vonmaggie 15.04.2025

Widerhaken

Literaturkritiken. Oder: ein Versuch, nicht den Kopf zu verlieren, zwischen all den Worten die so herumirren in unserer wundervollen Welt.

Mehr über diesen Blog

Argan ist sterbenskrank. Er kann sich vor Tinkturen, Klistieren, Aderlässen und Diäten kaum mehr erretten, ein Arzt muss jederzeit griffbereit sein. Der Tod lauert im Schatten seines Zimmers, zupft an seiner Bettdecke, warum nur sehen ihn die anderen nicht?

Seine zweite Frau Béline glaubt ihm, man könnte sagen, sie zergeht vor Sorge. Auch seine Ärzte und Apotheker erkennen seine Krankheit, umsorgen ihn. Béline sorgt sich insbesondere um das üppige Erbe; möchte sichergehen, dass es nicht in die falschen Hände gerät.

Doch die restlichen Mitglieder des Haushalts wissen, dass ihm nichts fehlt, als ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Seine Tochter Angelique liebt ihren Vater trotzdem; sorgt sich um ihn, auch wenn sie ihren eigenen Kopf hat. Doch dann erfährt ihr Vater, dass der Sohn seines Arztes ebenfalls seit kurzen Arzt ist – und er beschließt kurzerhand, offen selbstsüchtig, seine Tochter mit ihm zu verheiraten. Nichts kann sein Herz erweichen, er sagt selbst über sich, „Ich bin nicht gut; ich bin böse, wenn es mir so paßt“. Der Ausgewählte, Thomas Diafoirus, ist frisch aus der Uni exportiert, begrüßt alle mit einem eingeübten Text und bietet der Angebeteten als Geschenk die Einladung zu einer Sezierung dar.

Während Angeliques Stiefmutter Béline zu ihrem Mann Argan hält, schlägt das Hausmädchen Toinette sich auf ihre Seite. Kein starker Vorteil könnte man meinen, doch Toinette ist gewitzt und vorlaut, sie hält Argan immer wieder den Spiegel vor und lässt sich doch nicht dabei erwischen. Argan ist oft sauer auf sie, dennoch ist Toinette auch eine häufige Gesprächspartnerin. Sie setzt sich für Angelique ein, schmuggelt ihren Liebhaber Cléante ins Haus und argumentiert gegen das Kloster, in das Angelique gesteckt werden soll, wenn sie sich nicht fügt.

Während Angelique doch noch ein wenig hin- und hergerissen ist zwischen der Liebe zu ihrem Vater und der ihrer Liebe zu Cléante, tut sich Toinette mit dem Bruder Argans zusammen, Angeliques Onkel. Er glaub ebenso wenig an die Krankheit und zusammen hecken sie einen Plan aus. Die Krankheit – wenn auch rein imaginär – sollte endlich reale Folgen haben. Der Tod lümmelt sich auf der Chaiselongue und lächelt.

Obwohl das Spiel eine Komödie darstellt, ist das Thema Tod ein ständiger Begleiter. Einerseits sieht sich Argan von ihm verfolgt, anderseits wollen Angelique und ihr Geliebter Célante lieber sterben, als nicht zusammen zu sein. Auch Angeliques kleine Schwester Louison stellt sich ihrem Vater gegenüber kurz tot, um einer Strafe zu entgehen.

abo

Wissen disst Macht. 10 Ausgaben wochentaz für 10 Euro im Probeabo. Jetzt die linke Wochenzeitung testen!

Während die Thematik selbst teilweise nicht zum Lachen ist, resultiert der Humor doch vor allem aus der Figur Argans. Es kommt kaum Mitleid auf, da seine Selbstsucht so deutlich herausgestellt wird. Im Deutschen kann der Titel daher auch im Sinne von „eingebildet sein“ anstatt „sich etwas einbilden“ verstanden werden. Zudem macht sich Molière in den Dialogen über die Mediziner lustig, denen Menschen trotz des Studiums furchtbar fremd seien, während sie parallel den Anspruch erheben, sie heilen zu können.

Kritik an Medizinern war in der Zeit des Stückes nichts Neues, sie findet sich auch in anderen Werken Molières wie „Le médecin volant“ oder „Le Médecin malgré lui“. In „Der eingebildete Kranke“ (Le Malade imaginaire) schreibt er im Gegensatz dazu fast sanftmütig und stellt die Ärzte zwar als dümmlich und abgehoben dar, lässt sie jedoch nach bestem Wissen und Gewissen handeln und nicht etwa aus Geldgier oder Hinterhalt.

Das Stück bleibt der Nachwelt jedoch vor allem durch zwei Elemente in Erinnerung. Einerseits wäre da Molières humoristischer Verweis auf sich selbst, vorgetragen von Argan: „Euer Molière ist ein impertinenter Kerl, und ich finde es schon sehr eigenartig, daß er sich über so honorige Leute wie Mediziner lustig macht“. Molière sprach diese Sätze selbst, da er das Stück in der Hauptrolle uraufführte. Bei der vierten Vorstellung jedoch erlitt er (man könnte fast sagen, ironischerweise) einen Blutsturz und starb wenige Stunden später noch im Kostüm.

ISBN: 978-3-15-001177-5

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/widerhaken/der-eingebildete-kranke/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar