Diesmal spricht viel dafür, dass das Ende naht. Wie ein Bundeshaushalt aussehen könnte, der den politischen Notwendigkeiten entspricht und dabei die Schuldenbremse einhält, weiß niemand. Und anders als in den bisherigen Krisen ist keine Lösung in Sicht. Denn inzwischen ist es nicht mehr die komplizierte Dreier-Konstellation der Ampel, die eine Einigung erschwert. Die Parteien selbst laufen auseinander und viele ihrer Vertreter:innen vermitteln den Eindruck, sich nicht einmal mehr mit sich selbst einigen zu können.
Und es geht nicht nur um eine Regierung. Mit dem Ende der Ampel scheint auch das Ende des parteipolitisch organisierten Liberalismus in Deutschland gekommen. Nicht, weil liberales Denken unwichtig geworden wäre – dazu ist es bei SPD, CDU oder Grünen viel zu stark erkennbar – sondern weil die sich liberal nennende Partei es bis zur Unkenntlichkeit eingeengt hat. Am sichtbarsten wird das bei ihrer Haltung zur Unterstützung der Ukraine. Während die Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl daraus ihr Markenzeichen gemacht hat und dazu übergegangen ist, den Bundeskanzler persönlich zu beschimpfen, glaubt der FDP-Finanzminister in der Einhaltung der Schuldenbremse ein Überlebenselixier für seine Partei entdeckt zu haben. Und behauptet steif und fest, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine (und gegen das demokratische Europa) der erste Krieg sei, der ohne neue Schulden gewonnen werden könne.
Die Ökonomen und Philosophen (fast alle Männer), auf die sich der moderne Liberalismus beruft, können der ihrer schrägen Nachfolgerin nicht mehr widersprechen. Keiner von ihnen, ob eher „rechtsliberal“ und neoliberal wie Friedrich August von Hayek, ordoliberal wie Walter Eucken oder eher linksliberal wie John Rawls oder Ralf Dahrendorf (um nur einige von vielen Namen zu nennen) wäre auf die Idee gekommen, dem eigenen Staat mitten im Krieg Hände und Füße finanziell zu fesseln.
Im Gegenteil: Liberales Denken sollte das Gegenmittel gegen totalitäre Bedrohungen sein. Ihre Forderung nach staatlicher Ausgabendisziplin sollte staatliche Übermacht begrenzen, um die Freiheit der Bürger:innen zu schützen. Dass er über die notwendigen Mittel verfügen sollte, Sicherheit und Freiheit zu schützen, stand für sie diese Liberalen hingegen nie in Frage.
Die Schuldenbremse entstammt denn auch nicht der liberalen Tradition des ökonomischen Denkens. Beschlossen wurde sie 2009. Damals waren ökologische Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit ein wichtiges Thema in der politischen Öffentlichkeit. Die und die Schuldenbremse in der Verfassung sollte der damaligen schwarz-gelben Koalition dazu dienen, diesem Zeitgeist Referenz zu erweisen. Die deshalb neu erfundene „finanzielle Nachhaltigkeit“ sollte dafür sorgen, dass spätere Generationen nicht für die Konsumausgaben der gegenwärtigen aufkommen müssten. Das war damals und ist noch heute ein nationaler Sonderweg, der es deutschen Finanzministern ermöglicht hat, als Lehrmeister und Tugendwächter für den Rest der Welt aufzutreten. In der ökonomischen Wirklichkeit ist diese Selbstfesselung nicht begründet – fast alle führenden Ökonomen und Institutionen (wie zuletzt der Internationale Währungsfond) halten es für Wohlstandsvernichtung, wenn der Staat in einer Konjunkturdelle spart oder an einer historischen Weggabelung der Weltwirtschaft auf die notwendigen Innovationen verzichtet.
Die Schuldenbremse wird auch von der CDU-Führung propagiert, gewiss. Dass sie hält, wenn die heutige Opposition in die Regierung eintritt, ist allerdings mehr als unwahrscheinlich. Die meisten Ministerpräsidenten und Bürgermeister:innen der Partei fordern längst Lockerungen. Und der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hat die Ampel aufgefordert, ein Sondervermögen Ukraine aufzulegen, das tatsächlich den militärischen Bedarf für das angegriffene Land deckt – mit anderen Worten: Die Schuldenbremse zu umgehen. Also genau das zu tun, was heute der FDP-Finanzminister Ampel verweigert.
Frau Strack-Zimmermann, die Spitzenkandidatin der FDP für Europa, ist deshalb in einer absurden Situation (die sie höchst professionell überspielt). Während sie „mehr“ Unterstützung zu fordert, ist es ihr eigener Parteivorsitzender, der die notwendigen langfristigen und stabilen finanziellen Garantien für die Ukraine blockiert. Wie diese Doppelstrategie bei den Wähler:innen ankommt, bleibt abzuwarten.
Christian Lindner hingegen hat sich in einer Blase eingepuppt. Die Wirklichkeit bleibt draußen. Klima, Ukraine, Weltwirtschaft – alles schlimm, aber ihm geht es hier um die drohende Niederlage der eigenen Partei. Während draußen die globalen Stürme toben, spielen wir drinnen Normalität, träumen uns noch einmal zurück in die scheinbar so stabile Welt der Merkel-Jahre, die zwar schon überall Risse zeigte, für deren Stabilität aber im Zweifel die Kanzlerin persönlich einstand. Wir waren der weiche Bauch Europas. So etwas wie Grenzen, die wir zu verteidigen hätten, gab es seit 1989 endgültig nicht mehr. Wer in Westdeutschland aufgewachsen ist, auch wenn er oder sie in die Politik gegangen ist, lebte in einer scheinbar unendlichen Friedenszeit und unter einem amerikanischen Schutzschirm. Im Osten gab es die Anwesenheit einer sowjetischen Armee. Beide schienen von Natur aus da zu sein. Sie befanden sich außerhalb unseres Entscheidungshorizontes, so selbstverständlich und unveränderlich wie das Klima oder die globalen ökonomischen Hierarchien. Es waren politische Minderheiten, viele davon Grüne, die davor warnten, dass ein gewaltliebendes Mafiaregime das freiheitliche Europa bedrohen und erpressen könne und die technische Basis für Energieerzeugung, Mobilität oder Kommunikation völlig neu gebaut werden müsse. Der Ärger über diese Boten der Veränderung treibt große Teile der deutschen Öffentlichkeit und Politik noch immer. Obwohl andere Parteien regiert haben, sind nun die Kassandras nun an allem schuld.
Dass die Ampel und insbesondere ihr Finanzminister sich noch einmal aus der selbstgestellten Falle befreien und ein Haushaltsgesetz beschließen können, ist nicht wahrscheinlich. Dazu ist der Politiker Christian Lindner nicht souverän genug und die Angst vor den eigenen Freunden zu groß, denen man plötzlich eine neue Geschichte erzählen müsste. Letztlich wird die Ampel an dieser ideologischen Fixierung scheitern, die die FDP hindert, das zu tun, was angesichts der Wirklichkeit notwendig ist. Man fürchtet, den eigenen Anhang endgültig zu verprellen. Dabei ist genau diese Feigheit gegenüber den eigenen Freunden – nur scheinbar paradox – der sicherste Weg unter die fünf Prozent.