vonErnst Volland 23.08.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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A und H.

 

 

Drei Busse fahren von Berlin, mit einem Zwischenstop

am jüdischen Friedhof in Breslau/Wroszlaw, direkt

in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.

Die Übernachtung ist in einem Hotel in Krakau gebucht.

Jedes Jahr im November organisiert die Berliner

SPD diese Reise.  Auschwitz kenne ich nicht. Ich habe schon lange den

Wunsch, nach Auschwitz zu fahren. Hiroshima und Auschwitz sind für

mich die herausragenden Städte des 20. Jahrhunderts.

Hiroshima hatte ich bereits besucht. Von Tokio ging die Reise

tausend Kilometer mit dem  Tsiankensen Rapid, der vierhundert Klometer

pro Stunde fährt.

Das Museum in Hiroshima  beeindruckt. Mitten im Museum hat man

eine Zeitspirale platziert und diese optisch mit  der  unvorstellbaren Wirkung der

Atombombe gekoppelt. Die Auswirkung der Bombe ist somit an konkreten Objekten

und Beispielen vom Zentrum des Aufschlages in einem Umkreis von

zweitausend Kilometern und im Zeitraum von drei Jahren anschaulich

dargestellt.

Im Zentrum selbst befindet sich eine  Schattenfigur, der schematische Abdruck

eines Menschenkörpers, der sich durch die Detonation in Luft aufgelöst

hat. Von diesem Menschen, der unmittelbar in der Nähe beim Aufprall der

Bombe gestanden haben muss, ist nur eine poröse schwarze Fläche an der Wand

zurückgeblieben.

In einem Nebenraum zeigt das Museum die ersten Filme vom Tatort.

 Dort wird man unmittelbar mit den Verwüstungen der Bombe und

mit Menschen, die überlebt haben, konfrontiert.

Ihr Anblick ruft bei mir einen Tränenschwall hervor, der nicht zu stoppen ist.

Das Film besteht aus schwarz/ weißen, zum Teil fleckigen Bildern,

das Material wirkt unprofessionell geschnitten und manchmal wackelt das Bild.

Der Anblick der verletzten Menschen, die noch nicht wissen,

dass sie fast alle sterben, erschüttert mich.

Die Haut hängt in großen Fetzen an hockenden und liegenden Körpern.

Man sieht apathische Kinder, mit offenen Rücken, deformierte lebende

Gesichter auf Tragen, ratlose Helfer.

Diese beweglichen schwarz/weißen Bilder scheinen mehr zu beweisen  als

geschriebene Worte, mehr als jedes Foto. Wie im Schattentheater flackern

die Sequenzen an der langen Wand des kleinen Kinos.

Die einzelnen Filmteile sind nur wenige Tage nach

dem Abwurf der Bomben in notdürftig errichteten Lagern aufgenommen.

Noch kennt niemand die Dimension der Wirkung der Bombe  und die lange

Strecke des Leidens der Betroffenen.

 

Ich muss den fast leeren und nüchtern gestalteten Filmraum verlassen.

Auf den Straßen in Hiroshima lenkt der Kontrast mit Kneipen, Bars und Geschäften

die Gedanken in eine andere Richtung..

Ein Betrunkener lässt seine Hose fallen, torkelt eine Umdrehung und grinst.

Alles scheint vergessen. Als ob die Stadt seit dem 6. August 1945

 keine Wunde besitzt.

 

Die drei Busse nach Auschwitz fahren bis zur deutsch/polnischen Grenze, die siebzig Kilometer von Berlin entfernt liegt. Auf polnischer Seite sind alle Ampeln  auf

dieser Strecke auf Grün geschaltet. An jeder Kreuzung stehen

zwei Motorradfahrer mit polnischen Polizisten.

Neben mir sitzt Rolf Hochhuth. Nach einigen Kilometern geht er ans

Fahrermikrofon und beginnt über die jüngste Geschichte Polens zu reden,

seine spezielle Figur, in der er sich sehr gut auskennt, ist Marshall Pilsudski.

Wir sprechen kaum miteinander. Abends im Hotel klopft er an meine Tür,

um sich einen Rasierapparat auszuleihen,

er hat seinen vergessen.

Der Gang über das Feld mit Schienen, Wachttürmen und durch das

Dokumentationscenter berührt mich kaum. Habe ich schon zu

viele Fotos gesehen? Kann man vor Kisten mit Brillen und Haaren

abstumpfen, auch wenn man weiß, dass zu jedem Haar, zu jeder Brille

ein Mensch gehört, der umgebracht worden ist?

Am Abend an der Bar im Hotel, Krakau. Ich betrinke mich,

kann kaum noch auf den Beinen stehen. Schlage einem hochrangigen

SPD Mitglied vor, mit zwei Nutten aufs Zimmer zu gehen.

Dieser weiß nicht, wovon ich rede. Er kann sich nicht vorstellen, mit zwei

Frauen auf einmal- jedenfalls äußert er sich unschuldig.

Die Busse fahren am nächsten Tag zurück. An allen Ampeln wieder grüne

Durchfahrt bis an die Grenze.

 

 

 

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