vondie verantwortlichen 16.04.2024

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Neulich bei einer Veranstaltung mit dem Post-Wachstums-Ökonomen Nico Paech. Er erzählt seine Geschichte: Die Menschheit ist auf dem Weg in immer schlimmere Katastrophen. Die Politik ist bestenfalls hilflos. In einer Demokratie kann sie nicht empfehlen, weniger zu konsumieren, weil sie dafür keine Mehrheit findet, und die grüne Ökonomie, die Energiewende, macht nur noch mehr kaputt. Zerstört die Landschaft, baut Straßen in Naturschutzgebiete und Pumpspeicherkraftwerke in wertvolle Gebirgslandschaften. Wasserstoff aus Namibia – das sei die direkte Fortsetzung der alten kolonialen Ausbeutung…

Also muss die Zivilgesellschaft ran. Wir also. Die Leute müssen wieder lernen, weniger zu konsumieren und Dinge selbst zu machen, Haushaltsgeräte zu teilen, alte Sachen zu reparieren. So können dann auch Fähigkeiten und Ideen entwickelt werden, die nach den kommenden Katastrophen weitere Verbreitung finden. Die Katastrophen selbst sind unvermeidbar: „Ich hasse es, das zu sagen“ – und nur durch sie lernt die Menschheit dazu.

Ca. 80 Menschen, meist ältere, sind ins Hadleys in Hamburg-Eimsbüttel gekommen, eine wunderbare Kneipe, die regelmäßig zu öffentlichen Diskussionen einlädt. Von denen, die sich melden, können die meisten auf eigene Erfahrungen, etwa in der Anti-AKW-Bewegung verweisen. Sie klingen skeptisch – ist es denn wirklich so hoffnungslos? Sind die anti-ökologischen Mehrheiten so stabil? Ist die Veränderung, die über die Zivilgesellschaft läuft, nicht viel zu langsam? Letzteres bestätigt der Vortragende, es werde die Katastrophen geben, aber das sei nicht zu vermeiden.

Es ist eine schwarze Messe der Ausweglosigkeit. Dass es sinnstiftend sein kann, wenn man seinen Staubsauger reparieren und gemeinschaftsbildend, wenn man die Waschmaschine mit den Nachbarn teilen kann, haben einige der Anwesenden schon vor 30 Jahren bei André Gorz gelesen, das reißt es nicht heraus.

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Niemand durchbricht die Stimmung (auch der Autor dieser Zeilen nicht). Das Gegenlied ist nicht gelernt. Es würde schließlich lauten: Jawohl, diesmal sind wir es, die die Landschaft kaputt machen. Jawohl, es stimmt, dass zu viele Photovoltaik-Anlagen auf grüne Wiesen gebaut werden und zu wenige auf die Dächer. Jawohl, viele Windräder werden dort stehen, wo sie eigentlich besser nicht stehen würden. Ja, der Materialverbrauch durch Batterien, E-Autos usw. ist auch ein Problem…

Es wäre das Lied von der technischen Innovation, die gegen die Klimakrise wirken soll. Es handelt vom „wo gehobelt wird, da fallen Späne“. Davon, dass nichts ohne Nebenwirkungen funktioniert. Von technischen Projekten und politischen Programmen und komplizierten Infrastrukturen, die der Mehrheit derer, die in der Umweltbewegung sozialisiert wurden, unverständlich sind. Aber auch davon, dass „wir“, die Ökos eben, vielleicht nicht so wichtig sind, wie wir uns das einbilden, weil an diesen Dingen ganz andere Leute arbeiten. Und erst recht nicht so viele, wie man glauben kann, wenn man in einer solchen Veranstaltung sitzt.

Dass „wir“ plötzlich die Bauherren sein und für die angerichteten Schäden Verantwortung übernehmen sollen – das passt nicht zu uns. Wir haben das Gegenteil gelernt – die Schäden aufzulisten, bis zur letzten Zauneidechse. Dass die „andere Seite“ uns beliebig vorführen und als Blockierer von allem und jedem denunzieren konnte, dass sie ihre Autobahnen ungerührt von allen Argumenten in die Landschaft betonierte, geschenkt. Daran waren „wir“ letztlich nicht schuld, Niederlagen gehörten dazu. Aber jetzt. Jetzt sind wir es. Jetzt stehen wir auf der anderen Seite. Wir müssten die Rolle wechseln. Da bleiben uns die Argumente im Halse stecken.

Dabei sind wir Zeitgenoss:innen, Zeug:innen und Akteur:innen einer Veränderung, die die Menschheit als Ganze betrifft. Zum ersten Mal gelingt es modernen Gesellschaften, die für ihren Bestand notwendigen Energiemengen direkt aus Wind und Sonne zu gewinnen, jener Strahlungsenergie also, die die Sonne täglich auf die Erde schickt.  Eine moderne Lebensweise wird möglich, die ohne die Verbrennung fossiler Rohstoffe oder die Risiken der Kernkraft auskommt. Und nein, dabei geht es nicht um das übliche „immer mehr“ der modernen Steigerungslogik, sondern um etwas qualitativ anderes, etwas wirklich Neues.

Die wissenschaftlichen Voraussetzungen der neuen, regenerativen Energiebasis lassen sich weit zurückverfolgen. Tatsächlich wirtschaftlich einsetzbar sind Windenergie und Photovoltaik aber erst seit 20 Jahren (die modernen Speichertechniken werden erst seit zehn Jahren ernsthaft beforscht), seit die damalige rot-grüne Regierung mit dem EEG ein Marktdesign beschlossen hat, das exponentielles Wachstum möglich machte. So jung ist nämlich die erneuerbare Alternative – und so kurz ist die Zeit, in der eine realistische Hoffnung auf wirksamen Klimaschutz entstanden ist.

Denn nein, nicht alle haben in den 80er oder 90er Jahren die Klimakrise ignoriert. Nur waren damals Verzicht auf Energieverbrauch und Steigerung der Nutzungseffizienz die einzigen verfügbaren Mittel, wenn die Gesellschaft nicht zurück wollte zu vorindustriellen Lebensformen. Also kämpfte man für die Wärmedämmung von Gebäuden oder das 3-Liter-Auto – Techniken, die – so die Hoffnung – die Krise zumindest verlangsamen sollten. Dass die deutsche Autoindustrie stattdessen auf SUVs gesetzt und verkündet hat, diese würden künftig mit Wasserstoff fahren (was, wie sie wussten, nicht stimmte), zeigt, mit welchen gesellschaftlichen Mehrheiten sich solche Vorschläge auseinandersetzen mussten.

Die Erfahrungen dieser Jahre haben diejenigen geprägt, die sich damals zur ökologisch verantwortungsvollen Minderheit zählten, und Nico Paech trägt die damaligen Argumente vor, als ob sie unverändert gültig wären – nur dass die Katastrophen seither nähergekommen sind.

Bleibt die Frage, warum wir uns von dieser Botschaft aus der Vergangenheit so beeinflussen lassen, dass niemand auch nur ernsthaft widerspricht. Anstatt selbstbewusst und mit aller Kraft für die neuen Möglichkeiten zu kämpfen. Wie gesagt: Sie machen unsere Lebenswelt meist nicht schöner. Aber sie bieten die Chance, dass der Klimawandel begrenzt, obwohl wir den Planeten gemeinsam mit 8 Milliarden Menschen bewohnen.

 

 

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