vonErnst Volland 06.09.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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 Schreibtischbilder                                                               

 

 

 

Ich bin mit einem Seestück aufgewachsen.

Das Bild hängt über dem Schreibtisch solange ich denken kann.

Vor dem Schreibtisch sitzt mein Vater und raucht Zigarren

der Marke Rössli, schaut sich die Kopie seiner Nahkampfspange und seines

Eisernen Kreuzes an, nimmt  abwechselnd  eine Auszeichnung  in

die Hand, dreht sie zwischen seinen fleischigen Fingern und seufzt.

„Eigentlich ist der Russe ein gutmütiger Mensch.“

Das Gemälde zeigt eine unruhige See. Links ragt ein großes dunkles

Segelboot bis fast an die obere Kante des Bildes. Das Schiff fährt gerade aus

einer Flussmündung, drohende Wolken ziehen am Horizont auf

und es wird schwierig sein, durch den Sturm zu steuern.

Das fast Quadratmeter große Bild wirkt sehr alt, es ist durchgehend in

einem dunklen Ton gehalten und es ist nicht klar, ob diese dunkle

Färbung durch die Jahre entstanden sind oder vom  Künstler als 

bewusstes kompositorisches Stilelement benutzt wurde.

Das Bild hat seinen Platz, es wurde niemals umgehängt und wenn es einmal

ab- oder umgehängt wird, hinterlässt es auf der Wand eine helle flächige

Markierung.

„Ich wollte mit dir sprechen“,  sagt mein Vater und schenkt

sich ein Glas Korn ein.

„Willst du einen Schluck?“

Es ist ein seltsames Gefühl, wenn der eigene Vater zum Trinken

ermuntert. Ich lehne ab. Er schenkt sich ein weiteres Glas ein.

„Dann eben nicht. Ich wollte mit dir sprechen. Nach dem Tod unserer Mutter,“

und er meinte damit seine Frau und meine Mutter, „möchte ich

mich von einigen Gegenständen trennen. Du hast doch Ahnung

von Kunst. Bitte nimm dieses Bild, das Seestück, und

versuche es in Berlin zu verkaufen. Ich habe es kurz nach dem

Krieg in Holland erworben.

Wir teilen uns den Gewinn.“

Vorsichtig nähere ich mich dem Bild und hänge es ab.

Es ist auf Holz gemalt und ohne

Rahmen. Mit einer Lupe suche ich nach einer

Signatur, kann jedoch keine finden.

Auf der Rückseite klebt der Rest eines unlesbaren

Schriftstückes neben einer pfenniggroßen Masse, die in einer

Vertiefung steckt, mit einem Gegenstand oder dem Daumen

vermutlich zerdrückt worden war und eine kurze rote

Spur auf dem Holz hinterließ.

„ Die Herkunft kann ich nicht bestimmen, keine Signatur und die

rote Farbe sagt mir auch nichts.“ Ich zeige die Rückseite

meinem Vater.

„Ja, ich habe das Bild oft angeschaut, vorn und hinten, nie habe

irgendeine Quelle entdecken können“.

 

Ich suche im Keller nach einer alten Decke, wickle das Seestück

ein und nehme es auf der Rückreise mit.

Nach einigen Wochen ruft mein Vater an und erkundigt sich

nach dem Seestück. Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich seinen

Auftrag völlig vergessen hatte.

„Das läuft, ist in Arbeit. Ich hab da jemanden gefunden.“

Am nächsten Tag schaue ich ins Branchenbuch.

Ich spreche mit zwei Kunstexperten, die mehr Geld

für ihre Expertise haben wollen, als nach meiner

Schätzung das Bild Wert ist. Zu Trödlern will ich nicht

gehen.

Es kann nur jemand in Frage kommen, der ein echter

Experte ist und gleichzeitig kein Geld dafür verlangt, jemand

der ohne zu fackeln aus dem Stand ungefähr das Datum bestimmen

kann und einen möglichen Preis auf dem Kunstmarkt nennt.

Solche Experten befinden sich nur in Museen.

Ich wähle die Nummer der Gemäldegalerie, und lasse

mich zur Abteilung Alter Meister durchstellen.

„Hier Dr. Baumann, Gemäldegalerie.“

„Herr Dr. Baumann, ich habe da im Familienbesitz ein altes

Bild und hätte gern gewusst, von wem das ist und wie

wertvoll.“

„Da müssen Sie zu einem Sachverständigen gehen, wir machen

so etwas nicht individuell.“

„Aber ich habe schon einige Sachverständige angesprochen,

was die an Honorar verlangen ist nicht zu bezahlen. Ich

habe das Bild hier vor mir, könnte ich nicht vorbeikommen?“

„Also gut, ich mache eine Ausnahme, wenn Sie sofort,

also jetzt kommen.“

Ich  nehme das immer noch in die Decke eingewickelte

Seestück, lege es auf den Rücksitz meines Autos und fahre

zur Gemäldegalerie.

Doktor Baumann begrüßt mich freundlich.

„Na, dann lassen Sie mal sehen und erzählen Sie es

nicht weiter. Es bleibt eine einmalige Ausnahme.“

Das Seestück liegt unverhüllt vor Doktor Baumann.

Er schaut lange auf die Szene, dabei hält er sein Kinn

mit einer Hand fest und stülpt gleichzeitig

seine Unterlippe etwas nach außen.

„Darf ich es einmal umdrehen?“

Der Fachmann zieht einen weißen Handschuh

über seine gespreizten Finger, hebt das Bild an, lässt es auf de

 Kante senkrecht stehen und betrachtet die Rückseite.

„Interessant, interessant, wie lange haben Sie das Bild denn schon?“

„Ich bin damit aufgewachsen, es hing, solange ich denken kann,

über dem Schreibtisch meines Vaters.“

Ohne darauf zu reagieren geht Herr Baumann zu einem Schrank,

öffnet die Türen und greift einen der vielen Ordner heraus.

Zielstrebig schlägt er eine Seite auf.

„Hier haben wir es ja….. Holländische Schule, Mitte

des 16. Jahrhunderts. Öl auf Holz. Ein Bild aus der

Hoch-Zeit Holländischer Malerei,

eine Zeit der kreativsten Phase in der Holländischen Kunst.

Ein sehr schönes Stück. Ich kann auf Anhieb nicht sagen, wer

der Maler ist, aber das können wir feststellen.

Aber hier steht noch etwas Interessantes für Sie.“

Er hält mir den schweren Aktenordner unter die Nase.

„Hier, lesen Sie selbst. Von uns ausgeliehen an die Gemäldegalerie

Magdeburg, 1912, seitdem verschwunden.

Am besten, Sie lassen das Objekt gleich hier. Es gehört uns.“

Ich starre auf das Bild, einen Moment verschwimmt es vor meinen Augen.

„Die verschmierte kleine rote Masse war einmal unser

Siegel. Da hat jemand mutwillig zerstört, damit die Herkunft des

Bildes nicht rekonstruiert werden kann. Mit diesem Makel haben

Sie bei seriösen Händlern keine Chance, jeder Kenner sieht

sofort, dass mit dem Bild etwas nicht stimmt.

„Das muss ich mit meiner Familie besprechen“, antworte und

wickle das Seestück in die Decke.

Nach einer Woche kehre ich an die gleiche Stelle zurück

und übergebe das Seestück Herrn Baumann für die ständige

Ausstellung.

 

 

 

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