Mann sucht Frau
1
Er stieg über einen Berg von Wäsche, Decken, Büchern, Zeitungen, schlurfte ins Bad, schaute in den Spiegel, schüttelte sich ein wenig, nicht wegen der Kälte, der Anblick seines eigenen Gesichtes provozierte die körperlichen Verzerrungen.
Wieder verdammt spät geworden gestern, murmelte er und drückte etwas Zahnpasta auf die Spitzen der Borsten. Früher, vor ein paar Monaten noch, war er mit einem Lied auf den Lippen unter die Dusche gehüpft, hatte sich über den beginnenden Tag gefreut, sich in einem Schwung nass rasiert und immer wieder über die Frische des Nassrasierens im Gegensatz zum Trockenrasierens gestrahlt.
Ist ja auch viel männlicher mit Schaum um das Kinn, hatte er dann immer gedacht und sich als Model für eine Gillette Reklame vorgestellt.
Doch seit einigen Wochen war alles anders. Er fühlte sich wie auf einem anderen Planeten, ausgesetzt, allein, einsam. Eine Frau hatte ihn verlassen, seine Frau, mit de er seit acht Jahren zusammen war.
Er schlich unter die Dusche, drehte den heißen Strahl viel zu heiß auf, sprang zur Seite, fluchte, regulierte missmutig kaltes und heißes Wasser und traute sich dann wieder unter den Duschkopf. Wie benommen griff er dann zum Handtuch um sich abzutrocknen. Der strenge Geruch des seit Wochen nicht mehr gewaschenen Handtuches machte ihm erneut wieder klar: Sie ist nicht mehr da, sie bügelt nicht mehr deine Hemden und sie kocht nicht mehr diese eine wunderbare Pasta, Spaghetti aglio olio.
Jetzt in diesem Augenblick vermisste er sie äußerst schmerzlich und der Tag hatte erst angefangen.
Kommst du zu mir, hatte sie immer ins Handy geflüstert, ich habe wunderbare Tagliatelle gekocht, vielleicht bringst du etwas Wein mit?
Ja, kochen konnte sie, viel besser als er. Für den Wein war er immer zuständig, obwohl er auf diesem Gebiet keine große Ahnung hatte.
In einem hohen Bogen warf er das alte Handtuch neben die Waschmaschine, die er sich vor einigen Wochen neu kaufen musste. Dann tippelte er zum Schrank, um sich ein frisches Handtuch zu nehmen. Drei, schon mindestens zehn Jahre alte Handtücher schauten ihn an.
Die guten Sachen aus dem Haushalt hatte sie mitgenommen, darunter auch die schönen großen Badetücher, die sie in Frankreich gekauft hatten. Er erinnerte sich jetzt wieder daran, dass sie es gewesen war, die die Badetücher günstig erworben hatte, ebenso den Jugendstilspiegel, den Kühlschrank, das Doppelbett, die Bettwäsche.
Vor einem halben Jahr waren sie zusammengezogen. Die Möbel, inklusive Küche aus seiner kleinen Wohnung waren auf dem Müll gelandet. Sie hatte ihre komplette Wohnungseinrichtung in die gemeinsame neue Wohnung mitgebracht und jetzt, nachdem sie alles wieder abtransportiert hatte, musste er sich neue Möbel kaufen.
Fortsetzung folgt
2
Er drückte auf einen Knopf der Musikanlage, die er sich in einem Secondhand Laden gekauft hatte und hörte die Stimme der Morgennachrichten. Es war punkt 8 Uhr.
Missmutig wählte er einen anderen Sender. An Nachrichten war er nicht mehr interessiert, ebenso an Tageszeitungen, früher Pflichtprogramm beim Frühstück.
Zeitungen lesen war bei ihm zu einem Ritual geworden.
Oft hatte sie sich darüber aufgeregt, dass er mit mehreren verschiedenen Tageszeitungen zu ihr in die Wohnung kam, sich auf die Couch legte und den Kopf in die Zeitungen steckte. Richtig wütend wurde sie, wenn er
ihr ganze Abschnitte aus Artikeln vorlesen wollte, um anschließend auch noch eine Diskussion über den mageren Inhalt anzufachen. Diese Form der Kommunikation mochte sie gar nicht und er hatte daher nach dem ersten großen Streit auf weiteres Vorlesen verzichtet. Seine Leseposition auf der Couch gab er jedoch nicht auf.
Er begann immer mit dem Feuilleton, danach ging er zu den Sportseiten, überflog den Rest und nahm sich die nächste Zeitung.
Seit der Trennung interessierte ihn nicht einmal mehr der Sportteil. Er hasste jetzt alle Zeitungen, weil er vermutete diese seien mitschuldig an seiner Trennungsmisere.
Rede mit mir, hatte sie immer mit deutlichen Worten gesagt, leg die Zeitung weg, rede mit mir.
Seine Reaktion war ein kurzer gelangweilter Blick und dann eine stereotype Antwort: Ja, gleich. Doch nie begann er ein Gespräch während des Lesens.
Im Küchenschrank suchte er nach einer Kopfschmerztablette, die den Restalkohol beseitigen sollte. Wenn ich nicht schon ein Alkoholiker bin, dann werde ich jetzt einer, eine andere Perspektive ist gar nicht möglich, ging es ihm durch seinen schweren Kopf. Mit einem Rest Disziplin schaffte er es, nicht schon am Morgen eine Flasche Pils zu öffnen, sondern bis zum Spätnachmittag zu warten. Er überlegte, ob er auf Rotwein umsteigen sollte, da man mit Rotwein seinen Suff besser kaschieren konnte.
Lange hatte er sich gestern mit einem entfernten Bekannten, der in der Filmbranche als Beleuchter arbeitete, unterhalten. Dieser hatte gerade eine Trennung hinter sich und das war die Gelegenheit, sofort zum Thema zu kommen. Geschickt ließ er den Beleuchter ein paar Sätze von seinem Schicksalsschlag erzählen, um dann so direkter und ausschweifender von seinem Unglück zu berichten. Er hatte inzwischen eine Fähigkeit entdeckt, die er früher nicht kannte: Ununterbrochenes Reden, denn reden musste er, das schaffte ihm Erleichterung.
Seit zwölf Tagen war sie nun verschwunden. In einer
aufwendigen Recherche konnte er herausfinden, dass sie bei einer Freundin vorübergehend Unterschlupf gefunden hatte. Die gemeinsamen Möbel und Hausgeräte lagerten in einem Depot, an das er jedoch nicht heran kam.
Als erste Offensive der Rückgewinnung versuchte er es mit hundert roten Rosen, die über einen Blumenversand vor die Tür der Freundin gelegt wurden. Durch einen Zahlendreher, er konnte nicht mehr feststellen, ob es sein Fehler war oder der Fehler des Blumenservices, wurde der üppige Blumen Strauss nicht in die Hausnummer 69 gelegt, sondern in die 96. Zufällig hatte dort ein Bewohner im 15. Stock den gleichen Namen Bäcker, wie die Freundin. Er hatte das Missgeschick durch Zufall auf der Rechnung entdeckt, als er unruhig beim Service anrief, um sich zu erkundigen, ob der Strauß auch abgeliefert worden sei.
Beim Blumenservice meinte man, alles korrekt abgewickelt zu haben. Die Blumen waren vom Boten wie üblich ordnungsgemäß abgegeben worden und damit die Sache für den Service erledigt. Es gäbe noch weitere sehr schöne Sträuße im Haus und er könne sich einen neuen aussuchen, allerdings nur gegen Barzahlung.
Mit dem linken Bein schlüpfte er in die Hose, das Bein fand die Öffnung nicht, er strauchelte ein wenig und kippte, bevor das zweite Bein in der Hose verschwand zur Seite, prallte gegen einen Schrank, hüpfte, mit beiden Händen den Bund der Hose haltend einige Meter durch die Wohnung und landete benommen und verschreckt aber glücklich auf dem Sofa.
Dort blieb er eine halbe Stunde liegen. Gestern war er in der Lage, sich selbst ein Hemd zu bügeln. Er zog es an, stöhnte, alles immer selbst machen zu müssen und setzte sich an seinen Rechner, um einen Brief zu schreiben.
Fortsetzung folgt
3
„Liebe Gisela, ich denke jede Minute an dich und die gemeinsam verbrachte Zeit. Erinnerst du dich, wie wir in Italien, in Florenz in diesem kleinen Cafe saßen, Venezia hieß es, glaube ich und du meine Hand in deine legtest, ein leichter Wind durch deine schönen Haare ging und du mir mit fester Stimme sagtest, ich liebe dich, ich liebe dich wirklich. Kannst du dich noch an den Chianti Classico erinnern, Jahrgang 71, dein Geburtsjahr, blutrot in der Farbe und einem leichten Brombeergeschmack im Abgang. Du hattest die geleerte Flasche noch ins Hotel mitgenommen, sogar dann noch mit nach Hause und eine blaue Kerze hineingesteckt. Wie schön wäre es jetzt, im Schein dieser Kerze mit dir zusammen zu sitzen und ein kleines Glas Trollinger zu trinken. Ich habe einen wunderbaren Weißwein entdeckt, ein Schnäppchen, fruchtig herb und ganz erstaunlich für einen Müller Thurgau. Wenn du Lust hast, dann ruf mich bitte an und wir trinken ein Gläschen zusammen.“
Mehrmals las er den Brief durch, korrigierte einige Fehler und sprachliche Ungenauigkeiten, druckte den Text aus, las ihn noch einmal und steckte ihn in einen Umschlag. Auf die Rückseite des Umschlages zeichnete er zwei ineinander verwobene kleine Herzen, wie er sie früher bei den Mädchen seiner Schule in der 4. Klasse Grundschule gesehen hatte, wenn diese den Jungs kleine Zettel zusteckten und um ein Meeting baten. Nicht eine Sekunde kam ihm in den Sinn, dass diese kitschige Geste
kontraproduktiv sein könnte, im Gegenteil, er freute sich über seinen gelungenen Einfall, den Text mit einer persönlichen Note zu versehen, die jede Frau emotional berühren musste. Ein Mann, der zwei kleine Herzchen schickt, wird jede Festung erobern. Davon war er überzeugt.
Eine Freundin hatte ihm geraten, nicht alle Briefe wegzuschicken und vor allem nicht täglich. Schreiben sollte er, was auch immer er wolle, aber den Text nicht abschicken, empfahl sie ihm dringend, aber er konnte nicht anders handeln. Je eher die Botschaft im Briefkasten lag, umso wohler fühlte er sich. Bisher hatte Gisela noch auf keinen seiner Briefe reagiert, aber irgendwann musste sie es tun, da war er sich ganz sicher.
Gisela war zu einer Freundin mit dem Namen Beate gezogen, die er unsympathisch fand und er vermutete, dass diese einen großen Einfluss auf sie hatte. Er konnte sich gut vorstellen, wie diese Freundin alle Briefe abfing und Gisela eindringlich beschwor, nicht nachzugeben und keinen Kontakt mit ihm aufzunehmen. Mit Sicherheit hatte Beate sogar Gisela zur Trennung ermuntert.
Die Lust, zu Hause zu frühstücken, war ihm seit der Trennung vergangen. Meistens fuhr er jetzt in die Nähe seines Arbeitsplatzes und setzte sich mit einer Tasse Tee und einem Croissant in ein kleines Cafe, das von einem Italiener mit einer deutschen Frau geführt wurde. Er war ein gern gesehener Gast bei Roswitha und Roberto.
Rosita war groß und blond, fast 1,85 m, kam aus Leipzig und war stolz auf ihren Dialekt. Roberto sah genauso groß aus wie Roswitha, es fehlten ihm ganze zwei Zentimeter um mit ihr gleichzuziehen.
Im Sommer machten sie jede Menge Geld mit einer breiten Palette original italienischem Speiseeis und im Winter versuchten sie mit einem bis in den Abend reichenden Frühstücksangebot über die Runden zu kommen. Die beiden Besitzer des gemütlichen Cafes waren längst über seinen gegenwärtigen Zustand aufgeklärt und sie trösteten ihn täglich mit aufmunternden Worten, wenn er mit konstant missmutigem Gesicht durch die Tür kam.
Gisela kommt hundertprozentig zurück, du musst nur ein bisschen warten. Geduld, Geduld, in spätestens vierzehn Tagen, eher noch, in einer Woche ist sie wieder bei dir.
Ihm waren diese Äußerungen peinlich, da immer auch andere Gäste anwesend waren, einzelne Besucher, die an ihrem Latte Macciato nippten und unschuldig in die Gegend schauten. Er bat beide immer sofort mit einem Zeigefinger am Mund, nicht so laut zu sprechen, dennoch war er froh dass sie ihm so viel Aufmerksamkeit schenkten.
Weiße du, der Onassis ist auch zu die Callas zurück, mehrere Male oder die, wie heiße sie denn noch Roswitha, äh die eine da, mit die große Augen, die Schauspielerin in den spannende Krimi, musse kucken, na wie heiße denn noch, Doppio wie immer?.
Roberto war in Deutschland geboren, sein gewinnendes Lächeln kam aus einem Dreitagebart und Roswitha hatte alle Mühe, ihn auf Dauer hinter dem Tresen zu halten.
Die Perspektive von einer Woche, vielleicht sogar vierzehn Tagen ohne Gisela, die er 1:1 als Realität wahrnahm ließ keinen Schimmer von Hoffnung in seine
bedrückte Seele leuchten, sie versetzte ihm vielmehr einen Schlag in die Magengegend, denn eine Woche hatte sieben Nächte und sieben grauenvolle Tage, jeder Tag 24 Stunden und 2 Millionen Minuten.
Fortsetzung folgt