vonWolfgang Koch 13.08.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die Sperrfrist des Verlages ist dazu da, ignoriert werden. So jedenfalls denken die Redaktion der österreichische Tageszeitung Der Standard und Die Presse. Das rosa Blatt lobte Robert Menasses neues Buch bereits vor zehn Tage als »grossartigen Bildungsroman einer Generation«. Ein Hundfott, der hier den Versuch unterstellt, die Meinungen seriös arbeitender Kollegen positiv stimmen zu wollen.

Nun: die erotischen Abenteuer von Menasses Don Juan sind sehr gelungene Unterhaltung. Der 53jährige österreichische Romancier legt eine Prosa vor, die lächelt. Menasse fährt darin mit dem Mythen von der befreiten Sexualität der Siebzigerjahre Schlitten. Sein Held Nathan hat in der Jugend nicht nur zuviel Karl Marx, sondern auch zuviel Wilhelm Reich gelesen.

Nathan ist mittlerweile solide verheiratet, wie auch seine Geliebte Christa. Er leitet das Ressort »Leben« in einer Tageszeitung, Beruf und Sprache für diese Arbeit hat er von seinem Vater, einem Klatschreporter, übernommen. Nathans Vater hat dem Knaben sechs gute Ratschläge mit auf den Lebensweg gegeben – ein seltsames Nebeneinander von Trieb (»Wenn sich zwei lieben, dann lieben sie sich auch in einer Steinzeithöhle«) und Biedersinn (»Tu, was man dir sagt«).

Auf 273 Seiten verstreut der in zahlreichen Polemiken gestählte Menasse seine Scherze in den Text. Mal wird der Ausdruck »viel leichter« als Steigerungstufe von »vielleicht« gedeutet. Dann wieder ist Mode »der fadenscheinigste Rock, in den sich der Zeitgeist hüllt«. »Glück mit Frauen zu haben« heisst für Nathan nicht, Frauen zu haben – sondern Glück mit ihnen. Kurz: Menasse erweist sich als ein wahrer Pointenfeuerwerker vor den Augen des Herrn.

Die Humorigkeit des Buch ist aber zugleich auch seine Schwäche. Abgesehen vom Kindskopf Nathan gelangt nämlich keine Gestalten über eine Statistenrolle hinaus. Niemand leiden angeblich mehr unter der Klischeehaftigkeit der Welt, als Nathan, heisst es. Doch der erzählerische Trash-Pomp mündet häufig in Beliebigkeit – und verfehlt damit letztlich jene Kunst der Erotica, die die verschwitzte Frage der Menschheit in einer bezwingenden Geschichte formulieren.

Der Jüngling Nathan hat bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr im Bett seiner Mutter geschlafen. Nunmehr, am unglücklichen Ende seiner Karriere, unterzieht er sich einer Gesprächstherapie. Dass Nathan die nötig hat, zeigt sich an einer notorischen Entfremdung gegenüber der Welt. Seit der Jugend verabscheut Nathan z.B. Discos, genauer: die Coolness, die dort zur Schau getragen wird (»demonstrativ kalte Gelangweiltheit«).

Solche Charakterisierungen des Helden geben Menasse die Gelegenheit, das Lied von der verlorenen Authentizität zu anstimmen: »Wir alle waren Babuschkas, bunte Figuren, in denen immer noch eine andere stecke…«, heisst über die studentenbewegten Jahre. Und ein andermal: In Woodstock hätte die Menschen, bei Versuch, sich zu befreien, vergessen, sich auch vom Pathos zu befreien.

Für den »grossen Bildungsroman einer Generation« ist das zuwenig. Immerhin aber befriedigt Menasse keine Altherrengelüste nach einer Roman-Lolita. Seine Frauen sind absolut emanzipiert.

Der Verfasser kennt sich gut aus in Medien- und Universitätspsychologie, in Pornografie und Literatur. Die revolutionäre Institutsgruppe, der Nathan in der heissen Viertelstunde der Geschichte angehört hat, trifft sich in einer sogenannten Bettauerstube (benannt nach dem Wiener Journalisten Hugo Bettauer, 1925 eines der ersten Mordopfer des Antisemitismus in Wien).

Wo Nathan mit der Gegenwart in Berührung kommt, bleibt der Roman seltsam kraftlos. Das Paris der brennenden Autos, die Gewaltakteure aus den Banlieues, erlebt Nathan gut abgedichtet durch die Scheiben von Autos und Lokalen.

Am Ende fühlt sich dieser Mann wie eine jahrhundertealte Schildkröte, ebenso behindert wie geschützt von einem schweren Panzer. Fünfzig Jahre alt, gekündigt, masturbiert er in der Badewanne seines Wochendhauses. In das Wasser hat er ein rötlichbraunes Elexier gemischt, um ein Fruchtwassergefühl zu erzeugen. Nathan will zurück in den Geburtskanal.

Menasse sieht es als Aufgabe des Literatur der rückwärtigen, begriffswidrigen Wahrheit Anschaung zu verleihen. Doch das Pointenfeuerwerk verschafft seinen Figuren nicht die feste Bleibe, die sie brauchen, um das Leben so zu erzählen, wie es ihnen
gefällt – und nicht dem Leben: in seinen Höhen und Tiefen, in unvorhersehbaren Windungen und Rückschlägen.

Statt zur Lust zu erziehen, wie der Untertitel suggeriert, bleiben von der Lektüre psychologische Ratschläge hängen. Ich lese auf Seite 167: »Das Liebeswerte zu lieben ist keine Liebe, sondern Huldigung«. 25 Seiten später: »Manchmal ist es leichter, ein bisschen glücklich zu sein, wenn man unglücklich ist, als vorbehaltlos glücklich zu sein, wenn man einigermassen glücklich ist«. Und auf 261, kurz vor dem Buchdeckel: »Man liebt, weil man in einem Zustand ist, in dem man die Liebe für sich beschliesst«.

Der Roman wäre freilich kein Menasse, wenn er nicht prächtige Spiegelkabinettstücke im Dutzend enthielte: Da wohnt Nathan zunächst in einem Keller in der Ungargassenland (das durch Ingeborg Bachmann berühmt geworden ist). Zu unserer Überraschung erfahren wir später, dass es eigentlich die Lasallestrasse war, aber die Ungargasse eben die Tristesse der gemeinten Verhältnisse viel besser wiedergibt.

Ein andermal lässt der Autor Nathan über eine Geliebte sagen, diese könnte altersmässig auch seine Tochter sein. Nun hat aber Nathan – im Unterschied zu Menasse – keine Kinder. Man wird in der Literaturgeschichte selten einen Autor finden, der sich auf so gewitzte Weise vor der Anziehungskraft seiner eigenen Tochter verneigt.

Casanovas Leben war in Wien schon einmal Impulsgeber für eine Oper, nämlich Mozarts Don Giovanni. Vielleicht mixt nach dieser Lektüre wieder mal jemand schräge Klänge.

Robert Menasse: Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung zur Lust. 273 Seiten, Suhrkamp: Frankfurt/M 2007, EUR 19,40

© Wolfgang Koch 2007
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