vonErnst Volland 19.10.2024

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

Mehr über diesen Blog

Im Bau

Den kleinen und beschaulichen Ort mit dem Namen Rehweiler, im Fränkischen gelegen, nicht weit von der Lastwagenfahrer Raststätte Geiselwind, übersehen viele, die über die Autobahn von Frankfurt nach Nürnberg rasen, oder von Nürnberg nach Frankfurt. Es gibt nur eine einzige Kneipe zu Öffnungszeiten, die den Besitzern gelegen kommen. Meist abends geöffnet, aber auch nicht immer.

Freunde besitzen dort ein geerbtes Häuschen, in das sie gern einladen, Übernachtungsmöglichkeiten begrenzt. Nachbarn im Ort helfen aus und bieten für kleines Geld freie Zimmer an. Zu Silvester treffen sich mehrere Freunde; die nicht ins Haus passen, werden verteilt.

Am ersten Abend sitzen die Freunde in einer großen Runde. Es wird gekocht und gespeist, anschließend spielen alle anregende Gesellchschaftsspiele, meist mit Pantomimen und hin und wieder geistvollen Rätseln. Mir sitzt zum zweiten Mal die mir bisher unbekannte Beate direkt gegenüber und ich denke am Abend mehrmals nach, an welches Tier sie mich erinnert. Ihre dunklen Haare sind sehr kurz geschnitten und bilden über der Stirn eine Spitze, der direkt auf die etwas hochstehende Nase zu zeigen scheint. Sie ist klein und dick, ihre etwas schrägen Augen blitzen ab und zu fröhlich in die Runde, wenn sie eines der Rätsel als Schnellste gelöst hat. Doch mir fällt kein Tiervergleich ein.

Am nächsten Tag wiederholt sich das Spiel. Nach einem langen Spaziergang durch die hügelige Landschaft freut sich die Gruppe auf eine warme Mahlzeit und auf weitere Rätsel und Pantominen. Der erste Abend war sehr unterhaltsam und die in der Gruppe neuen Gäste, Beate und ihr Partner Horst schnell integriert. Alle sind versammelt, doch Beate fehlt. Ich biete mich an, sie im Nachbarhaus, in dem sie mit Horst ein Zimmer gemietet hat, zu holen.

Die Besitzer sind verreist, sodaß beide die ganze untere Etage benutzen können. Beate bittet mich kurz herein, da sie im Bad noch nicht fertig ist.

Ich stehe mitten im Raum und sofort fällt mir ein, an welches Tier mich Beate erinnert. Ich bin umgeben von Igeln. Meine Füsse stehen auf einem Teppich mit Igelmotiv, an der Wand ausschließlich Bilder mit Zeichnungen von Igeln. Tassen, Teller, Figuren, alles Igel und in allen Größen. Beate kommt aus dem Bad. „Das ist ja, also, wie haltet ihr das aus in dieser Igelsammlung?“

Beate führt mich ins Bad. Igelzahnputzbecher, Igelhandtücher, Igelzahnpasta. Igel, Igel, Igel.

Ich schaue Beate an, sage ihr aber nicht, dass sie genau in dieses Wohnung passt, denn sie selbst sieht aus wie ein Igel. Schwarze sehr kurze Haare, vorn etwas länger spitz zulaufend über der Stirn, klein, rundlich. Heute ist sie ganz in Schwarz gekleidet. Wir verlassen ihren Bau und gehen zu unseren Freunden.

 

Zeichnung Ernst Volland

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/vollandsblog/2024/10/19/im-bau/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert