswahl kurz bemessen sind. Solche Institutionen können sich wehren, und sie werden es tun. Allem Gejammer über Bürokratie zum Trotz hängt die Stärke staatlicher Institutionen (wie auch der Institutionen-Hass der Populisten) nämlich an den Gesetzen, denen sie folgen und die man nicht einfach abschaffen kann. Es gibt sie aufgrund konkreter Interessen. Zwar wirken ihre Regeln häufig etwas umständlich, nicht zuletzt auch, weil sie alle Menschen gleich behandeln müssen (das nämlich macht den modernen Staat aus, im Gegensatz zur Wirtschaft). Deshalb wird es, wer sie zerstören will, immer wieder mit gesellschaftlichen Mehrheiten aufnehmen müssen.

Zumal auch die Beschäftigten der Institutionen selbst dabei nicht einfach mitspielen werden. Das Beispiel der Weimarer Republik wird in diesem Zusammenhang oft zitiert. Nur: Damals entschied sich eine Gesellschaft für den Autoritarismus, in der Millionen arbeitslos waren und hungerten, die einen Krieg und die privaten Geldvermögen verloren hatte, deren patriarchalischer Lebensstil noch intakt war. Die Repräsentanten (es waren tatsächlich fast nur Männer) des neuen Staates waren aus einem hochmilitarisierten und gewaltgetränkten Kaiserreich plötzlich in eine Demokratie geworfen worden, die sie mit großer Mehrheit ablehnten. Mit den Staatsbediensteten der heutigen USA hat diese historische Beamtenschaft keine Ähnlichkeit. Das gilt auch für diejenigen von ihnen, die gerade das Spektakel gewählt haben.

Gewiss: Das soll nicht heißen, dass die Freakshow in Florida nach ihrer Transplantation in den Regierungsapparat des mächtigsten Landes der Welt nicht extremes Chaos stiften, Millionen Menschen quälen, Kriege verursachen und das Klima schwer schädigen kann. Zumal weder ihre Wirtschafts- noch ihre Außenpolitik vorhersehbar ist. Wie der alte Herr morgens nach dem Frühstück über die voraussichtlich extrem widersprüchlichen Vorschläge seiner Entourage entscheiden wird – oder ob er lieber Golf spielen geht – weiß niemand.

abo

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Entstehen aus den weltweit sichtbaren Erfolgen oligarchischer Machtstrukturen stabile Regierungen? Möglich ist das, sie basieren, wie gesagt, auf den durch digitale Techniken ermöglichten Formen zentralisierter wirtschaftlicher und kommunikativer Machtausübung, die moderne Gesellschaften heute durchziehen. Aber noch hat der Oligarchismus den Kampf gegen die Menschenrechte – gegen die Vorstellung, dass alle Menschen gleiche Rechte haben, sich frei äußern und ihre Regierungen selbst wählen  können sollten – nicht gewonnen.

Der Ausgang wird nicht zuletzt davon abhängen, ob die freiheitlichen Demokratien Wege finden, sich dem technologisch beförderten Autoritarismus wirksam entgegen zu stellen. Die Bürger:innen brauchen dafür ihre Staaten – oder Zusammenschlüsse von Staaten, wie Europa. Diese haben bisher auf die Regulierung der neu entstandenen digitalen Räume weitgehen verzichtet. Jetzt droht diese Unterlassung, sie selbst zu zerstören und durch mafiaähnliche, neofeudale Machtkartelle zu ersetzen.

Auch dazu gibt es Parallelen in der frühen Neuzeit. Es ist heute von neuem der Staat, der den Mächtigen Grenzen setzen und seinen Bürger:innen im Kampf gegen die Mächtigen Freiheit ermöglichen kann. Wenn er will.

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