vondie verantwortlichen 23.07.2023

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Thorsten Frei hat den Vorschlag gemacht, das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen und aus dem Grundgesetz zu streichen. Das Recht auf Asyl ist Bestandteil der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen. Und nein, das deutsche Asylrecht verdankt sich nicht einem hypermoralischen Sonderweg deutscher Gutmenschen, wie es der ewige CDU-Kronprinz Jens Spahn nahelegen möchte. Sondern jener freiheitlichen Tradition, die in der Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben wurde.

An der Realität von Flucht und Migration in Deutschland, das haben Rechtsexpert:innen inzwischen dargelegt, würde die vorgeschlagene Streichung des Asylparagraphen im Grundgesetz wenig ändern. Diese wäre zwar mit 2/3 Mehrheit möglich. Unveränderbar ist aber die Präambel: Die Formulierung über die Achtung der Menschenwürde. Sie verbietet es, Geflüchtete in Kriegsgebiete abzuschieben oder Opfer von Verfolgung ihren Peinigern auszuliefern. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention ist in diesem Punkt völlig klar, ebenso wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Verändern würde sich lediglich der Schutzstatus der Asylsuchenden, die künftig nur noch subsidiären Schutz bekommen könnten. Noch nicht einmal auf den Bezug von Sozialleistungen hätte Freis Vorschlag Einfluss, auch wenn er behauptet, man könne Asylsuchenden dann beliebig die Unterstützung kürzen. Denn auch das widerspricht der Menschenwürde.

Haben Herr Frei und die anderen politischen Laubbläser diese im Grundgesetz verankerte Realität des Rechtsstaats „übersehen“? Oder kommt es darauf gar nicht an, weil es bei diesem „Diskussionsbeitrag“ eigentlich um etwas anderes geht?

Teile des Bürgertums haben längst Lebensformen übernommen, die sie noch vor kurzem mit aller Kraft bekämpft haben

Konservative haben es nicht leicht in Zeiten, in denen sich alles ändert. Die letzten Jahrzehnte haben fast alles weggepustet, was sich als „konservativ“ verstehende Politiker:innen als Grundpfeiler ihrer Überzeugungen angesehen haben: Die Vorstellungen von Ehe und Familie, die traditionellen Geschlechter- und Gewaltordnungen, die Erziehungsmethoden, die Hierarchien in den Betrieben und Verwaltungen. Alles ist inzwischen neu, und auch die „konservativen“ Teile des Bürgertums haben längst Lebensformen übernommen, die sie noch vor kurzem mit aller Kraft bekämpft haben. Nicht einmal das Christentum, in früheren Zeiten eine feste Burg, taugt noch als Schutzraum, eher ist es selbst auf politischen Schutz angewiesen. Zwar ist es im Politiksprech noch üblich, manche Parteien als „bürgerlich“ zu bezeichnen (was sind dann die anderen? Proletarisch?). In ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit unterscheiden sie sich nicht mehr. Die moderne Sexualordnung, die gewaltfreie Erziehung, der rationale Umgang zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmern haben sich durchgesetzt.

Politische Ziele, die Konservative exklusiv vertreten und an denen sie sich dauerhaft festhalten können, gibt es demnach nicht mehr. Ihre Vordenker wie der Mainzer Politologe Andreas Rödder sehen Konservativismus deshalb eher als eine Haltung, eine Methode skeptischen Abwägens und pragmatischen Handelns. Die Chance für konservativer Politiker:innen würde dann darin liegen, durch vernünftiges Reden Vertrauen zu gewinnen – und den gesellschaftlichen Wandel zu begleiten. Also das, was in vielen Landesregierungen stattfindet und was Angela Merkel 16 Jahre lang praktiziert hat. Das ihr entgegengebrachte Vertrauen hat der CDU in dieser Zeit zu einem komfortablen Vorsprung vor allen politischen Wettbewerbern verholfen. Gewiss, der Preis ihrer Politik war allzu häufig die Vermeidung kontroverser Entscheidungen, auch solcher, die dringend nötig gewesen wären – die neue Regierung kann ein Lied davon singen. Gesellschaftlich hingegen war Merkels Konservatismus erfolgreich. Sie ist, wenn auch mit etwas Abstand, zuverlässig dem Zeitgeist gefolgt, auch bei Themen, für die Teile der Partei lieber den Kulturkampf ausgerufen hätten. Die gleichgeschlechtliche Ehe etwa hat die CDU-geführte Regierung deshalb nicht beschlossen, sondern irgendwie durchrutschen lassen. In Frankreich haben die Konservativen dagegen hunderttausende auf die Straße gebracht – und sind seither bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft.

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Merkels sich als „konservativer“ verstehende Kritiker:innen bis hin zum heutigen Vorsitzenden der CDU haben ihr die Liberalisierung der Partei trotzdem nicht verziehen. Genauer erklären, welche dieser Fortschritte sie zurücknehmen würden, wenn sie denn könnten, möchten sie aber auch nicht. Wollen sie die früher weit verbreiteten gewalttätigen Erziehungsmethoden wieder einführen (der Spruch „eine Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet“ war noch vor kurzem eine der am weitesten verbreiteten Falschbehauptungen)? Oder geht es darum, die Homoehe wieder abzuschaffen? Um Frauengleichstellung? Auch wenn sie irgendwie alles falsch gemacht zu haben scheint: Angela Merkel ist es gelungen, mit der CDU/CSU eine große konservative Partei in Europa zu erhalten.

Der Spaltpilz wächst und gedeiht

Ihre Nachfolger allerdings sind auf dem besten Wege, diese Partei aufzulösen. Der Spaltpilz wächst und gedeiht. Anstatt politische Alternativvorschläge zur Regierungspolitik zu entwickeln hängt sich die CDU an Kampagnen des Springer-Konzerns an, während sich ihr Vorsitzender in kulturkämpferischen Nebensächlichkeiten und politischer Beliebigkeit verläuft. Von seinem Versprechen, die Zahl der AfD-Wähler:innen zu halbieren, ist nichts geblieben – tatsächlich hat sie sich zuletzt verdoppelt. Inzwischen wird er vom liberal-pragmatische Flügel der Union bei der Frage der Kanzlerkandidatur herausgefordert – nachdem er die Grünen, also die Koalitionspartner seiner Partei in sechs Bundesländern, zum Hauptgegner erklärt hat. Wie die CDU/CSU im Bund unter seiner Führung eine Regierungsmehrheit zustande bringen will, verrät er nicht.

Jetzt also das Asyl-Manöver des Thorsten Frei. Selbst wenn es erfolgreich wäre, würde es, wie gesagt, an der Zahl der Asylbewerber:innen und am notwendigen Aufwand bei der Prüfung ihres Bleiberechtes, nichts ändern. Aber es würde den Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, einen Teil der Anerkennung nehmen, die sie als politische Flüchtlinge verdienen. Der historische Zusammenhang zwischen den Deutschen, die vor den Nazis flüchten mussten und den heutigen Asylbewerbern würde unsichtbar. In der Diskussion ginge es nicht mehr um die Schicksale von Menschen, sondern um eine alljährliche Willkürentscheidung über ihre Zahl, die aufzunehmenden „Kontingente“ – ein Streit, der Europa dauerhaft lähmen würde. Weil die Kontingentlösung aber niemanden hindert, sich trotzdem hierher durchzuschlagen und sich auf den Schutz der Menschenwürde zu berufen, würde eine neue Kategorie unerwünschter Geflüchteter geschaffen. Zugleich wäre die öffentliche „Diskussion“ über ihre finanzielle Schlechterstellung und Zwangsmaßnahmen aller Art von historischen und moralischen Skrupeln entlastet.

Niemand wird bestreiten, dass die praktische Umsetzung des Asylrechts in Europa und Deutschland verbesserungswürdig ist. Damit es ganz abgeschafft werden kann müssten aber die Mehrheitsverhältnisse in der deutschen Politik völlig umgekrempelt werden. Ist der „Diskussionsbeitrag“ des CDU-Spitzenpolitikers Thorsten Frei als erster Schritt auf einem solchen Weg gedacht? Der CDU-Vorsitzende befand schließlich, es sei ein sehr guter Diskussionsbeitrag.

Die schlimmen Bilder vom CSU-Parteitag 2018, auf dem Horst Seehofer seinen Gast, die deutsche Bundeskanzlerin minutenlang demütigte, haben sich vielen Bürger:innen ins Gedächtnis eingebrannt. Aber Seehofer trotz allem ist nie so weit gegangen: Einen radikalen Vorschlag zu machen, der praktisch nichts bewirkt – der aber, wenn er weiter verfolgt wird, trotzdem ausreicht, die politische Landschaft der Bundesrepublik umzupflügen. Weil es dafür nur einen politischen Partner gibt.

Oder geht es wieder nur um eine der bekannten „Asyldiskussionen“, also eine Kampagne, die in Wahrheit davon handelt, wie man einen in der Öffentlichkeit wehrlosen Teil der Bevölkerung besser demütigen kann? Während man zugleich die „Gutmenschen“, die dem widersprechen, als Volksfeinde denunziert? Hat die deutsche CDU inzwischen so wenig Substanz, dass sie glaubt, auf jene menschenfeindliche und überhebliche Schrumpfform des Konservatismus setzen zu müssen, die von der Herabwürdigung all jener lebt, die man für schwächer hält? Nicht wenige konservative Parteien in Europa haben diesen Weg gewählt und sind dabei verloren gegangen.

Wäre Friedrich Merz eine Frau, er würde über seinen Rücktritt nachdenken.

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