vonWolfgang Koch 17.01.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Gibt’s denn in Österreich nur die Beilagen der drei Samstagzeitungen, die an das ausländische Grossfeuilleton anschliessen? Was ist mit der Wiener Stadtzeitung Falter oder mit dem Nachrichtenmagazin profil? Erheben diese Blätter nicht den Anspruch gediegene Journalismus zu liefern?

Zum Vergessen, sagen wir! Der aktuelle Falter illustriert den Nahostkrieg mit einer Karikatur des bösen, hasserfüllten Juden, die es mit dem Stürmer aufnehmen könnte (Falter 3/09, Seite 22). Und das Nachrichtenmagazin profil ist wie der deutsche Spiegel ein ehemaliges Nachrichtenmagazin, in dem man heute viel über Schlankwerden und Hollywood nachlesen kann, aber nichts über Stauffenberg, Exillyrik und das Händeljahr.

1. Platz: SPECTRUM der Tageszeitung »Die Presse«, Redaktion: Karl Woisetschläger

Diese Woche zieht das Spectrum den Konkurrenten klar davon. Wie immer setzt die Redaktion auf den Effekt grosse Namen. Zuerst auf die in Erdberg grossen Namen: Menasse, Chorherr, Streeruwitz; und dann auf die international grossen Namen: Kehlmann, O’Nan, E.A. Poe.

Robert MENASSE liefert eine Würdigung des österreichstämmigen Aphoristikers Elazar BENYOËTZ alias Paul Koppel, in der der Romancier u.a. hinreissend erklärt, was er unter einem »Kind der Aufklärung« versteht. Der Beitrag ist der Text einer Festrede anlässlich der Verleihung eines österreichischen Ehrenkreuzes an den »Rabbi der deutschen Sprache«.

Die Literaturseite präsentiert typische Literaturliteratur von Händl KLAUS und Hans-Georg BEHR: mehr Raunen als Sprechen.

Daniel KEHLMANNs neuer Kracher wird »mustergültig« und »multiperspektivisch« befunden (siehe auch Album).

Weiter Themen: Gasperrzeiten nach dem Krieg; die malische Stadt Timbuktu (»das Grösste ist ihr Name«); jüdische Kunstsammler in Zeiten der Enteignung, eine Poe-Biographie.

Auf der Spielseite wird Americas Army, ein Computerspiel aus der Klasse taktischer Shooter, der Pentagon-Propaganda überführt.

Und Franziska LEEB vermeldet den ersten Kirchenneubau der Erzdiözese Wien seit acht Jahren. Dass man nicht früher davon gehört hat, liegt daran, dass dieses Bauwerk im Weinviertel steht. Das Urteil der Autorin: »eine überzeugend angenehme Balance zwischen Spiritualität und pragmatischer Gelassenheit«. Klingt nach Ayurveda-Massage.

Negativ bilanziert im Spectrum der Beitrag von Marlene STREEUWITZ. Es geht wieder mal irgendwie um das Katholische im Österreichertum. Die neue konservative Innenministerin spreche »wie ein ganz scharfer Kerl«, beklagt die Autorin. Aha. Eine abstrakte Ordnung sei diese Sprache, in die eigentlich niemand hineinpasse. Aha. Immer schon sei der faschistische Handgriff eine »esoterisch abstrakte Interpretation« gewesen. – Was soll das Gefasel? Jargon, der auf billiges Einverständnis zielt. Ist das wirklich die ganze Ausbeute feministischen Denkens in Österreich? Da Streeruwitz wohl merkt, dass sie nichts zu sagen hat, wird ein kleines Mädchen von sechs Jahren in den Text eingeführt, wird bei der Heiligen Kommunion dem Gottvater überantwortet, muss die schuldhafte Ableitung des weiblichen Geschlechts nachvollziehen. Onanieren, nein, das darf das Mädchen auch nicht. »Das Katholische hat nie zur Stifung von Gemeinschaft gedient«, usw. usf. – Schon mal den Namen Roman SCHOLZ gehört, Frau Steeruwitz? Helene KAFKA? Hildegard BURJAN? Legen Sie die Bachmann aus der Hand, öffnen Sie die Augen!

2. Platz: ALBUM der Tageszeitung »Der Standard«, Redaktion: Christoph Winder

Im dünnen Blatt aus dem Hause BRONNER bewegt sich was, wenn auch leider in Richtung Monothematik. Von acht Seiten sind fünf Barack OBAMA bzw. der US-Politik gewidmet. Das ist entschieden zu viel und spiegelt eine durch Fernsehen komplett verzerrte Wahrnehmung. Hat das Album dem österreichischen Bundeskanzler am Wochenende vor seiner Amtseinführung fünf Seiten gewidmet? Eben.

Wie in allen linksliberalen Blättern wird viel mitgefeiert mit den Demokraten in den Vereinigten Staaten. Aber die Hybris, die die Autoren an George W. Bush kritisieren, sie wird in jedem zweiten Absatz von ihnen selbst übertroffen. Stets wird von »Amerika« und »amerikanischen Eliten« gesprochen, vom »Amerikabild« oder der »Amerika-Tour« – so als ob die Kanadier, die Chilenen und die Nicaraguaner keine Amerikaner wären. Der linksliberale Journalismus aus Wien hat eine durch und durch ausgrenzende Qualität, die er gar nicht mehr wahrzunehmen vermag.

Was erfahren wir im Detail? Dass drüben immer mehr christliche Verlagshäuser Kooperationen mit Supermärkten eingehen. Dass es drüben Kirchen gibt, die über einen eigenen McDonald’s verfügen. Dann wird noch die kluge Frage in den Raum gestellt: Was sind die wesentlichen Gründe für die unterschiedliche Bedeutung, die der Sphäre des Religiösen in den USA und in Europa zukommt? Eine Antwort bleibt aus. Muss es möglicherweise auch, denn man wird hierzulande nie verstehen, dass sich die US-Politik genuin der religösen Sprache bedient und dabei unter dem Strich trotzdem keine Monarchie herauskommen muss.

Zweimal Plus: der Krisenkolumnist WINDER führt seinen Kater Balu ein. Und das Album erinnert an den 1999 verstorbenen Designer Victor PAPANEK, der Armut für die Mutter der Innovation hielt.

Daniel KEHLMANNs neuer Kracher wird für ein »mit gewichtigen Fragen« ausgestattetes Werk befunden; Rezensent Stefan GMÜNDER bezieht die Publikationsstrategie des Verlages mit in seinen Text ein (siehe auch Spectrum).

3. Platz: EXTRA der »Wiener Zeitung«, Redaktion: Hermann Schlösser

Absteiger der Woche! Das Extra wirkt, als hätte der Chefredakteur seinen Papierkorb in der Beilage entleert. Man versucht’s nach dem erfolgreichen Mix der letzten Woche mutwillig auf die Album-Tour mit viel Politik, was in einem staatstagenden Blatt naturgemäss schief geht.

Zunächst gibt Reinhard HEINISCH den Analytiker der jüngsten US-Wahl. Obama wird in dem überlangen Artikel als »Politiker ohne falsches Pathos und gekünstelte Dramatik« ausgelobt. In den folgenden Sätzen werden dann »Images umgestylt«, es wird »in die Trickkiste« gegriffen oder eine Partei steht »vor den Trümmern«. Wir lernen daraus bloss, dass die Fähigkeit zu einer so kümmerlichen Sprache heute schon für eine Professor für Politische Wissenschaften ausreicht.

Auf der Seite 3 empfieht der Publizist Peter DIEM fünf quälende Spalten lang der Regierung eine Expertenkommission zum Thema Wahlrecht einzurichten. Das anbiedernde Manöver ist nur zu leicht zu durchschauen. Diem dient sich der Grossen Koalition an und will der empfohlenen Expertenkommission selbst angehören.

Dann echte Sofafeger: Klimawandel und Siedlungsentwicklung, Charles DARWIN, Rockmusik, Adolf MUSCHG, Barbara FRISCHMUTH.

Ein schauderlich illustriertes Interview mit dem Mediziner Felix TRETTER, der sein »systemisches Menschenbild« durch Inszenierungen von Hirnforschern gefährdet sieht.

Haben Sie gewusst, dass der Schriftsteller W.G. Sebald Lesezeichen aus Ahorn-, Buchen- und Eichenholz in seiner Arbeitsbibliothek verwendet hat?

Zum Abschluss kinetische Objekte. Der Wiener Motor-Journalist David STARETZ baut zur Erholung von den vielen anstrengenden Testfahrten »Maschinen, die sich wohl fühlen sollen«.


© Wolfgang Koch 2009
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