vondie verantwortlichen 06.08.2024

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Neulich habe ich mich für eine Stelle beworben. Es wird nämlich eine Revolution geplant, und ich möchte dabei sein. Ich bin zwar schon im sogenannten Rentenalter aber derjenige, der den Boss spielen will, ist noch deutlich älter. Einsatzort wäre immerhin Washington DC. Dort sollen, wenn der Alte die Wahl gewinnt, zwischen fünfzig und zweihunderttausend Beschäftigte entlassen werden, gefeuert eben. Die Leute, die derzeit den mächtigsten Staatsapparat der Welt am Laufen halten, haben nämlich nach Ansicht der republikanischen Partei und ihres Präsidentschaftskandidaten Trump einen „deep state“ gebildet, der eine eigene Agenda verfolgt und schon während seiner ersten vier Jahre der konservativen Führung Hindernisse in den Weg gelegt. Eine Verordnung, die die anlasslose Entlassung eines großen Teils der Beschäftigten der amerikanischen Regierung ermöglicht hätte, hatte Trump am Ende seiner Amtszeit vor vier Jahren noch unterzeichnet. Aber dann wurde er abgewählt und Joe Biden hat sie einkassiert.

Inzwischen rechnen sich die Republikaner neue Chancen aus, deshalb haben sich 110 konservative Organisationen, darunter die mächtige Heritage Foundation zusammengetan und ein „Projekt 2025“ entwickelt. Das Vorhaben hinter diesem Namen ist weit mehr als ein normales Regierungsprogramm.

„It is not enough for conservatives to win elections. If we are going to rescue the country from the grip of the radical Left, we need both a governing agenda and the right people in place, ready to carry this agenda out on Day One of the next conservative Administration.“

Es gilt also, einige zehntausend neue Bedienstete zu finden. Sie sollen über eine Website (https://www.project2025.org) angeworben, geschult und ausgewählt werden. Außerdem sollen sie selbst Vorschläge machen, die die Agenda ergänzen können. Die Schulung erfolgt online, sie ist kostenlos und dauert 3 Monate. Am Ende steht eine Prüfung und man erhält ein Zertifikat. Also habe ich mich da mal beworben.

Geplant ist demnach ein völlig neuer Regierungsapparat – ein anderer Staat. Die Revolutionäre früherer Zeiten hätten von einer derart gemütlichen Machtergreifung nicht einmal träumen können.

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All die internen Konflikte, wenn man einmal an die Macht gelangt ist – durch Wahlsieg, Putsch, Aufstand oder Bürgerkrieg – hier sollen sie einfach ausfallen. Stattdessen werden nach einem Wahlsieg die „richtigen Leute“ quasi automatisch auf die richtigen Plätze geschoben. Und das, was dort zu tun ist, sollen sie in den Vorbereitungskursen schon gelernt haben.

Gewiss: In Demokratien ist es üblich, dass nach Regierungswechseln ein paar Spitzenbeamte in den Ministerien ausgetauscht werden. In Deutschland kann eine neue Regierung die sogenannten politischen Beamten in den „einstweiligen Ruhestand“ schicken, da werden sie dann noch zwei Jahre weiterbezahlt, bevor sie sich etwas Neues suchen müssen. Nur geht es da um ein paar Dutzend Leute. In den USA sind es mehr, dort müssen sich nach dem Wechsel des Präsidenten üblicherweise ca. 4000 Führungskräfte einen neuen Job suchen.

Beim Projekt 2025 allerdings geht es nicht um demokratische Macht, die auf Zeit ausgeübt werden soll. Die Abschaffung des parteiunabhängigen öffentlichen Dienstes mit seinen Regeln und Hierarchien wäre auch in den USA ein Systembruch. Begründet wird er, indem die Menschen, die bisher in den Ministerien und Agenturen gearbeitet haben, zu „Linksradikalen“ erklärt und durch für „konservativ“ erklärte Leute ersetzt werden sollen. Es geht also tatsächlich um eine Revolution – eine Revolution gegen die demokratischen Institutionen selbst. Denn deren Grundprinzip ist die Möglichkeit des demokratischen Wechsels. Durch die ausschließlich parteipolitische Besetzung aller staatlichen Institutionen würde er zumindest erschwert, wenn nicht blockiert werden. Wer so etwas plant, hat nicht vor, in vier oder acht Jahren wieder zu gehen.

Wie „Linksradikale“ die Ministerien und Behörden der USA erobern konnten, während in den letzten dreißig Jahren Republikaner und Demokraten abwechselnd das Land regierten, erklärt das „Projekt 2025“ nicht. Dabei ist das eine sehr merkwürdige Behauptung. Wer in Deutschland (im übrigen Europa dürfte es ähnlich sein) die Gelegenheit hatte, ein Ministerium oder eine Kommunalbehörde von innen kennen zu lernen, konnte dort eine Vielfalt sehr verschiedener Menschen und Meinungen treffen – nur eben keine Linksradikalen. Allerdings: Man trifft dort Menschen, die erklären können, weshalb der eine oder andere geniale Plan nicht funktionieren wird, selbst wenn er dem Kopf der Ministerin oder des Bürgermeisters persönlich entsprungen ist. Die darauf hinweisen, dass diese oder jene Maßnahme ungesetzlich wäre und wie genau die Gleichbehandlung aller Bürger:innen zu verstehen ist. Diese Form der Störung des exekutiven Handelns durch öffentlich Bedienstete soll in den USA künftig unterbleiben, deshalb sollen sie durch Anhänger einer (in diesem Fall rechtsextremen) Bewegung ersetzt werden.

Staatliche Verwaltungen sollen in modernen Demokratien zwar politisch gesetzte Ziele verwirklichen, selbst aber unpolitisch sein. Meist sind sie es auch: Parteipolitische Quertreiberei gibt es zwar, sie ist aber nicht die Regel. Das gilt auch für die USA. Nur hat sich dort der konservative politische Diskurs nach rechts außen verschoben. Als „radikal“ gelten inzwischen Haltungen und Menschen, die an den selbstverständlichen Voraussetzungen des staatlichen Handelns in einer Demokratie festhalten wollen: Dass der Staat an Gesetze gebunden ist, zum Beispiel, dass selbst ein Präsident oder Bundeskanzler nicht einfach irgendwem irgendetwas befehlen kann oder dass Menschenrechte für alle gelten. Es sind solche Haltungen, die die erste Trump-Administration gebremst haben – und mit dem „Projekt 2025“ künftig unmöglich gemacht werden sollen.

Das Projekt richtet sich damit gegen beide „alten“ amerikanischen Parteien bzw. ihre institutionellen Voraussetzungen. Wenn in der rechtsextremen Welt des „Projekt 2025“ alle, die aus irgendeinem Grund andere Meinungen vertreten, als „linksradikal“ bezeichnet werden, dient das dazu, die bisher üblichen Begriffe der politischen Kommunikation wie liberal, links, republikanisch, demokratisch, einfach abzuschaffen. Und mit ihnen die politische Mitte samt ihrem Markenzeichen, einer Sprache, die Kompromisse ermöglichen soll. Weil stattdessen rechtsradikal regiert werden soll, zu hundert Prozent. Und damit die Macht unbegrenzt direkt und ungefiltert von oben nach unten wirkt.

Kann so etwas funktionieren? Die Hoffnung, dass den Amerikaner:innen und dem Rest der Welt die Probe aufs Exempel erspart bleibt, ist dank Kamala Harris gerade etwas gewachsen. Eine Trump-Regierung, die diesmal glaubt, direkt durchgreifen zu können, würde das absolute Chaos bedeuten. Der Regierungsapparat der Weltmacht Amerika ist noch weit komplizierter als der deutsche. Trump und seine Gefolgsleute haben in vier Regierungsjahren nicht gelernt, ihn zu steuern. Dass es diesmal besser klappt, wenn man es mit der Kettensäge versucht, ist nicht zu erwarten.

Nur soll man die extreme Rechte nicht für so dumm halten, wie sie spricht und sich aufführt. Sie weiß natürlich, dass das Totalverbot von Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe oder die Deportation von 11 Millionen Einwander:innen nicht, wie in dem Projekt angekündigt, stattfinden werden. Auch in Deutschland werden sich die lautesten Kritiker:innen der grün versifften Liberalisierung der 68er Jahre, die Weidels und Spahns hüten, Verhältnisse zurück zu drehen, die ihnen ihren liberalen Alltag erst ermöglichen.

Man darf also davon ausgehen, dass die Macher des Projektes 2025 eine Ahnung haben, wie eine Regierung funktioniert. Gerade deshalb ist ihr Erfolg bereits unübersehbar: Es ist ein doppelter Erfolg. In die eine Richtung verbreiten sie Angst und Irritation. Bei den Beschäftigten der Bundesbehörden, zehntausenden Menschen, die ihren Kolleg:innen nicht mehr trauen können und ihre Lebensplanung überdenken müssen. Bei vielen Millionen Menschen, besonders Zugewanderten und Angehörigen von Minderheiten, die so weit eingeschüchtert werden sollen, dass sie in der Öffentlichkeit nicht mehr sichtbar sind. In einer liberalen Öffentlichkeit, die mit dem Flirren des Trumpismus (Trump hat mitgeteilt, er kenne das Projekt 2025 nicht) an ihre Grenzen kommt.

Wirklich effizient wirkt dieses Projekt aber auf die eigenen Leute: Als große Einladung an die rechtsextremen Bewegungen und alle, die ihnen nahestehen. Endlich werden sie, die „right people“, persönlich angesprochen und aufgefordert, im liberal versifften Washington aufzuräumen. Das Projekt schenkt ihnen Aufmerksamkeit, fragt nach ihren Vorschlägen, verspricht die Aussicht auf ein Stück von der Macht und auf einen gut bezahlten Job. Einstweilen natürlich nur virtuell – aber vielleicht macht es gerade das besonders attraktiv. Es muss nicht zu hundert Prozent ernst genommen werden. Es setzt Fantasien frei: Ich könnte mir überlegen, die Politik in Washington zu verändern – obwohl ich eigentlich weiß, dass das Leben in einer Bürokratie nicht meins ist.

Gibt es da etwas zu lernen, wenn man Politik und Vernunft zusammenbringen will? Das hätte mich interessiert. Ich habe also auf der Website, wie gefordert, meine Mailadresse eingegeben, die Antwort sollte innerhalb von zwei Tagen kommen. Das ist jetzt über eine Woche her. Irgendwie klappt es nicht mit der versprochenen basisdemokratischen Beteiligung – was kein Wunder ist, denn tatsächlich funktionieren solche Websites ja hierarchischer, als es das Preußische Militär je konnte, bei dem die Befehle des Feldherrn über mindestens 7 Stationen von Generälen, Offizieren und Unteroffizieren weitergegeben werden mussten, bis am Ende ein Feldwebel die Schreibarbeit machte. Hier braucht es nur eine KI, die Leute mit der Mailendung .de automatisch aussortiert. Oder alle überprüft, die sich anmelden – und die „Linksradikalen“ nicht zum Zuge kommen lässt. Eine KI, die vermutlich Namen und Mailadresse nebenher speichert, Daten kann man schließlich nie genug haben.

Die Rechtsextremen in den USA haben mit dem Projekt 2025 der Kombination von virtueller Realität, politischer Bewegung und staatlicher Organisation ein neues Element hinzugefügt. Lenin zufolge sollte eine Köchin in der Lage sein, den Sowjetstaat zu regieren. Das konservativ-extremistische Amerika macht aus diesem dürftigen Satz ein attraktives und unterhaltsames Angebot: Politik als Spiel. Es spielt den Staat, es träumt sich in seine Aufgaben hinein und fügt ein paar hinzu, von denen jede/r weiß, dass sie nicht real sind (obwohl das am Ende natürlich der Chef entscheidet). Es verwendet Worte (z. B. „linksradikal“) mit neuen, aggressiv unterlegten Bedeutungen und richtet sie gegen andere Menschen, als das bisher üblich war. Auch diese neue Sprache ist Teil des Spiels. Und weil in der modernen, virtuell-realen Welt vollständige Kontrolle mühelos möglich ist, kann man Hunderttausende mitspielen lassen. Die Spieler:innen dürfen mitträumen: Ich darf der Staat sein, dann habe ich endlich viel Macht – oder könnte sie haben, wenn ich wirklich wollte. Ich könnte in einem 3-Monats-Kurs lernen, die USA zu regieren. Trump und seine Leute jedenfalls trauen mir viel zu, seine Leute schätzen meine Fähigkeiten.

Dass die digitalen Technologien die Informationsgrundlagen für moderne Politik verschieben, ist viel diskutiert worden. Die extreme Rechte geht in den USA mit ihrem Projekt 2025 einen Schritt weiter. Sie bezieht ihre Anhänger:innen direkt in die Entscheidungen über die gesellschaftliche Machtverteilung mit ein. Wenn die anderen, „the wrong people“, die Falschen eben, erst einmal weggejagt worden sind, sollen sie, so das Versprechen, die Hebel der Staatsmacht selbst übernehmen dürfen. Das Risiko, dass sie aufmucken oder quertreiben, ist gering, schließlich soll der neue Staat künftig genau so funktionieren wie die Website, die ihn vorbereitet. Die Errichtung des neuen autoritären Staates beginnt als Spiel. Und alle sollen glauben, dass sie mitspielen dürfen.

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https://blogs.taz.de/verantwortliche/spielen-sie-mit-hier-gibts-einen-echten-staat-zu-regieren/

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