Es gibt eine Frage die mich seit Langem beschäftigt – seit der Beerdigung meiner Oma. Wie viele Menschen mit denen ich geschlafen habe, würden auf meine Beerdigung kommen?
Meine Oma unterstellte mir regelmäßig, dass ich wohl nur von Luft und Liebe lebe. Eine zeitlang mag es den Eindruck gemacht haben, dass dem so ist. Luft, Liebe und abwechselnd Wodka oder Tequila – kam immer darauf an von welchem Getränk ich mich zuletzt übergeben musste. Eine Zeit in der die Zahl, der möglichen trauernden Sexpartner*innen stark anstieg – so gefühlt. Aber eine Zeit in der Namen schnell vergessen wurden, in der hier und da Dinge tief steckten, aber am Ende doch nie tiefer gingen. Es würden viele wohl entweder gar nicht mehr wissen, dass wir Sex hatten oder nicht wissen, dass ich gestorben wäre. Beides okay.
Es gibt eine neue Frage die mich seit Kurzem beschäftigt – seit einer Abschiednahme während meines Praktikums bei Bestatter*innen.
Bei welchen Menschen, mit denen ich geschlafen habe, würde ich auf die Beerdigung gehen?
Eine junge Mutter wurde von ihrer Familie verabschiedet. Von ihren Kindern – klein – vielleicht noch zu klein um zu verstehen was vor sich geht. Vor allem aber von einem Ehemann. Einem offensichtlich liebenden und unendlich leidenden Ehemann. Er hatte selbst ein paar Worte geschrieben und trug sie seiner verstorbenen Frau vor um sich zu verabschieden während er bitterlich weinte und zitterte.
Es gab kaum einen Moment in meinem Leben, der mich mehr glauben hat lassen, dass es sie gibt: die wahre und tiefe Liebe. Dass es vielleicht das größte Glück ist einmal so geliebt zu haben, um einen anderen Menschen so betrauern zu können. Ich wollte kurz was er hat. Nicht diese Trauer. Aber diese Liebe.
Wochen später scheint alles wieder ganz weit weg und ich weiß wirklich nicht mehr was ich eigentlich will. Eher sitze ich einfach hier mit meinen Fragen und habe auf keine der Fragen eine Antwort. Und wenn es Antworten geben wird, bin ich leider schon tot oder sind andere schon tot. Für die erste Frage einen Fragebogen rumzuschicken habe ich kurz ernsthaft überlegt. Aber wenn man sich mit so großen Themen beschäftigt, wie die Liebe im Leben oder der eigene Tod, scheint das irgendwie verschwendete Zeit. Fragebögen erstellen habe ich nämlich schon immer gehasst. Und safe würde – wenn überhaupt – nur die Hälfte der Leute mitmachen.
Also was bleibt ist Zeit, weil ich keinen Fragebogen erstelle und sind noch so viel mehr Fragen.
Kann ich nicht doch wahnsinnig tief in Wodka und Tequila eintauchen und dort irgendwie weniger nach Luft ringen und mehr wahre Liebe finden? Oder knallt man eh immer am Ende am harten Boden der Tatsachen auf? Sollte ich mir den Satz “Erst wenn du etwas verloren hast, weißt du wie sehr du es liebst!” als Wandtattoo in die Küche kleben? Oder den stilvolleren Satz “Meist belehrt uns erst der Verlust über den Wert der Dinge” von Arthur Schopenhauer in den Nacken tätowieren. Direkt neben das C’lest la vie, dass ich mir mit 19 und zu viel Vodka stechen hab lassen. Was ist jetzt diese fucking Liebe und wie kriege ich es ohne, dass mir die Luft zum Atmen fehlt weil ich Angst habe, es zu verlieren? Wie flippe ich bei so viel Fragen, auf die es vielleicht nie Antworten gibt, nicht aus?
Für die zweite Frage habe ich eine Liste angefangen mit Menschen mit denen ich Sex hatte. Es gibt zwei Spalten. Für Beerdigung ja. Beerdigung nein. Ich werde sie einmal im Jahr aktualisieren.