A und H.
Drei Busse fahren von Berlin, mit einem Zwischenstop
am jüdischen Friedhof in Breslau/Wroszlaw, direkt
in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.
Die Übernachtung ist in einem Hotel in Krakau gebucht.
Jedes Jahr im November organisiert die Berliner
SPD diese Reise. Auschwitz kenne ich nicht. Ich habe schon lange den
Wunsch, nach Auschwitz zu fahren. Hiroshima und Auschwitz sind für
mich die herausragenden Städte des 20. Jahrhunderts.
Hiroshima hatte ich bereits besucht. Von Tokio ging die Reise
tausend Kilometer mit dem Tsiankensen Rapid, der vierhundert Klometer
pro Stunde fährt.
Das Museum in Hiroshima beeindruckt. Mitten im Museum hat man
eine Zeitspirale platziert und diese optisch mit der unvorstellbaren Wirkung der
Atombombe gekoppelt. Die Auswirkung der Bombe ist somit an konkreten Objekten
und Beispielen vom Zentrum des Aufschlages in einem Umkreis von
zweitausend Kilometern und im Zeitraum von drei Jahren anschaulich
dargestellt.
Im Zentrum selbst befindet sich eine Schattenfigur, der schematische Abdruck
eines Menschenkörpers, der sich durch die Detonation in Luft aufgelöst
hat. Von diesem Menschen, der unmittelbar in der Nähe beim Aufprall der
Bombe gestanden haben muss, ist nur eine poröse schwarze Fläche an der Wand
zurückgeblieben.
In einem Nebenraum zeigt das Museum die ersten Filme vom Tatort.
Dort wird man unmittelbar mit den Verwüstungen der Bombe und
mit Menschen, die überlebt haben, konfrontiert.
Ihr Anblick ruft bei mir einen Tränenschwall hervor, der nicht zu stoppen ist.
Das Film besteht aus schwarz/ weißen, zum Teil fleckigen Bildern,
das Material wirkt unprofessionell geschnitten und manchmal wackelt das Bild.
Der Anblick der verletzten Menschen, die noch nicht wissen,
dass sie fast alle sterben, erschüttert mich.
Die Haut hängt in großen Fetzen an hockenden und liegenden Körpern.
Man sieht apathische Kinder, mit offenen Rücken, deformierte lebende
Gesichter auf Tragen, ratlose Helfer.
Diese beweglichen schwarz/weißen Bilder scheinen mehr zu beweisen als
geschriebene Worte, mehr als jedes Foto. Wie im Schattentheater flackern
die Sequenzen an der langen Wand des kleinen Kinos.
Die einzelnen Filmteile sind nur wenige Tage nach
dem Abwurf der Bomben in notdürftig errichteten Lagern aufgenommen.
Noch kennt niemand die Dimension der Wirkung der Bombe und die lange
Strecke des Leidens der Betroffenen.
Ich muss den fast leeren und nüchtern gestalteten Filmraum verlassen.
Auf den Straßen in Hiroshima lenkt der Kontrast mit Kneipen, Bars und Geschäften
die Gedanken in eine andere Richtung..
Ein Betrunkener lässt seine Hose fallen, torkelt eine Umdrehung und grinst.
Alles scheint vergessen. Als ob die Stadt seit dem 6. August 1945
keine Wunde besitzt.
Die drei Busse nach Auschwitz fahren bis zur deutsch/polnischen Grenze, die siebzig Kilometer von Berlin entfernt liegt. Auf polnischer Seite sind alle Ampeln auf
dieser Strecke auf Grün geschaltet. An jeder Kreuzung stehen
zwei Motorradfahrer mit polnischen Polizisten.
Neben mir sitzt Rolf Hochhuth. Nach einigen Kilometern geht er ans
Fahrermikrofon und beginnt über die jüngste Geschichte Polens zu reden,
seine spezielle Figur, in der er sich sehr gut auskennt, ist Marshall Pilsudski.
Wir sprechen kaum miteinander. Abends im Hotel klopft er an meine Tür,
um sich einen Rasierapparat auszuleihen,
er hat seinen vergessen.
Der Gang über das Feld mit Schienen, Wachttürmen und durch das
Dokumentationscenter berührt mich kaum. Habe ich schon zu
viele Fotos gesehen? Kann man vor Kisten mit Brillen und Haaren
abstumpfen, auch wenn man weiß, dass zu jedem Haar, zu jeder Brille
ein Mensch gehört, der umgebracht worden ist?
Am Abend an der Bar im Hotel, Krakau. Ich betrinke mich,
kann kaum noch auf den Beinen stehen. Schlage einem hochrangigen
SPD Mitglied vor, mit zwei Nutten aufs Zimmer zu gehen.
Dieser weiß nicht, wovon ich rede. Er kann sich nicht vorstellen, mit zwei
Frauen auf einmal- jedenfalls äußert er sich unschuldig.
Die Busse fahren am nächsten Tag zurück. An allen Ampeln wieder grüne
Durchfahrt bis an die Grenze.