vonWolfgang Koch 26.02.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der Wiener Text – Mit diesem Begriff ist das Geflecht von Bildern und Reflexionen gemeint, die über Wien im Umlauf sind. Die Inhalte schöpfen sich meist aus wenig ausgewogenen Quellen. Seit den Fünfzigerjahren etwa hören wir, Wien sei die Welthauptstadt der Musik, die Hauptstadt einer Kulturnation und so etwas wie die bezaubernde Seele des Österreichischen. Der Metropole wird im österreichischen Bewusstsein eine Art existenzieller Ennui unterschoben.

Am häufigsten taucht dieser Gedanke in der Behauptung einer spezifischen Wiener Gemütlichkeit auf. Wiener Gemütlichkeit bedeutet nicht dasselbe wie Nettsein oder Ausgelassenheit. Sie hängt stärker am Traditionellem, ist sinnlich, heiter und musikalisch; wer gemütlich ist, verhält sich gesprächig und höflich bis hin zur Servilität.

Der gemütliche Mensch ist zu keinem wirklich scharfen Gedanken mehr fähig! Das Herz pocht stärker als der Verstand – das will das Wort Gemütlichkeit sagen.

Friedrich Heer versuchte diese Selbstzuschreibung des Wieners eng an den habsburgischen Mythos zu knüpfen. Er hob »eine alte Weisheit des Geltenlassens, das Wissen um ein notwendiges Zusammenleben von logisch unauflösbaren Widersprüchen und Gegensätzen« als Berufung des Landes hervor. Heer meinte eine besondere Form der Leichtigkeit und der Unverbindlichkeit des Österreichers entdeckt zu haben.

Allein, dieser edle Kosmos des Geltenlassens, der Verständigung und der Kompromisskultur – er wird durch die binnenkolonialen Geschichte Monarchie dutzenfach widerlegt. Nachgiebig waren die Deutschen im Habsburgerreich sehr selten, sie propagierten das Bild ihrer Weichheit als ideologische Waffe.

Entsprechend kennen wir die Gemütlichkeit auch als ein krass abstossende Bild. Und das nicht erst seit der Figur des Herrn Karl von Helmut Qualtinger und Carl Merc. Dieser Herr Karl, der hässlichste aller Wiener, ein Fleisch gewordene Opportunist, ist ein kulturelles Vorzeigeobjekt des Bürgertums. Qualtinger und Merc nahmen mit dem selbstvergessenen Hausmeistertyp voll bestialischer Gemütlichkeit eine lange satirische Tradition von Johann Nestroy über Karl Kraus bis Ödon von Horwath wieder auf.

Das lustvolle Enthüllen wienerischen Seelenabgründe reicht genau genommen bis zum gegenreformatorischen Starprediger des Barock, Abraham a Sancta Clara, zurück. Schon für ihn schien die Stadt bevölkert von unzähligen Hallodris und Heiligen, von Engeln und Lemuren.

Bis heute erinnern sich die Wiener des lieben Augustins und seines »Alles is hin« – die erste künstlerische Personifikation der Abgründe im Herzen der Stadt.

Trägt nicht schon der Name dieses österreichischen Ortes, Wien, etwas ganz Defizitäres im Klang? W i e n – als ob alles, was hier geschieht, irgendwie von alkoholreichem Wein negativ vorbelastet wäre.

»Der Wiener«, schrieb Ernst Moritz Arndt 1798, »lebt ganz harmlos und glücklich in dem Wahn, dass er der klügste und glücklichste sei, und Wien die Königin aller Städte des Erdbodens«. Grössenwahn ist das einzige Gift der Gemütlichkeit, Grösenwahn verträgt sich hervorragenden mit Fortschrittsglauben.

Heimito Doderer meinte den hässlichen Wiener verstärkt in den Aussenbezirken verorten zu können. »Die Vorstadt neigt in Wien immer zu den dahingegangenen Tagen«, klagte der Schriftsteller; ihre Bewohner seien früher konservativ und altväterlich gewesen, wahre Putzigkeitsvirtuosen. Diese Mentalität habe sich im Wohlfahrtsstaat komplett gewandelt; keine Neuerung, die von den Vorstadtbewohnern nicht sofort begeistert akklamiert würde.

© Wolfgang Koch 2007
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