vondie verantwortlichen 08.10.2021

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Tiefe Gräben gilt es zu überwinden, damit Grüne und FDP in einer Bundesregierung zusammenarbeiten können – so die maßgeblichen Kommentare. Bei näherem Hinsehen sind es allerdings eher gedankliche und sprachliche Ruinen aus der Zeit des Kalten Krieges und der neoliberalen 90er Jahre, die da im Weg herumstehen. Versteinerte Wortgebilde, gerade noch brauchbar, um sie nach politischen GegnerInnen zu schmeißen. Konkret beschreiben sie fast nichts, die meisten WissenschaftlerInnen zucken längst mit den Achseln – und bei der Lösung von Problemen stören sie nur.

Und ja, das betrifft gerade auch die Begriffe im Zentrum der politischen Auseinandersetzung:  „Markt“, „Staat“, „Klimaneutralität“, um nur diese drei Begriffe zu nennen.

Nehmen wir die Klimapolitik. Da fordert ausgerechnet der VW-Chef gerade eine beschleunigte Dekarbonisierung der Stromversorgung. Nur: Dass er so etwas überhaupt fordern kann, hängt mit einem Gesetz zusammen, das die damalige rotgrüne Mehrheit im Deutschen Bundestag vor gut 20 Jahren, am Anfang des Jahrtausends,  beschlossen hat: Dem Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG. Bis dahin nämlich spielten Photovoltaik und Windenergie in der Energieversorgung keine Rolle, es gab sie praktisch nicht. Dank des neuen Regulierungsrahmens wuchsen sie von praktisch Null auf heute 50 Prozent des Stromverbrauchs, hunderttausende Arbeitsplätze entstanden.

Anarchische Dynamik des EEG

Trotzdem wurden das EEG heftig angegriffen: Pure Planwirtschaft sei das, außerdem eine Umverteilungsmaschine von den Konten nordrhein-westfälischer Hartz-IV-Empfänger auf diejenigen bayerischer ZahnärztInnen. Überflüssig sei es obendrein, viel „effizienter“ bei der CO2-Einsparung sei der europäische CO2-Handel (dessen innovative Wirkung allerdings bis heute nicht erkennbar ist). Eine Zeitung, die für sich wirbt, indem sie ihre LeserInnen für besonders klug erklärt, machte täglich Kampagne. Trotzdem überlebte das EEG die rotgrüne Wahlniederlage 2005. Denn nach wenigen Jahren hatten bereits Millionen Menschen privat in Erneuerbare investiert, so dass eine Rücknahme politisch nicht opportun gewesen wäre.

Und obwohl es schlecht administriert wurde, deshalb unnötig teuer war, und obwohl man die innovativen Arbeitsplätze zum großen Teil wieder verschwinden ließ, entfaltete das EEG eine geradezu anarchische Dynamik. Das hatte zwei Gründe: Große Mehrheiten in der Bevölkerung, die nichts von ihrer Ablehnung der Atomenergie abbringen konnte und die hier eine Alternative sahen, bei der sie selbst mitmachen konnten. Und: Dass die Entwicklung auf Marktprinzipien beruhte. Wer die neuen Möglichkeiten nutzte, konnte gewinnen. Erst in den letzten Jahren brachte die Bundesregierung das Wachstum durch immer höhere bürokratische Grenzzäune zum Stillstand, um der Kohle eine längere Restlaufzeit zu sichern.

Es geht in dieser Geschichte, auch wenn es pathetisch klingt, um ein Stück Weltgeschichte. Also auch um List und  Ironie. Es entstand eine neue Energiebasis, nicht nur in Deutschland, und der Umbruch war so umfassend, dass er das öffentliche Bewusstsein erst allmählich erreicht. Bis zum Anfang dieses Jahrhunderts hatte die Moderne praktisch ausschließlich fossile Energien genutzt. Alle ExpertInnen – nein, fast alle ExpertInnen – waren der Meinung, dass nur fossile Energien – sowie, wenn auch teuer und faktisch ebenfalls eng begrenzt, Atomkraft – die riesigen Energiemengen würde bereitstellen können, auf die moderne Gesellschaften angewiesen sind.

Gewiss es gab auch ein paar Prozent Wasserkraft und Biomasse – aber dieser Beitrag war kaum steigerungsfähig. Vom Verzicht auf fossile Energieträger zu reden hätte bis zur Jahrtausendwende bedeutet, davon zu reden, dass man den Krankenhäusern den Strom und den RentnerInnen die Heizung abzustellen müsste. Klimapolitik: Das bedeutete Energieffizienz und Sparen. „Klimaneutralität“: Das Wort verwendete niemand, und die Sache selbst war nur als soziale Katastrophe denkbar.

 Der Staat schafft einen Markt

Gewiss, FFF hat schon recht: Man hätte trotzdem mehr hinkriegen können – und müssen. Mit Effizienz ließe sich enorm viel erreichen, durch wirksame Energiestandards bei Neubauten etwa, oder durch systematische Forschung – um nur zwei Beispiele zu nennen. Und dass sich 12-Liter-SUVs gegen die in den 90er Jahren noch beworbenen „Drei Liter Autos“ durchsetzten, war ein obszöner Irrweg, klimapolitischer Nihilismus. Nur: Die wirkliche Alternative, der Ausweg aus der fossilen Sackgasse der Weltgesellschaft durch Nutzung von Sonne und Wind, ist erst in den letzten 20 Jahren entstanden.

Dass das EEG so überraschend wirksam war, lag auch daran, dass es quer zu den herkömmlichen Vorstellungen und Begriffen lag – denen seiner GegnerInnen, aber häufig genug auch denen seiner VerfechterInnen.

Durch das EEG schuf der Staat einen Markt: Einen geschützten Bereich, in dem sich die regenerativen Techniken im Wettbewerb und mit sicheren Rahmenbedingungen entwickeln konnten. Im Prinzip waren Windkraft und Photovoltaik zwar seit Jahrzehnten bekannt und teilweise auch schon erprobt. Aber eben noch sehr teuer und wenig effizient. Die exponentielle Entwicklung, die notwendig war, damit sie zur neuen Energiebasis werden konnten, entstand durch dieses praktische Experiment.

Und dass es der Staat war, der diesen  Markt errichtet hatte (so wie er zu allen Zeiten – kluge ÖkonomInnen, wie der ordoliberale Walter Eucken, der marxistisch inspirierte Karl Polanyi oder die moderne Forscherin Mariana Mazzucato, beschreiben es – durch seine Regelungen Märkte ermöglicht, gestaltet und gesichert hat), ging im Blechtrommelwirbel der ideologischen Beschwörungen und der Lobbyinteressen erst recht unter.

Visionäre als Außenseiter

Dabei war es die Fähigkeit des Marktes zur Förderung von Innovation und zur Beteiligung immer neuer AkteurInnen, die für ein Wachstumstempo sorgte, das heute niemand in die Berechnung der  staatlichen „Klimaziele“  zu schreiben wagen würde. Und währen die selbsternannten „Markt“-FreundInnen in der Öffentlichkeit de facto die Monopolzwänge der alten Technologien verteidigten, redeten die eher „linken“ KämpferInnen für mehr staatliche Zukunftsverantwortung dem Wettbewerb das Wort. Den handelnden Personen bei Grünen und SPD, soweit sie sich für klimafreundliche Energieversorgung interessierten, war dieses Paradox durchaus bewusst. Der visionäre Verfechter der Erneuerbaren und Mitautor des EEG etwa, Hermann Scheer, war zwar Bundestagsabgeordneter der SPD, galt dort aber als Außenseiter. Seine Fraktion hat ihn deshalb nie in den für Energie zuständigen Wirtschaftsausschuss geschickt. Dort saßen stattdessen die Lobbyisten von RWE und Eon.

Heute stehen die Erneuerbaren im Zentrum der der Klimapolitik und damit der politischen Agenda aller Parteien. Und alle Beteiligten tun gut daran, sich ihre krumme Geschichte vor Augen zu führen – wie wenig geplant und wie unerwartet eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Lösung des größten Menschheitsproblems entstanden ist. Und wie wenig konventionelle Parolen dazu beitragen, solche Entwicklungen zu erklären oder gar voran zu bringen.

„Markt oder Staat“ – das ist, solange man nicht näher hinsieht, ein Scheingegensatz, den man erregungshalber hochjazzen kann, wenn man sich politisch streiten will. Wenn man hingegen erfolgreich regieren will, sind beides politische Instrumente. Man kann sie, in unterschiedlichen Mischungen und Konstellationen, auch klimapolitisch einsetzen. Man muss beide – gestalten.

So gesehen haben die Koalitionäre gerade dort am wenigsten zu verlieren, wo ihre Auffassungen scheinbar am weitesten auseinander liegen. Außer ihren ideologischen Ketten.

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