vonMathias Broeckers 10.02.2010

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Ich schreibe gerade an eine Buch über 100 Jahre Drogenprohibtion unter dem Arbeitstitel „Sucht und Ordnung“  (erscheint im Herbst) – und da paßt es prima, dass die taz ein Blog zur Drogenpolitik eröffnet, zu dem ich aus dem reichlichen Fundus, der bei den Recherchen so anfällt, hier gelegentlich Historisches und Aktuelles beisteuern will. Heute eine mail, die mir der Kollege Helmut Hoege gestern schickte, zum Thema Alkohol und Männer:

Wein oder Weib.

Im Jahr 1805/06 veröffentlichte der Populärphilosoph und braunschweigische Hofrath Carl Friedrich Pockels „eines der wichtigsten Werke zum Männlichkeitsdiskurs um 1800“: das zweibändige „Der Mann. Ein anthropologisches Charaktergemälde seines Geschlechts“. Wie fast alle Aufklärer vor und nach ihm kommt er darin zu der Auffassung, dass der Mann seiner Natur nach asozial/egoistisch, aggressiv und unzivilisiert ist, erst durch den Einfluß einer Ehefrau wird aus ihm ein das Soziale nicht mehr gefährdendes Individuum. 2008 hat der Soziologe Christoph Kucklick die Männer-Studien von Pockels, Kant, Hegel, Fichte usw. als eine „Negative  Andrologie“ zu Beginn der Moderne bezeichnet – in seiner Doktorarbeit „Das unmoralische Geschlecht“. Pockels machte sich darüberhinaus jedoch auch laut Kulick Gedanken, „wie Sozialität unter Männern denkbar ist“ – unter Männern, die keine Ehe eingehen (können). Für sie gibt es statt einer Frau den Wein! Pockels Abhandlung über „das Verhältnis des Mannes zum Wein“ ist fast 100 Seiten lang. Sie las sich damals weniger kurios als heute, meint Kulick, denn auch Kant u.a. erörteren um 1800 den Wein als Vehikel der „Offenherzigkeit“. Während Frauen laut Pockels durch den Alkohol „lüstern“ wie Männer werden, bewirkt der Wein bei Männern umgekehrt, dass „mäßiger Rausch“ sie zu Frauen macht. Sie werden toleranter und liebenswürdiger. Sie sind „keiner Verstellung und Hinterlist“ mehr fähig, kurzum: sie machen „zur Freude der ganzen Welt“ eine Wandlung zum Guten durch. Aber vor allem öffnet der Trunk ihr Herz – „und ergänzt so die weibliche Kardialbelebung durch eine alkholische“ (Ch. Kulick). Der Alkohol wirkt „als Antidot zu den Differenzen der Gesellschaft und den Egoismen der Männer“, ihre mit Wein verbundene Geselligkeit „ist eine Art konkrete Utopie, die Versöhnung nach Feierabend“ – indem  sie sich beim gemeinsamen Zechen laut Pockels „untereinander zu einem Geiste der Offenheit bekennen“. Für Kulick  „könnte das auch die Beschreibung einer Ehe sein. Und in der Tat entspricht das Trinken bei Pockels genau einem Eheschluß – ohne Frauen. In der Kneipe heiraten Männer. Der Alkohol sorgt dafür, dass Männer miteinander einen ähnlichen Grad an sozialer Kohäsion erreichen wie sonst nur mit ihren Frauen in der Ehe.“ Das ist insofern utopisch gedacht, als Pockels dabei nicht die schlechte Realität (in den Wirthäusern) übersieht: Der „Schwermüthige“ wird im Rausch zum „wirklich gefährlichen Menschen“, der Geschäftsmann wird zum Angeber, der Soldat spricht „mit nicht geringerm Egoismus von seinem Metier“, der Gelehrte „träumt sich eine Celebrität“, andere Männer werden „zanksüchtig, empfindlich und ungestüm.“ Daran hat sich bis heute wenig geändert. In einem Schloß bei Schlüchtern im Oberhessischen lebt ein  Freiherr von Kühlmann-Stumm, der einen „adligen Saufclub“ gründete, das  Vereinsabzeichen besteht aus einer geschwollenen Leber in Gold. Auf die Frage, warum er nicht wie andere Adlige in der Gegend auch mit den sozusagen normalen Leuten in der Kneipe trinkt, antwortete der Freiherr, dass „die bürgerlichen“ nicht richtig saufen können: Sie werden entweder sentimental oder aggressiv. Eine Beobachtung, die durchaus trifftig ist – jedenfalls in den hiesigen Kneipen, wo sich desungeachtet auch immer mehr Frauen einfinden.“

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