vonErnst Volland 11.07.2022

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Hinter dem Titel des Gemäldes „Frauenbildnis – Inge“ aus dem Jahr 1924 verbirgt sich mehr als die bloße Darstellung einer Bekanntschaft mit dem Maler Franz Radziwill. Das Bild steckt voller Anspielungen, sogar Intimitäten. Der Blick über das gesamte Gemälde zeigt eine Reihe von typischen Insignien der Malerei von Radziwill, die sein ganzes späteres Werk durchziehen und Mitte der 20er Jahre neu von ihm gestaltet worden sind.

Die abgebildete Person ist seine erste Ehefrau. Er positioniert sie zentral auf der Mittelachse vor einer mit Bockhorner Klinker gemauerten Wand. Radziwill, gelernter Maurer, baute mit diesem Klinker, der nicht weit vom Wohnort Dangast stammt, das ganze Wohnhaus aus, in dem sich die dargestellte Szene befindet.

Es handelt sich jedoch nicht um das Interieur eines realen Raumes, sondern um einen ideellen Raum, eigens für seine Frau Inge und für sich, wie für seine Malerei inszeniert.

In diesem Raum entfaltet Radziwill sein ganzes künstlerisches Können. 

Die Klinkermauer teilt den Raum an den Seiten in etwa zwei gleiche Hälften, die als Säulen die stabile Mauer flankieren. Der Blick des Betrachters fällt wie angesogen auf eine leicht geöffnete grüne Schachtel mit gelb-rotem Deckel. Ein dünner, geheimnisvoller Faden hängt aus der Schachtel heraus, der Teil eines Nähsets oder doch das Ende eines Tieres? Das Gelb des Deckels wird wieder aufgenommen von der Tischdecke, die bis zum Boden herabhängt und reichlich mit Verzierungen bedeckt ist. Unter einem blau gerafften Vorhang im linken Hintergrund tauchen im Schatten pflanzenähnliche Figuren auf, Teile aus der Phantasiewelt Radziwills, die später häufig in seinen Bildern zu entdecken sind.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Bildes schaut der Maler Franz Radziwill selbst den Betrachter an. Er sitzt, die Malpalette vor sich auf dem Tischtuch im hinteren Raum, der durch eine geöffnete Tür den Blick in eine Naturlandschaft weitet. Über ihm schwebt ein Lampenschirm mit einer nackten Glühbirne; es befindet sich also bereits Elektrizität im abgelegenen Haus des Fischerdorfes Dangast. Die Glühbirne spendet kein Licht, der Maler inszeniert sich im Hintergrund bleibend, zurückgezogen im Halbdunkeln. Sich selbst klein darstellend, gelingt es ihm, die dominierende Figur im Vordergrund noch bedeutungsvoller erscheinen zu lassen.

Der Maler könnte gedacht haben: Das ist meine Frau, ich liebe sie über allen Maßen und alle sollen es sehen. Er entscheidet sich für ein weißes, reichlich mit Gold besticktes Gewand, wie man es gelegentlich auf Darstellungen Marias, der Mutter Gottes, sehen kann. Darunter erscheint, vom Hals bis zu den Füßen leicht geöffnet, ein signalrotes Kleid. Gewand und Kleid sind reduziert auf die Farben Weiß-Unschuld und Rot-Liebe. Sie sind ausgewählt für einen festlichen Anlass, unterstützt durch einen Collier mit entsprechenden Ohrringen.

Durch die Anspielung auf christliche Marienikonographie gelingt es dem Maler, seiner aufrichtigen Liebe und Zuneigung eine weitere Dimension hinzuzufügen: die der Verehrung.

Die Haare in der Mitte geteilt, genauso wie auf Familienfotos der Zeit zu sehen, die Gesichtszüge weich, der Blick versunken, schaut diese Frau optimistisch in die Zukunft. Eine Hand der Frau hält ein Buch, ein Zeichen für Bildung, die andere ruht auf dem Schoß. Die schwarze Katze bringt Leben ins Haus, sie sitzt neben Inge Radziwill auf dem Boden, zwischen Maler und Modell.

Radziwills heirateten 1923. Der Tod Inge Radziwills 1942, erst 47jährig, muss ein großer Verlust für den Maler gewesen sein. Dafür steht dieses Gemälde von Franz Radziwill, das Portrait seiner geliebten, verehrungswürdigen Frau. Hat er geahnt, als er dieses Bild fast noch in den Flitterwochen malte, dass er sie bald verlieren wird? Das weiße Gewand umschließt das rote Kleid wie eine lange, durchgehende Wunde.

Ernst Volland

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