vonErnst Volland 16.12.2022

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Kapitel 4 Fortsetzung

 

Für mich nähte sie einen Ledermantel. Den Stoff suchte sie mit mir zusammen aus. Es war ein Geschenk für mich, nachdem wir uns einige Monate kannten. Noch nie hatte ich ein solches exklusives Kleidungsstück getragen. Das Einzelstück, durchgängig in einem eleganten Mausgrau gehalten, konnte mit und ohne Gürtel getragen werden. Das Innenfutter bestand aus einer fester indischer Seide, Marineblau. Leider konnte ich diesen Mantel nicht jeden Tag tragen.

Bei einem Kurztripp zu einem Freund in Hamburg, positionierte ich das einmalige Stück in einer gut besuchten Kneipe so auffällig, dass ein Kenner und Fachmann ihn einfach mitnahm. Ich merkte den Abgang erst zu vorgerückter Stunde, nach vielen Gesprächen mit dem Freund, einem Tennis spielenden Journalisten, dem ich gerne zuhöre. Auch am nächsten Morgen, wir beide waren wieder hundert Prozent nüchtern, fanden wir den von Carol in tagelanger Arbeit genähten Mantel nicht.

Der Abgang wurde nach einigen Wochen von Carol bemerkt. Ich stotterte eine Entschuldigung. Nackt stand ich vor ihr, ohne ein einziges Argument in der Hand, das mich entlasten konnte. Sie hat mich nie auf diesen Verlust angesprochen. Einen zweiten nähte sie nicht für mich. Ich vermisse den Mantel. Ich vermisse Carol.

Bevor ich die Wohnung verlasse, schaue ich noch einmal in den Spiegel, ein Reflex konditionierter Eigenkontrolle über meine äußerliche Erscheinung, ein flüchtiger letzter Check, bevor ich unter die Leute gehe. Der Griff nach dem Kamm auf der verglasten Ablage führt ins Leere. Der Kamm liegt nicht an der Stelle, an der er immer liegt. Meine Augen kreisen mehrmals durch das Badezimmer, sie finden nichts.

So mache ich mich ohne Frühstück, unrasiert und ungekämmt auf den Weg zu Roswita und Roberto, um einen Latte zu trinken und an einem Croissant zu kauen. Die beiden führen ein kleines Eckcafe mit dem Namen Lido. Im Cafè bin ich inzwischen täglicher Stammgast und gern gesehen.

Roswita, groß, korpulent und blond, einen halben Kopf größer als ihr italienischer Ehemann Roberto, pflegt ihren Berliner Dialekt ebenso wie der in Deutschland geborene Italiener seinen Italo-German-Mix im Sinne von „habe fertig“, gekoppelt mit einem Dreitagebart über den ein George Cloony -Lächeln huscht.

Wenn ick dir nisch hätte, würde ick mir einen wie disch schnitzen, Roberto.“ Dabei umschließt Roswita mit ihrer schlanken Hand seine Wangen zwischen Daumen und Zeigefinger und quetscht sie zusammen. Ein eindeutiger Liebesbeweis, in den ich direkt beim Eintreten in das Cafe hinein laufe. Das frühmorgendliche Turteln verwirrt mich, schlägt wie eine Faust auf meinen Magen und verschlechtert meine eh schon miese Laune.

Die beiden sind längst über meine Trennung aufgeklärt und kennen inzwischen jedes Detail.

Die kommt zurück meen Liebster, du musst nur ein bisschen warten, denn hälst du sie wieder in deinen Armen, so wie ick hier meenen Roberto.“

Sie kneift ihn diesmal in eine Wange, Roberto strahlt.

Isse eine ganze supperkluge Mama, meine Roswita, musse glauben, eine Latte auf Haus.“

Roberto dreht sich um, drückt den Topf mit Milch zum Erhitzen unter das dünne lange Rohr der Expresso Maschine und hebelt das Gefäß mit dem Kaffeepulver in einem Ruck unter die Vorrichtung für den Wasserdruck. Inzwischen schiebt Roswita ein Croissant mit Teller in meine Nähe, hält diesen unter meine Nase und meint.

Kieck mal wie det riescht, phantastisch. Det iss doch wat oder?“

Ich greife zur Lattetasse und Teller, murmele: „Aufrichtiges Dankeschön“ und verziehe mich an einen freien Tisch am Fenster. Seit der Trennung lese ich keine Tageszeitung mehr, nicht eine Zeile, sonst eines meiner größten Vergnügen im Cafè, noch vor Latte und Croissant. Die Auswahl an Zeitungen in Roswitas und Robertos Lido kann sich sehen lassen, vier Tageszeitungen, mehrere Illustrierte und Magazine. Ich nippe an meinem Getränk, schiebe das Croissant auf dem kleinen Teller hin und her, und schaue aus dem Fenster, ohne etwas wahrzunehmen. Die acht Kilo, die ich inzwischen abgenommen habe, kommentierte ein Bekannter etwas gehässig. Er meinte, ich könne mit meiner Diät schnelles Geld machen, denn der Erfolg sei wirklich sichtbar. Einen Ratgeber, wie man schlank wird, von einem Mann geschrieben, nur für Männer, das wäre sicherlich eine Marktlücke. Der Bekannte ist einfach nicht in der Lage zu ermessen, in welchen Dimensionen sich meine Schwierigkeiten bewegen. Kilos zu verlieren ist nur ein Nebeneffekt, den ich gar nicht registriere.

Auch Sprüche wie „Mach eine Therapie“, rauschen an mir vorbei. Ich habe keine Vorstellung, was eine Therapie überhaupt ist, sicherlich etwas für Weicheier.

Der Blick aus dem Fenster läuft ins Leere. Die Menschen, die vorbei gehen, nehme ich nicht wahr, die Menschen, die im Cafè sitzen, ebenso nicht. Ich komme mir vor, wie ein unsichtbarer Alien, der regungslos und zufällig an diesem Ort auf einem Stuhl sitzt und nicht in der Lage ist, einen Schritt nach vorn zu gehen oder zurück. Mitten unter Menschen fühle ich mich allein.

Meine fünfzehnjährige Tochter taucht vor meinem inneren Auge auf.

Sie lebt bei meiner ersten Frau, die wieder geheiratet hatte. Der Ratschlag meiner Tochter, ich solle es mit einer Therapie probieren, verblüffte mich, erinnerte mich aber auch an einen Dialog, den ich mit ihr vor einigen Jahren hatte, da war sie zwölf Jahre alt, als ich ihr ein Buch mit niedlichen Tierfotos als Geburtstagsgeschenk für eine Freundin in die Hand drückte.

Papa, nein Papa, so etwas kann ich nicht schenken, dafür ist meine Freundin zu alt.“ Sie gab mir das Buch sofort wieder zurück und wollte es auch nicht als Geschenk für sich selbst behalten. Einige Tage später sprach ich bei einer günstigen Gelegenheit mit meiner Ex Frau, mit der ich trotz Scheidung ein gutes Verhältnis habe, über den Dialog mit unserer Tochter.

Ja, da hast du was verpasst, mein Lieber. Da sie nicht mit dir zusammen lebt, bekommst du auch nicht mit, wie sie so allmählich erwachsen wird, was sie beschäftigt, wie es ihr geht.“

Ich antwortete nicht.

Damals, als ich so alt war, hättest du mir das Buch mit den niedlichen Affen, Schweinen und Eichhörnchen schenken können, ich wäre entzückt gewesen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Mädchen in ihrer Klasse diskutieren gerade, ob sie sich die Schamhaare in der Bikinizone rasieren, auch Intimrasur genannt, oder ob sie eine Epilation vornehmen, ob sie nur Teile rasieren, also sich eine Schamhaarfrisur zaubern oder die Sache einfach wachsen lassen sollen. Das letztere scheint jedoch völlig out zu sein, auch bei den Jungen. Du mit deinen vielen Brusthaaren bist nicht mehr der Typ, der gefragt ist. Ganzkörperrasur, das ist angesagt, bei beiden Geschlechtern.“

Aber Veronika ist doch erst zwölf! Mit zwölf, mein Gott, da bekam ich die ersten Pickel, grauenhaft, und ich habe mich nur im Dunkeln da unten angefasst, ohne zu wissen, was an mir dran hängt und die rasieren sich die Geschlechtsteile glatt, das kann doch nicht wahr sein.“

Nicht nur zwischen den Beinen, die ganzen Beine, rauf und runter, das machen alle. Ich mache das übrigens schon lange, meine Beine epilieren. Du hast das früher nur nie bemerkt.“

Also vielleicht sollte ich doch Therapie machen? Aber welche?“, murmele ich in meine Lattetasse, trinke einen Schluck des inzwischen kalten Kaffees. In meinen Taschen suche ich lange nach einem Zettel, auf dem die Telefonnummer eines Therapeuten steht, die mir meine Kollegin in der Galerie, gegeben hat. Ich schaue auf die Nummer und den Namen, zerknülle mit einer Hand das Papier und werfe es in den kalt gewordenen Kaffee Latte.

In meinem Kopf schwirren die vielen Ratschläge, die mir gegenüber geäußert wurden. Du musst mal wieder richtig vögeln. Verreise ein paar Tage. Such dir eine andere. Komm zu dir selbst.

Ich stehe auf, um in die Galerie zu gehen. Der Gang fällt mir schwer, der Job kotzt, ja, er kotzt mich an! Und genau das ist neben der Trennung mein zweites Problem.

An der Theke bezahle ich das nicht gegessene Croissant. Dabei lächele ich den beiden freundlichen Cafebesitzern krampfhaft zu.

Det wird wieder jut meen Kleener, det wird schon.“

Mit einer fürsorglichen Geste tätschelt Roswita meine Schulter. Mir ist die Ausbreitung meiner persönlichen Schwierigkeiten zwar peinlich, ich bin jedoch gleichzeitig froh, hier an seiner Straßenecke ein Refugium für die Linderung meiner Schmerzen, jedenfalls zumindest vorübergehend, gefunden zu haben.

Musse arbeiten, essen, viele essen und nach die neue Fraue kucke. Schau dich hier um, so viele bella Signoritas, Mamma mia.“

Roswita dreht sich von der Espressomaschine weg und schaut Roberto direkt in die Augen.

Isse nische für misch, äh, äh, nur für unsere gute Gast, Roswita mio amore, solo mio, kruzifixe.“

Ich flüstere einige positive Bemerkungen über ihr schönes Cafè und ihre gute Beziehung und bin in diesem Augenblick selbst etwas überrascht über meine ruhigen und sensiblen Worte, die gleichzeitig einen möglichen Konflikt zwischen Roswita und Roberta neutralisieren, dabei habe ich vergessen, dass ich genau die gleichen Worte mindestens schon drei Mal in den letzten Tagen beiden zugenuschelt habe, daher füge ich jetzt sicherheitshalber noch hinzu, dass ich meine Worte ehrlich meine. „Sie kommt zurück, sie kommt zurück,“ antworten beide im Duett. Ich streiche mit der linken Hand durch meine Haare und gehe aus dem Cafe. Zu Fuß sind es fünf Minuten bis zur Galerie.

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