vonErnst Volland 14.12.2022

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Kapitel 4

Meine Augen gleiten über den Text, korrigieren einige Zeichensetzungen. Ich füge am Schluss vor das Wort „Liebe“ das Adjektiv „großer“ hinzu. Beim Ausdruck des Textes, der aus dem Drucker mit schnarrenden Tönen zuckelt, starren meine Augen auf ihr Portrait, das ich für sie gemalt hatte und ihr vor fünf Jahren, nachdem wir uns ein viertel Jahr kannten, schenkte, und das ich in den letzten Tagen in einem furiosen Willensakt in einer Nacht noch einmal malte.

Ohne auf den Falzverlauf des Papiers zu achten, schaue ich auf ihr Portrait, stecke den zusammengefalteten Brief in einen weißen Umschlag, schreibe besonders sorgfältig Namen und Adresse auf die Vorderseite, so sorgfältig, dass kein Postbote den Brief wegen Unzustellbarkeit zurückschicken oder wegwerfen konnte. Eine Bekannte hatte mir geraten, nicht alle geschriebenen Briefe abzuschicken. Doch ich bin nicht in der Lage, auch nur eine Silbe zurück zu halten. Je eher der Brief im Postkasten liegt, umso wohler fühle ich mich.

Ich habe herausgefunden, dass Carol nicht in eine eigene Wohnung gezogen ist, sondern bei einer Freundin vorübergehend Unterschlupf gefunden hat. Obwohl ich diese Freundin so gut wie nicht kenne, belege ich sie mit negativen Attributen, ich verdächtige sie sogar ohne jede Vorkenntnisse, Carol ermuntert zu haben, sich von mir zu trennen.

Seitdem Carol verschwunden ist, verspüre ich keine Lust mehr, in der Wohnung zu frühstücken. Gerade der gemeinsame Morgen bildete eine feste Größe in unserer Beziehung. Der Grund lag in der flexiblen Arbeitszeit, die wir beide zur Verfügung hatten, und so konnte es manchmal fast Mittag werden, bis einer von uns zur Arbeit ging. Die Zeit am Morgen nutzten wir, aktuelle private und politische Themen, die in der Luft lagen, zu besprechen, aber auch für gemeinsame kleine häuslichen Tätigkeiten, zu denen sie mich immer in einem freundlichen Ton aufforderte, denen ich mich mich aber auch oft erfolgreich entzog und mit der Zeit vernachlässigte.

Mir ist klar, dass ich meine „Macho Rolle“ nie ablegen kann. Häusliche Arbeit ist für mich keine Männersache, und um sich auf diesem Feld zu emanzipieren, fehlt mir ein Stück Bewusstsein oder Alterserfahrung oder Aufklärung. Was es genau ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist es auch eine Summe vieler Faktoren, jedenfalls lasse ich die Dinge schleifen. Ebenso bin ich davon überzeugt, dass eine kleine Portion Machismo bei Frauen sehr gut ankommt, und Weicheier, die jederzeit mit Eimer und Wischmopp bereit stehen, in der Beliebtheitsskala ganz hinten rangieren. In meiner eigenen kleinen Wohnung, in der ich mich vor unserem Zusammenziehen sehr gern aufgehalten habe, putzte alle vierzehn Tage eine erstklassige polnische Putzfrau. Ich denke nicht, dass in meinem nachlässigen Verhalten erste Zeichen einer erodierenden Schieflage zu vermuten sind. Meine bloße Anwesenheit reicht mir zur Festigung meiner Beziehung, davon bin ich heute noch überzeugt, und ich hatte keine Veranlassung, jemals unsere Beziehung in Frage zu stellen. Die Sonne dreht sich um die Erde und die Erde dreht sich um mich. „Its a mans world“. Dieser Song geht mir in stiller Stunde oft im Kopf herum und ich fühle mich von einigen anderen Männern in dieser Sache bestätigt. Natürlich besitze ich emanzipatorische (sogar sozialdemokratische und grüne ökologische Wurzeln), die mich mitgeformt haben. Mir gefällt der Song von James Brown, ein Song aus den 60er Jahren, der Hochzeit der Popmusik.Its a mans world. Ein Griff und ich finde ihn in meiner umfangreichen CD Sammlung. Sam Cook, Otis Redding, Aritha Franklin, das alles ist Musik für mich. Sollen die anderen doch 150 Euro für eine Eintrittskarte bei Robbi Williams ausgeben, ich bleibe bei Motown. Thats my world.

Ich höre mir den Song von James Brown immer wieder einmal genau an. Er beinhaltet neben der Aufzählung männlicher Leistungen wie „men make the money to buy from other men“, auch,„it would be nothing without a women or a girl, also, nichts geht in dieser Welt ohne Frauen, eine Tatsache, die mir an diesem Morgen schmerzlich bewusst ist.

Carol, ich vermisse dich. In ihrem Atelier hing ein große Schere, die sie nie benutzte. Das etwa dreißig Zentimeter lange Schneidergerät bestand aus dunklem Gußeisen. Die Schere war ein Mitbringsel von einer ihrer vielen Reisen nach Asien, die sie seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr regelmäßig unternahm. Mit achtzehn Jahren zog sie aus ihrem Elternhaus aus. Sie konnte den katholischen Muff ihres Vaters nicht mehr ertragen, der sie auch als Kind misshandelte, wie sie mir unter Tränen an einem Abend an der portugiesischen Küste bei Ericeira, nördlich von Lissabon einmal erzählte. Wir verbrachten dort eine Woche im Haus eines Freundes. Ihre Mutter schaute stumm den Misshandlungen zu, froh, im gleichen Moment nicht von ihrem Mann angefasst zu werden.

Die Rucksackreisen von Carol führten nach Tibet, Indien, Vietnam und Kambodscha. Jedes mal wenn sie zurück kam, arbeitete sie in der Schneiderwerkstatt eines italienischen Schneiders, der kaum über den hohen Tisch schauen konnte, auf dem die Stoffe zugeschnitten wurden. Nach einem kurzen Fachstudium an einer Hochschule machte sie sich als Modedesignerin selbständig. Ihre Kontakte zu den asiatischen Ländern nutzte sie zum Einkauf prachtvoller Stoffe, die sie in ihren Entwürfen verarbeitete. Das Geschäft lief einige Jahre gut. Von einem der beiden Mitarbeitern, einem jungen Engländer und einer Türkin, die sie im Laufe der Zeit einstellen konnte, wurde sie betrogen. Der Engländer, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, nahm Aufträge an und rechnete sie schwarz ab. Er brachte die fertige Ware meist persönlich zu den privaten Kunden und kassierte Cash, ohne Rechnung. Da Carol auch viel geschäftlich unterwegs war, fiel ihr der Betrug lange nicht auf. Erst ihr Steuerberater machte sie auf einige Unregelmäßigkeiten in den Abrechnungen aufmerksam. Sie konnte dem Engländer nie nachweisen, wie er sie austrickste. Doch ihr Geschäft geriet in eine finanzielle Schieflage. Das Aus für ihre kleine Firma entstand dann endgültig durch ein unvorhersehbares Ereignis. Eine große Ladung Stoffe aus Tibet, die sie vorab in Dollar bezahlt hatte, wurde nie per Schiff bei ihr ausgeliefert.

Sie heiratete überstürzt ihren Steuerberater, nur aus einem irrationalen Sicherheitsbedürfnis. Die Ehe dauerte ein halbes Jahr, dann hatte sie sich wieder gefangen. Sie stürzte sich in ihre Arbeit und baute die gleiche Firma wieder auf. Die Schere hängte sie auch im neuen Atelier an die Wand. Sie glaubte an ihr Glück.

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