vonErnst Volland 21.08.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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In der Hochschule der Künste

war keine fallende Stecknadel zu hören.

An der Wand flimmerten Filme der Wiener

Aktionisten Mühl, Brus und Nitsch.

Die Hälfte der Zuschauer wohnte seit einiger Zeit

in Kommunen, Fabriketagen und Wohngemeinschaften.

Der menschliche Körper in all seinen Ausdünstungen

konnte ihnen nicht fremd sein. Doch was sie hier

auf der kleinen Leinwand in schwarz/ weiß sahen,

war nicht jedermanns Kost. Der eine Künstler kippte Liter mit

Blut über seinen Körper, der andere bewarf sich mit

blutigen Fleischklumpen und der dritte kackte einer

Partnerin in den Mund. Die Vorführung diente

der Berufung für eine ordentliche Kunstprofessur

an der Hochschule für Bildende Künste.

Im Anschluss an die Filmvorführung erwartete das Publikum

eine Live-Performance des Künstlers Günter Brus, der an diesem Tag

jedoch verhindert war und als einer der Favoriten

galt. Die Performance wurde um zwei Tage verschoben,

und der Ort in eine Dahlemer Villa verlegt.

Bernd saß vor der Leinwand und würgte.

Am Tag zuvor war er zu einer Ärztin

gegangen, einer Spezialistin für Geschlechtskrankheiten,

Die Schmerzen in seinem Glied wurden unerträglicher.

Seinen Penis überwucherten hunderte von kleinen

Warzen und besonders stark verdichteten sie sich auf der

Eichel, die wie ein kleiner Blumenkohl aussah.

Die Ärztin hatte ihre Praxis am Kudamm. Die

Behandlung dauerte eine halbe Stunde, assistiert von zwei

Helferinnen, beide etwa zwanzig Jahre alt.

Mit einem Spezialmesser schabte die Ärztin die Warzen von

seinem Penis, und eine der Helferinnen tupfte

in Abständen das frische Blut von seiner Wunde, die durch

das Schaben entstand. Die Stelle wurde nicht lokal betäubt

und brannte, als ob sein Penis in einer Pfanne liegt.

Die andere Helferin wickelte den Penis in einen stabilen

Verband, klebte das Ende ab und er war entlassen.

Durch den Verband sah sein Penis aus wie ein Kegel

beim Bowling, nur verkehrt herum. Sein Gang veränderte sich,

bekam eine etwas schlingernde Form und er hatte die Vorstellung, alle

Leute würden auf sein Geschlechtsteil schauen, wo immer

er auftauchte. Wie lange die Behandlung noch

gehen würde, war nicht klar.

Die Helferinnen gaben ihm drei weitere Verbände mit, die er sich

selbst anlegen sollte. Das Blut sickerte immer wieder

durch den Verband.

Jetzt war der Aktionsfilm zu Ende und

Bernd kam auf eine Idee.

Bei der Aktion von Brus in der Dahlemer Villa wollte er dabei sein,

nicht als Zuschauer, sondern als Künstler.

Zwei Tage später fuhr er mit der U-Bahn nach Dahlem.

In seiner Tasche steckte ein frischer Verband und eine Tube Salbe.

Nur wenige Studenten, aber viele Schaulustige

warteten auf den Impressario, der mit Blut und Fleischstücken

arbeiten wollte.

Bernd plante, in einem günstigen Augenblick auf die

Bühne zu springen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken

und in aller Ruhe, den alten Verband abzuwickeln, den blutigen

Penis herumzuzeigen, mit Salbe einzureiben und einen neuen

Verband anzulegen. Durch diese Aktion

wollte er die Brus’sche Performance karikieren, da dieser ja nur Blut

drapierte, jedoch nicht mit eigenem Blut arbeitete.

Die Zuschauer warteten. Nach einer Stunde kam die Information,

Brus mache an diesem Tag keine Performance, sie werde auf

unbestimmte Zeit verschoben. Sollte er sofort und alleine

seine Aktion durchführen? Doch dann ging er mit den anderen aus der Villa.

Er wechselte die Ärztin. Ein andere Arzt sah kurz auf seinen

Penis, meinte, die Behandlung sei eine Kleinigkeit und gab

ihm einige Pillen, von denen er je drei am Tag drei Tage

schlucken sollte.

Genau am dritten Tag war auch die kleinste Wucherung

für immer verschwunden.

Es war der Tag, an dem Brus seine Performance in der

Dahlemer Villa präsentierte.

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