vonmaggie 17.10.2024

Widerhaken

Nicht mehr als ein Versuch, meinen Platz zu finden zwischen all den Dingen, die so passieren in unserer wundervollen Welt.

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Ein Schelmenroman steht auf dem Umschlag, witzig soll es wohl sein, ein rein ironisches Werk. Und doch völlig ernst vorgetragen, vom „Herr, der […] eine in jeder Hinsicht große Rede führt“ und „draußen an der Verwertung wohnt“ an den Postmeister.

Letzterer hat drei Briefträger unter sich: Ürdinger, Blumauer und Deuth. Was die drei tun, ist leicht erklärt, sie „lügen die Wahrheit, das ist das Problem“. Um nicht zu arbeiten wohlgemerkt, wohingegen sie einer Vielzahl von anderen Beschäftigungen nachgehen.

Zunächst der allzeit betrunkene, kräftige Ürdinger. Sein Arbeitsweg führt ihn selten von Haustür zu Haustür, er klappert stattdessen mit den Briefen die Kneipen und Schenken und Wirtshäuser ab. Dort verliest er, nein rezitiert er dem gespannten Fußvolk all die pikanten Groß- und Kleinigkeiten der bayerischen Gesellschaft.

Blumauer, eine scheinbar attraktive Erscheinung, ist der Einzige, der sein Briefträgertum nicht zu Fuße führt. Obwohl sein Moped sicher weniger bezaubernd ist, als sein vielgepriesenes Mundwerk, seine feine zuvorkommende Art, sein ausgesuchtes Lob ohne überschwängliche Laudatio, sein sensibles Gespür für die Bedürfnisse der Menschen… der Frauen. Er ist ein hart arbeitender Mann, nur bleibt seine Arbeit dabei auf der Strecke.

Und schlussendlich Klosterschüler Karl Deuth, das verkannte Genie. Lateiner und „Alibikranker der Amtsärzte“, ein „linksintellektuell[er] Postläufer“ dessen Sozialismus endet, sobald er an der Tafel des Freiherren von-und-zu sitzt. Er ist einfach zu beschäftigt mit seiner Dorfchronik und sowieso immer krank aufgrund seiner sensiblen, künstlerischen Ader. Weder meinungsschwach noch wortkarg dieser Deuth übrigens, nur sind meine Lateinkenntnisse begrenzt.

Und inhaltlich? So lamentieren wir, würde ich es wohl nennen, reihen Satz um Satz um Satz aneinander, nur um der Sprache willen. Und so wird, überraschend inhaltlich retrospektiv, über all die Missstände berichtet, mit denen sich unsere Gesellschaft eine stille Kneipenschlägerei liefert.

Es ist doch irgendwie wundervoll zu lesen, Seiten und seitenweise Lametta über die chronisch betrunkene individualistische Blaskapelle, den Krieg, auch bekannt als Rabenvater, die futuristische Bundesbahn in Zwangsheirat, das ächzende Bildungs- und Gesundheitssystem, die Reichen und die Kranken.

Und eigentlich Allem voran die Post, die ein Lektorat zu sein scheint und sich zum Weihnachtskonsum zu einer wahren Bruchbude wandelt. Die Briefträger selbst gleichen sich nicht mit Hermes, sondern mit Sisyphus, mit Sisyphus und sonst keinem. „Die Post ist für die Briefträger da, sagt Blumauer, nicht umgekehrt.“ Einen lateinischen Satz würde Deuth wohl an dieser Stelle einwerfen.

Ich will mir selbst nicht abverlangen, dieses Werk zu werten. Muss man etwas anderes zum Stil hinzufügen, als das es ein Heidenspaß ist, sich an einer Adaption zu versuchen? Auf der anderen Seite war es ein dünnes Buch, für das ich verhältnismäßig viel Zeit benötigte. Durchaus positiv, doch… ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll, als dass ich glücklich und traurig zugleich war, als es zu Ende ging. Vielleicht „So, wie wir bei der Geburt bereits anfangen zu sterben […]“.

ISBN: 9783701743001

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https://blogs.taz.de/widerhaken/zu-lasten-der-brieftraeger/

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