vondie verantwortlichen 18.03.2024

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

Mehr über diesen Blog

„Eine konservative Haltung“, so schreibt der Historiker Andreas Rödder, der lange als Vordenker der CDU galt, setze nicht „…auf abstrakte Theorien und Modelle, sondern auf erfahrungsgestützten Realismus“.

Die Migrationspolitik der CDU/CSU ist, gemessen an dieser Formulierung, nicht konservativ – sie ist ein radikaler Traum. Das gilt nicht nur für die aktuellen Reden und Anträge der Partei im Bundestag, die man als Oppositionsgeklingel abtun könnte. Vielmehr hat sie diesen Traum auch in ihrem Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm verankert. Was dort steht, ist das Gegenteil einer Strategie – es ist eine Märchenerzählung. Eine Phantasiegeschichte, die es in das Grundsatzprogramm der größten deutschen Partei geschafft hat.

Man kann es nachlesen.

„Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren. Dazu wird mit dem sicheren Drittstaat eine umfassende vertragliche Vereinbarung getroffen. Die Anforderungen an sichere Drittstaaten sind auf den Kern der Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu beziehen.“ (Entwurf CDU-Grundsatzprogramm S. 23).

Weil wir uns bei der Suche nach einem solchen „Drittstaat“ nicht im Bereich des „erfahrungsgestützen Realismus“ (Rödder), sondern „im Luftreich des Traumes“ (Heinrich Heine) befinden, müsste, so glaubt die CDU, für dieses Vorhaben noch nicht einmal das Grundgesetz geändert werden. Entsprechend formuliert sie ihr Grundsatzprogramm in schönster Schönfärberei:

„Wer sich auf Artikel 16a Grundgesetz beruft, weil er nicht aus einem EU-Mitgliedstaat oder aus einem anderen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, und dies erfolgreich tut, soll Schutz in unserem Land finden. Das Konzept der sicheren Drittstaaten soll nicht dazu führen, dass Europa sich aus seiner humanitären Verantwortung stiehlt. Wir sprechen uns deshalb dafür aus, dass nach der erfolgreichen Einrichtung des Drittstaatenkonzeptes eine Koalition der Willigen innerhalb der EU jährlich ein Kontingent schutzbedürftiger Menschen aus dem Ausland aufnimmt und auf die Koalitionäre verteilt.“

Also ja: Asylsuchende finden Schutz in unserem Land – irgendwann jedenfalls, wenn sie zufällig Teil eines Kontingentes werden sollten, das einigen von ihnen den Weg nach Europa ermöglicht.  Und nein: natürlich stiehlt Europa sich nicht aus seiner humanitären Verantwortung. Es lagert sie nur aus.

abo

Zeiten wie diese brauchen Seiten wie diese. 10 Ausgaben wochentaz für 10 Euro im Probeabo. Jetzt die linke Wochenzeitung testen!

Gesucht werden also eines oder mehrere Phantasia-Länder, die bereit sind, eine unkalkulierbare Zahl von Geflüchteten, von ein paar Hunderttausend bis zu mehreren Millionen jährlich, aufzunehmen und zu versorgen, Asylverfahren nach deutschem bzw. europäischen Recht durchzuführen und diejenigen, die Asyl bekommen (die Anerkennungsquote in Deutschland liegt derzeit bei 43 Prozent) auf unbestimmte Zeit dort wohnen zu lassen. Auch ein Teil der Abgelehnten müsste wohl ebenso wie derzeit in Deutschland geduldet werden – die übrigen würden abgeschoben.

Das ausgewählte Land wäre so groß und bevölkerungsreich, dass Asylbewerber:innen nicht nach wenigen Jahren die Bevölkerungsmehrheit stellen. So politisch stabil, dass es Verträge eingehen könnte, die über Jahrzehnte halten. So menschenrechtsorientiert, dass es sexuelle oder religiöse Vielfalt nicht gleich selbst bestrafen würde. So ökonomisch prosperierend, dass es bei Ausbleiben der europäischen Gelder die Menschen selbst versorgen oder in die Wirtschaft integrieren könnte.

Die Britische Regierung hat vor kurzem eine entsprechende Vereinbarung mit Ruanda geschlossen, „im Prinzip eine gute Idee“, wie Kanzleraspirant Friedrich Merz sich jetzt in einem Interview ausgedrückt hat, die aber dort am Obersten Gerichtshof bisher gescheitert ist. Für Deutschland rechnet Merz anscheinend nicht mit solchen Hemmnissen – als Kanzler werde er, so kündigt er an, gleich losreisen, um dieses gelobte Land zu finden.

Welches Land auf der Welt könnte also gemeint sein? Außer Europa selbst? Ein Zwilling Europas, gewissermaßen. Ein Zwilling, der die mit Migration verbundenen Belastungen für Europa tragen würde, gegen viel Geld, versteht sich. Die Ampel-Regierung hat inzwischen auf Wunsch der CDU-Ministerpräsidenten mit der Suche begonnen. Im Juni spätestens wird sie das Ergebnis vorlegen. Man darf gespannt sein.

Dem reichen Europa wird es gewiss nicht schwerfallen, Regierungen zu finden, die für entsprechende Finanzzusagen das Blaue vom Himmel versprechen. Das hat kürzlich kein geringerer als CSU-Fraktionschef Dobrindt persönlich überprüft. Er ist nach Afrika geflogen, hat in Ruanda ein Durchgangslager mit 2500 Bewohner:innen besucht, mit der Regierung gesprochen und das Land für geeignet erklärt. Ruanda, zur Erinnerung, ist das am dichtesten bevölkerte afrikanische Land, es hat seit der Unabhängigkeit 1962 mehrfach Bürgerkriege und 1994 einen Völkermord erlebt, und beherbergt bereits eine große Zahl von Geflüchteten aus den Nachbarländern. Präsident Kagame regiert dort seit 24 Jahren, Oppositionskandidaten werden bei Wahlen nicht zugelassen.

Dass die Konflikte um Migration in Europa zu einem Risiko für die Demokratie geworden sind, lässt sich kaum bestreiten. Zuwanderung muss geregelt und begrenzt werden, das ist zwischen den demokratischen Parteien längst ein schwieriger Konsens. Zwar kann man über die Gründe, aus denen Zuwanderung zur Belastung wird, sehr verschiedener Ansicht sein: Geht es wirklich um die materiellen Kosten und Probleme bei der Integration – oder geht es um Politik, also um die Machtinteressen menschenfeindlicher Parteien, die durch Angstkampagnen Erfolge erzielen? Klar ist aber, unabhängig von der Antwort, dass es um politische Aufgaben geht, die sehr sorgfältig und ernsthaft durchdacht und bearbeitet werden müssen.

Die EU hat im letzten Dezember bereits eine drastische Verschärfung der Einreisebestimmungen beschlossen, sie will die Außengrenzen konsequent schließen und für die Asylverfahren Lager in Grenznähe aufbauen. Auch die Bundesregierung hat dem zugestimmt, die Grünen nur unter großen Schmerzen. Der Merz-CDU reicht hingegen das alles nicht, auch wenn sie die Kommissionspräsidentin stellt. Offenbar will sie die Asylproblematik zum Gegenstand des nächsten Wahlkampfes machen, und dabei können pragmatische Pläne nur stören. Dass ein „Asylwahlkampf“ nach aller Erfahrung darauf hinausläuft, einen in der Öffentlichkeit weitgehend wehrlosen Teil der Bevölkerung zu demütigen und gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen, stört sie nicht. Ihr geht es um ideologisches wahlpolitisches Kleingeld: darum, alle, die ihrer „im Prinzip guten Idee“ widersprechen, als realitätsferne „Gutmenschen“ hinstellen zu können. Der Wunsch danach ist so stark, dass sie die Erfahrungen der konservativen Parteien in Europa, die solche Wahlkämpfe regelmäßig gegen Rechtsextreme verloren haben, nicht zur Kenntnis nimmt.

Während für die anderen Parteien und auch für die übergroße Mehrheit der CDU die Migration eine praktische Herausforderung darstellt, hat sich die aktuelle CDU-Spitze für eine radikale Strategie der Verdrängung entschieden. Sie verspricht, das Problem, die  Migrant:innen selbst, aus Europa heraus zu schaffen, weg aus Deutschland. Wenn sich demnächst zeigen wird, dass dieses Versprechen, die Lösung aller Probleme in Phantasialand, nicht zu halten ist, kann sie sich zu einem nächsten Schritt veranlasst sehen: Dazu, die Regeln und die Institutionen anzugreifen, die ihre Lösung blockieren – und zugleich Europas Identität ausmachen: Das deutsche Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention, das Bundesverfassungsgericht, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Konservative Parteien sind immer auch Parteien, die Institutionen ernst nehmen. Wenn die Merz-CDU stattdessen ihr phantastisches Modell weiter verfolgt, wird es auch in Deutschland rechts der Mitte künftig zwei populistische Parteien geben, die CDU und die AfD. Die politische Landschaft der Bundesrepublik würde umgepflügt und am Ende würde sich herausstellen, dass es nur noch einen Partner gibt, mit dem die CDU eine Regierungsmehrheit bilden kann.

Friedrich Merz hat angekündigt, nach seiner Wahl zum Kanzler die Suche nach geeigneten Drittstaaten persönlich übernehmen zu wollen. Es wäre besser, er würde gleich losfliegen.

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/verantwortliche/im-prinzip-gute-idee/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert