vonErnst Volland 02.08.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

Mehr über diesen Blog

Che sera sera, whatever will be will be…

Ein englischer Sammler erstellte einmal eine persönliche Hitliste

mit den hundert schlechtesten Künstlern. Er konnte sich immer

nicht entscheiden, wen er auf Platz 1 setzen sollte. David Hockney

oder Richard Serra.

Der Sammler ist ein gebildeter Mann, nicht mehr der Jüngste

und schon lange im künstlerischen Geschäft.

Neid kann es nicht sein, denn er beschäftigte sich mehr

mit angewandter Grafik, hat Platten-Cover

von Jimmy Hendrix gestaltet und ist inzwischen ein

renommierter Sammler. Seine Hitliste fiel mir wieder ein,

als ich in Bilbao eingeladen war, eine Ausstellung zu eröffnen

zum Thema Berlin. Zwei Fotografen, ein Amerikaner und eine

Spanierin, zeigten ihre Eindrücke aus dieser Stadt. Sie lebten und

arbeiteten dort für mehrere Jahre und da die Stadt ein sehr positives

Image hat, gaben sie der Foto-Ausstellung den schlichten Titel Berlin.

Ich sollte die Eröffnungsrede halten. Auf mich waren sie gekommen,

weil ihnen mein Katalogbeitrag so gut gefiel.

In meinem Text hatte ich das Wort Fotografie kein

einziges Mal erwähnt und auch nicht über die Fotos der beiden

Künstler geschrieben, vielmehr über die Leute gesprochen, die in

meinem Mietshaus wohnen und wie man mit der S- Bahn von meiner

Wohnung zur Friedrichstraße kommt.

Für meine Eröffnungsrede hatte ich mir

auf dem Flug von Berlin nach Bilbao etwas Ähnliches überlegt.

Ich wollte den Besuchern ein Stimmungsbild geben von meiner

Ankunft und den ersten Schritten durch ihre Stadt Bilbao und meine

Eindrücke mit einigen Berliner Impressionen unterfüttern.

Seitdem Bilbao das Guggenheim- Museum eröffnet hatte, mutierte

die verschlafene Provinzstadt zu einem Eldorado kunstinteressierter

japanischer und amerikanischer Sightseeing- Touristen. Zahlen? Bitte:

500 Prozent mehr Besucher in Bilbao als vor dem Bau, um nur eine

eine Zahl zu nennen. Dieser Andrang ist trotz ETA-Morden und

einer latent bedrohlichen und angstbesessenen Atmosphäre nur durch

den großartigen Bau des Museums durch Frank Gehry zu erklären.

Mein erster Weg vom Flughafen führt mich direkt dorthin.

David, mein Begleiter und einer der ausstellenden Berlin- Fotografen,

ist in der glücklichen Lage, temporär über einen Parklatz zu verfügen, der

sich unterhalb des Museums befindet und durch Heirat erworben

wurde. Seine Frau hat eine feste Anstellung im Guggenheim Museum.

Plötzlich taucht das Gehry -Gebäude in Teilen auf und verändert sich

in der Annäherung. Ein Gesamteindruck lässt sich von der Straße nicht

ausmachen, jedoch auch Teile des Museums beeindrucken von außen.

Innen ist eine Richard Serra -Ausstellung zu sehen, die gerade

aufgebaut wurde. Dieses Vorhaben

bedurfte einer aufwendigen Logistik, die sich für Serra lohnt.

Das Museum kauft für 18 Millionen Euro bei ihm ein.

Es ist ihm ein neuer künstlerischer Schritt gelungen. Seine bis dahin

überdimensional großen, starren Blöcke und krude rostige Eisenplatten

sind zu Halbkreisen geworden, die in Zweierreihen wie in einem Labyrinth

zusammengefügt stehen.

Serra gilt als der wichtigste lebende Bildhauer. Warum hebt ihn

ein ausgewiesener Fachmann- mein englischer

Freund- auf die Poolposition der schlechtesten Künstler?

Nach einem fünfminütigen Rundgang mit einer Freikarte durch die

Serra- Ausstellung, die wir auch in drei Minuten hätten

durchqueren können, geht es mit der Straßenbahn zur

Berlin- Foto- Ausstellungseröffnung.

Meine Rede wird simultan übersetzt. Der Raum ist sehr gut gefüllt.

Ich spreche von der Landung auf dem Bilbaoer Flughafen, den

ersten Eindrücken, der Fahrt zum Gerry- Gebäude und meiner

Hochachtung vor diesem Werk. Dann erwähne ich die Richard

Serra –Ausstellung und bemerke zufällig ein grimmassives

Verhalten der beiden Fotografen in der ersten Reihe, die dabei ihren

Oberkörper seitlich verdrehen. David legt einen Finger auf seine Lippen,

so als wollte er auf etwas Unaussprechliches hinweisen. Ähnliche

Zuckungen bemerke ich bei seiner Frau Erika.

Intuitiv verstehe ich diese Gesten, leite über zu den Arbeiten an den Wänden und

beginne über den Aufenthalt der Fotografen in Berlin zu erzählen.

Anschließend, nach Tapas, Smalltalk und Weiswein haben wir Zeit.

„Serra ist in Bilbao ein Heiliger, schön , dass du unsere Geste verstanden hast.

Wir wissen ja, du magst ihn nicht. Mann sollte ihn nicht kritisieren,

er ist der wichtigste Künstler im Guggenheim und das ist hier ein

Wirtschaftsfaktor“.

Eine Woche später eröffne ich wieder eine Ausstellung, diesmal in Paris.

Es werden Fotos von Jewgeni Chaldej aus der Sammlung Voller Ernst gezeigt

Am Nachmittag setzt ein Dauerregen ein, der in die Keller des Museums dringt.

Das französische technische Hilfswerk kommt und verschiebt die Eröffnung

auf den nächsten Tag. Ich habe Gelegenheit mit einer Mitarbeiterin des

Museums ins Gespräch zu kommen und schon nach fünf Minuten

sind wir in Bilbao, sprechen über das Gehry-Museum und Richard Serra.

An letzterem lässt sie jedes gute Haar. Sie ist persönlich mit ihm

befreundet und hat eine Ausstellung von Serra in einem anderen

Museum kuratiert. Die Information, eine der Serra Plastiken trage

sogar den Namen ihrer Tochter befremdet mich, gibt mir

aber auch die Gelegenheit, etwas über die Aura zu erzählen,

die um das Werk gestrickt wird. Versucht man, diese Aura abzustreifen,

bleiben rohe rostige Eisenteile zurück, erkläre ich und drücke gleichzeitig meine

Ablehnung aus. Zögernd erzählt sie mir, dass sie den “ganzen Laden satt

hatte“, diese Leute , die Künstler, diese „ganze Show“, unerträglich.

Sie habe ihren Job gekündigt und an diesem historischen Museum angeheuert,

eine gute Idee sei das gewesen.

Die Rückreise unterbrach ich in Münster, um im Landesmuseum für Kunst

einen Vortrag über die „Retusche in der russischen Fotografie“ zu halten.

Die Techniker hatten einige Probleme, meine CD auf die Leinwand zu bringen

und ich noch etwas Zeit, mich im Museum umzuschauen.

Der Vortragssaal grenzt an einen Innenhof, dessen Türen verschlossen waren.

Ich bat, diese zu öffnen, um mich in Ruhe dort auf den Vortrag zu konzentrieren..

Im Hof standen einige Skulpturen. In der äußersten Ecke ragte ein etwa zehn

Meter hoher dunkler Eisenkubus in den Himmel. Bei näherer Betrachtung

fehlte die Füllung und der Block offenbarte ein fehlende vierte Wand.

Drei rostige Eisenplatten hatte der Künstler zu einer U- Winkel

zusammengeschweißt. Es musste ein Künstler gewesen sein, denn

das Objekt steht im Skulpturengarten eines bedeutenden Museums.

Auf irgendeiner Baustelle hätte es sicherlich eine Verwendung

gefunden, doch hier dominierte die pure Ästhetik.

Diese schrumpfte gegen Null. Die Skulptur wirkte wie

vergessen, nicht abgeholt, ohne jede Aura. Meine Vermutung,

es handele sich um einen echten Serra, wurde bestätigt.

„Eines der teuersten Kunstwerke, das jemals von einem lebenden

Künstler für das Museum gekauft wurde“, hörte ich.

Mit einer kleinen Olympus umkreiste ich das Objekt und machte einige

Aufnahmen.

Diese schickte ich an den Chefredakteur der Titanic, mit dem Vorschlag,

die schlechtesten zeitgenössischen Kunstwerke ever in einer

ständigen Rubrik monatlich zu veröffentlichen und das beigefügte

sei die Nummer 1.

Nach einigen Wochen antwortete der Chefredakteur, er und seine

Frau hätten es sich nicht leicht gemacht,

eine sehr reizvolle Rubrik, aber eigentlich kein

Satirethema, man wisse doch was für ein „Affenzirkus“

in der heutigen Kunstszene veranstaltet wird, da wolle man nicht auch

noch mitmischen. Die Antwort konnte ich akzeptieren.

Zur gleichen Zeit veröffentlicht der Spanien- Korrespondent der

Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine nach seinen Worten

„unglaubliche Story“. Durch Umbesetzung in der Spitze des Museums

Reina Sofia in Madrid ist nach einem Jahr

der Verlust einer Skulptur bemerkt worden. Erkundigungen

ergaben, diese sei seit 1993 verlustig und trotz sorgfältigen

Recherchen nicht mehr aufzufinden.

Die Skulptur wog 36 Tonnen und war von Richard Serra.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/vollandsblog/2006/08/02/che-sera-sera-whatever-will-be-will-be/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert