Che sera sera, whatever will be will be…
Ein englischer Sammler erstellte einmal eine persönliche Hitliste
mit den hundert schlechtesten Künstlern. Er konnte sich immer
nicht entscheiden, wen er auf Platz 1 setzen sollte. David Hockney
oder Richard Serra.
Der Sammler ist ein gebildeter Mann, nicht mehr der Jüngste
und schon lange im künstlerischen Geschäft.
Neid kann es nicht sein, denn er beschäftigte sich mehr
mit angewandter Grafik, hat Platten-Cover
von Jimmy Hendrix gestaltet und ist inzwischen ein
renommierter Sammler. Seine Hitliste fiel mir wieder ein,
als ich in Bilbao eingeladen war, eine Ausstellung zu eröffnen
zum Thema Berlin. Zwei Fotografen, ein Amerikaner und eine
Spanierin, zeigten ihre Eindrücke aus dieser Stadt. Sie lebten und
arbeiteten dort für mehrere Jahre und da die Stadt ein sehr positives
Image hat, gaben sie der Foto-Ausstellung den schlichten Titel Berlin.
Ich sollte die Eröffnungsrede halten. Auf mich waren sie gekommen,
weil ihnen mein Katalogbeitrag so gut gefiel.
In meinem Text hatte ich das Wort Fotografie kein
einziges Mal erwähnt und auch nicht über die Fotos der beiden
Künstler geschrieben, vielmehr über die Leute gesprochen, die in
meinem Mietshaus wohnen und wie man mit der S- Bahn von meiner
Wohnung zur Friedrichstraße kommt.
Für meine Eröffnungsrede hatte ich mir
auf dem Flug von Berlin nach Bilbao etwas Ähnliches überlegt.
Ich wollte den Besuchern ein Stimmungsbild geben von meiner
Ankunft und den ersten Schritten durch ihre Stadt Bilbao und meine
Eindrücke mit einigen Berliner Impressionen unterfüttern.
Seitdem Bilbao das Guggenheim- Museum eröffnet hatte, mutierte
die verschlafene Provinzstadt zu einem Eldorado kunstinteressierter
japanischer und amerikanischer Sightseeing- Touristen. Zahlen? Bitte:
500 Prozent mehr Besucher in Bilbao als vor dem Bau, um nur eine
eine Zahl zu nennen. Dieser Andrang ist trotz ETA-Morden und
einer latent bedrohlichen und angstbesessenen Atmosphäre nur durch
den großartigen Bau des Museums durch Frank Gehry zu erklären.
Mein erster Weg vom Flughafen führt mich direkt dorthin.
David, mein Begleiter und einer der ausstellenden Berlin- Fotografen,
ist in der glücklichen Lage, temporär über einen Parklatz zu verfügen, der
sich unterhalb des Museums befindet und durch Heirat erworben
wurde. Seine Frau hat eine feste Anstellung im Guggenheim Museum.
Plötzlich taucht das Gehry -Gebäude in Teilen auf und verändert sich
in der Annäherung. Ein Gesamteindruck lässt sich von der Straße nicht
ausmachen, jedoch auch Teile des Museums beeindrucken von außen.
Innen ist eine Richard Serra -Ausstellung zu sehen, die gerade
aufgebaut wurde. Dieses Vorhaben
bedurfte einer aufwendigen Logistik, die sich für Serra lohnt.
Das Museum kauft für 18 Millionen Euro bei ihm ein.
Es ist ihm ein neuer künstlerischer Schritt gelungen. Seine bis dahin
überdimensional großen, starren Blöcke und krude rostige Eisenplatten
sind zu Halbkreisen geworden, die in Zweierreihen wie in einem Labyrinth
zusammengefügt stehen.
Serra gilt als der wichtigste lebende Bildhauer. Warum hebt ihn
ein ausgewiesener Fachmann- mein englischer
Freund- auf die Poolposition der schlechtesten Künstler?
Nach einem fünfminütigen Rundgang mit einer Freikarte durch die
Serra- Ausstellung, die wir auch in drei Minuten hätten
durchqueren können, geht es mit der Straßenbahn zur
Berlin- Foto- Ausstellungseröffnung.
Meine Rede wird simultan übersetzt. Der Raum ist sehr gut gefüllt.
Ich spreche von der Landung auf dem Bilbaoer Flughafen, den
ersten Eindrücken, der Fahrt zum Gerry- Gebäude und meiner
Hochachtung vor diesem Werk. Dann erwähne ich die Richard
Serra –Ausstellung und bemerke zufällig ein grimmassives
Verhalten der beiden Fotografen in der ersten Reihe, die dabei ihren
Oberkörper seitlich verdrehen. David legt einen Finger auf seine Lippen,
so als wollte er auf etwas Unaussprechliches hinweisen. Ähnliche
Zuckungen bemerke ich bei seiner Frau Erika.
Intuitiv verstehe ich diese Gesten, leite über zu den Arbeiten an den Wänden und
beginne über den Aufenthalt der Fotografen in Berlin zu erzählen.
Anschließend, nach Tapas, Smalltalk und Weiswein haben wir Zeit.
„Serra ist in Bilbao ein Heiliger, schön , dass du unsere Geste verstanden hast.
Wir wissen ja, du magst ihn nicht. Mann sollte ihn nicht kritisieren,
er ist der wichtigste Künstler im Guggenheim und das ist hier ein
Wirtschaftsfaktor“.
Eine Woche später eröffne ich wieder eine Ausstellung, diesmal in Paris.
Es werden Fotos von Jewgeni Chaldej aus der Sammlung Voller Ernst gezeigt
Am Nachmittag setzt ein Dauerregen ein, der in die Keller des Museums dringt.
Das französische technische Hilfswerk kommt und verschiebt die Eröffnung
auf den nächsten Tag. Ich habe Gelegenheit mit einer Mitarbeiterin des
Museums ins Gespräch zu kommen und schon nach fünf Minuten
sind wir in Bilbao, sprechen über das Gehry-Museum und Richard Serra.
An letzterem lässt sie jedes gute Haar. Sie ist persönlich mit ihm
befreundet und hat eine Ausstellung von Serra in einem anderen
Museum kuratiert. Die Information, eine der Serra Plastiken trage
sogar den Namen ihrer Tochter befremdet mich, gibt mir
aber auch die Gelegenheit, etwas über die Aura zu erzählen,
die um das Werk gestrickt wird. Versucht man, diese Aura abzustreifen,
bleiben rohe rostige Eisenteile zurück, erkläre ich und drücke gleichzeitig meine
Ablehnung aus. Zögernd erzählt sie mir, dass sie den “ganzen Laden satt
hatte“, diese Leute , die Künstler, diese „ganze Show“, unerträglich.
Sie habe ihren Job gekündigt und an diesem historischen Museum angeheuert,
eine gute Idee sei das gewesen.
Die Rückreise unterbrach ich in Münster, um im Landesmuseum für Kunst
einen Vortrag über die „Retusche in der russischen Fotografie“ zu halten.
Die Techniker hatten einige Probleme, meine CD auf die Leinwand zu bringen
und ich noch etwas Zeit, mich im Museum umzuschauen.
Der Vortragssaal grenzt an einen Innenhof, dessen Türen verschlossen waren.
Ich bat, diese zu öffnen, um mich in Ruhe dort auf den Vortrag zu konzentrieren..
Im Hof standen einige Skulpturen. In der äußersten Ecke ragte ein etwa zehn
Meter hoher dunkler Eisenkubus in den Himmel. Bei näherer Betrachtung
fehlte die Füllung und der Block offenbarte ein fehlende vierte Wand.
Drei rostige Eisenplatten hatte der Künstler zu einer U- Winkel
zusammengeschweißt. Es musste ein Künstler gewesen sein, denn
das Objekt steht im Skulpturengarten eines bedeutenden Museums.
Auf irgendeiner Baustelle hätte es sicherlich eine Verwendung
gefunden, doch hier dominierte die pure Ästhetik.
Diese schrumpfte gegen Null. Die Skulptur wirkte wie
vergessen, nicht abgeholt, ohne jede Aura. Meine Vermutung,
es handele sich um einen echten Serra, wurde bestätigt.
„Eines der teuersten Kunstwerke, das jemals von einem lebenden
Künstler für das Museum gekauft wurde“, hörte ich.
Mit einer kleinen Olympus umkreiste ich das Objekt und machte einige
Aufnahmen.
Diese schickte ich an den Chefredakteur der Titanic, mit dem Vorschlag,
die schlechtesten zeitgenössischen Kunstwerke ever in einer
ständigen Rubrik monatlich zu veröffentlichen und das beigefügte
sei die Nummer 1.
Nach einigen Wochen antwortete der Chefredakteur, er und seine
Frau hätten es sich nicht leicht gemacht,
eine sehr reizvolle Rubrik, aber eigentlich kein
Satirethema, man wisse doch was für ein „Affenzirkus“
in der heutigen Kunstszene veranstaltet wird, da wolle man nicht auch
noch mitmischen. Die Antwort konnte ich akzeptieren.
Zur gleichen Zeit veröffentlicht der Spanien- Korrespondent der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine nach seinen Worten
„unglaubliche Story“. Durch Umbesetzung in der Spitze des Museums
Reina Sofia in Madrid ist nach einem Jahr
der Verlust einer Skulptur bemerkt worden. Erkundigungen
ergaben, diese sei seit 1993 verlustig und trotz sorgfältigen
Recherchen nicht mehr aufzufinden.
Die Skulptur wog 36 Tonnen und war von Richard Serra.