In der Hochschule der Künste
war keine fallende Stecknadel zu hören.
An der Wand flimmerten Filme der Wiener
Aktionisten Mühl, Brus und Nitsch.
Die Hälfte der Zuschauer wohnte seit einiger Zeit
in Kommunen, Fabriketagen und Wohngemeinschaften.
Der menschliche Körper in all seinen Ausdünstungen
konnte ihnen nicht fremd sein. Doch was sie hier
auf der kleinen Leinwand in schwarz/ weiß sahen,
war nicht jedermanns Kost. Der eine Künstler kippte Liter mit
Blut über seinen Körper, der andere bewarf sich mit
blutigen Fleischklumpen und der dritte kackte einer
Partnerin in den Mund. Die Vorführung diente
der Berufung für eine ordentliche Kunstprofessur
an der Hochschule für Bildende Künste.
Im Anschluss an die Filmvorführung erwartete das Publikum
eine Live-Performance des Künstlers Günter Brus, der an diesem Tag
jedoch verhindert war und als einer der Favoriten
galt. Die Performance wurde um zwei Tage verschoben,
und der Ort in eine Dahlemer Villa verlegt.
Bernd saß vor der Leinwand und würgte.
Am Tag zuvor war er zu einer Ärztin
gegangen, einer Spezialistin für Geschlechtskrankheiten,
Die Schmerzen in seinem Glied wurden unerträglicher.
Seinen Penis überwucherten hunderte von kleinen
Warzen und besonders stark verdichteten sie sich auf der
Eichel, die wie ein kleiner Blumenkohl aussah.
Die Ärztin hatte ihre Praxis am Kudamm. Die
Behandlung dauerte eine halbe Stunde, assistiert von zwei
Helferinnen, beide etwa zwanzig Jahre alt.
Mit einem Spezialmesser schabte die Ärztin die Warzen von
seinem Penis, und eine der Helferinnen tupfte
in Abständen das frische Blut von seiner Wunde, die durch
das Schaben entstand. Die Stelle wurde nicht lokal betäubt
und brannte, als ob sein Penis in einer Pfanne liegt.
Die andere Helferin wickelte den Penis in einen stabilen
Verband, klebte das Ende ab und er war entlassen.
Durch den Verband sah sein Penis aus wie ein Kegel
beim Bowling, nur verkehrt herum. Sein Gang veränderte sich,
bekam eine etwas schlingernde Form und er hatte die Vorstellung, alle
Leute würden auf sein Geschlechtsteil schauen, wo immer
er auftauchte. Wie lange die Behandlung noch
gehen würde, war nicht klar.
Die Helferinnen gaben ihm drei weitere Verbände mit, die er sich
selbst anlegen sollte. Das Blut sickerte immer wieder
durch den Verband.
Jetzt war der Aktionsfilm zu Ende und
Bernd kam auf eine Idee.
Bei der Aktion von Brus in der Dahlemer Villa wollte er dabei sein,
nicht als Zuschauer, sondern als Künstler.
Zwei Tage später fuhr er mit der U-Bahn nach Dahlem.
In seiner Tasche steckte ein frischer Verband und eine Tube Salbe.
Nur wenige Studenten, aber viele Schaulustige
warteten auf den Impressario, der mit Blut und Fleischstücken
arbeiten wollte.
Bernd plante, in einem günstigen Augenblick auf die
Bühne zu springen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken
und in aller Ruhe, den alten Verband abzuwickeln, den blutigen
Penis herumzuzeigen, mit Salbe einzureiben und einen neuen
Verband anzulegen. Durch diese Aktion
wollte er die Brus’sche Performance karikieren, da dieser ja nur Blut
drapierte, jedoch nicht mit eigenem Blut arbeitete.
Die Zuschauer warteten. Nach einer Stunde kam die Information,
Brus mache an diesem Tag keine Performance, sie werde auf
unbestimmte Zeit verschoben. Sollte er sofort und alleine
seine Aktion durchführen? Doch dann ging er mit den anderen aus der Villa.
Er wechselte die Ärztin. Ein andere Arzt sah kurz auf seinen
Penis, meinte, die Behandlung sei eine Kleinigkeit und gab
ihm einige Pillen, von denen er je drei am Tag drei Tage
schlucken sollte.
Genau am dritten Tag war auch die kleinste Wucherung
für immer verschwunden.
Es war der Tag, an dem Brus seine Performance in der
Dahlemer Villa präsentierte.
Hallo barfuss. Drogen ja, mit Bedacht. Ansonsten sehr weise, was die Schmerzen betrifft.
E.V.