vonWolfgang Koch 25.01.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

1. Platz: SPECTRUM der Tageszeitung »Die Presse«, Redaktion: Karl Woisetschläger

Das Spectrum übertrumpft die Konkurrenz diese Woche mit Beiträgen von oder mit Peter WEIBEL, Peter ROSEI und der ungekrönten Königin der österreichischen Literatur, Friederike MAYRÖCKER.

Peter Weibel zählt – neben Sigrid LÖFFLER und Thomas MACHO – zur Spitze des österreichischen Intelligenz-Exports nach Deutschland. Im Interview liest der Leiter des ZKM Karlsruhe seinen Landsleuten kräftig die Leviten. Dabei kommt die heuchlerische Ökonomisierung grosser Staatsmuseen ebenso zur Sprache wie die autoritäre Universitätsreform unter Schüssel (ÖVP). Weibel bezeichnet die politische Klasse in Österreich als »verfassungskriminell« und den Herausgeber der Neuen Kronenzeitung, Hans DICHAND, als »Souverän« des Landes. Österreich verliere zunehmend seinen Status als Rechtssstaat, das Land werde von der unsichtbaren Herrschaft der Dumpfbacken regiert, der Celebritykult überforme die ganze Gesellschaft.

Mayröcker, die Grande Dame des dunklen Schreibens, serviert zwei erlesene Spalten zum kalendarischen Anlass von Maria Lichtmess (»1 einzelne Träne die Blüthe umfängt mich«).

Peter Rosei liefert einen zwar altmodischen, aber ansonsten eben soliden Bericht einer Ägyptenreise. »Die Pyramiden in ihrer Unwahrscheinlichkleit verschwinden seitwärts…«

Eine Serie über Spiele präsentiert das Brettspiel »Juden raus« von 1938, mit dem sich die Dresdner Firma Günther & Co – sehr zum Missfallen der Nationalsozialisten – von der Antisemitismuswelle der Dreissigerjahre profitieren wollte.

Rezensionen: eine Sahra-WAGENKNECHT-Biographie und, quasi als Gegengewicht, drei Bücher zur Ära Stalin; weiters eine Neuauflage von Hilde SCHMÖLZERS Das böse Wien der Sechziger. – »Ein Muss« unter den biographischen Sammelbänden (siehe auch Album).

Negativ in dieser Ausgabe bilanzieren Karl-Markus GAUSS, Manfred REICHL, Peter STRASSER, der unvermeidliche Egyd GSTÄTTNER sowie ein Architekten-Interview.

Gauss kennzeichnet seit Jahren der Ehrgeiz, als Totenredner am Grab sämtlicher ethnischer Minderheiten in Europa aufzutreten. Diesmal gibt er elegisch breit ein Gespräch mit einem in Schweden lebenden Assyrer über in Schweden lebende Assyrer wieder. In zwei Absätzen gebraucht Gauss achtmal das Autoren-Ich, und am Schluss muss man auch noch lappidar und erklärungslos erfahren, dass der befragte Assyrer bereits 2007 einem Mordanschlag zum Opfer gefallen ist.

Wie häufig im Spectrum gibt es beim Umblättern das jeweils andere Extrem. Der Kolumnist Martin LEIDENFROST, eine Entdeckung der Redaktion, strichliert knapp und gekonnt das Leben von Portugiesen in Brüssel und an der Algarve.

Der Mangement-Stratege Manfred Reichl bildet den Negativ-Kontrast zum tollen Weibel-Interview. Dieser Lehrbeauftragte für Globalisierung an der WU Wien faselt viel von der »Steuerung der Welt« und weiss doch nur soviel wie wir alle immer schon wissen: »Der nächste Crash kommt, und zwar aus einer Ecke, die wir heute nicht kennen«.

In Kärnten nähert sich bekanntlich der neue Landeshauptmann Gerhard DÖRFLER mit dumm-dreisten Witzen seinen Wählern. Im Spectrum versucht es der ebenfalls in Kärnten lebende Egyd Gstättner auf dieselbe dumm-dreiste Weise mit dem Thema Wien und die Donau. Wir empfehlen als bessere Lektüre den bis heute unerreichten Dokumentenband der transmedialen Gesellschaft daedalus von 1996.

Der Grazer Religionsphilosoph Peter Strasser will uns den Thriller-Autor John Le CARRÈ als »grossen Erähler« andrehen.

Und dem österreichischen Architektenduo Elke DELUGAN-MEISSL und Roman DELUGAN erlaubt die Redaktion das von ihnen geplante Porsche-Museum in Stuttgart als »kraftvolles Wechselspiel aus Geschwindigkeit und Spannung, Gelassenheit und Ruhe« sowie als »architekonische Vision« und als »lupenreines Projekt« in den Himmel zu loben (sie auch Album).

2. Platz: ALBUM der Tageszeitung »Der Standard«, Redaktion: Christoph Winder

Jede Redaktion ist soviel wert wie die Autoren, die sie hervorbringt. Der lachrosa Standard hat mit Daniel GLATTAUER als Gerichtsreporter und Kolumnisten einem exzellenten Schreiber zum Leben verholfen, der heute weit über die Reichweite des Mutterblattes hinauswirkt. In der aktuellen Album-Ausgabe präsentiert er das Anfangskapitel seines nächsten E-Mail-Romans. Dazu muss man wissen, dass Glattauer meisterlich die kleinen Formen beherrscht und im E-Mail-Palaver eine Lösung gefunden hat, sein Können auch in die Romanform einzubringen. Leider ist der Vorabdruck der Liebesgeschichte schlecht oder gar nicht lektoriert. Es gibt Satzfehler, Bildersalat und glatte Irrtümer im Text (nicht »wie schön schöne Gefühle sein können«, sondern »wie schlimm schöne Gefühle sein können« ist die Entsprechung zu »wie schlimm schlimme Gefühle sein können«). Im anschliessenden Interview erfähren wir, dass der Schriftsteller Glattauer aus einem anfänglichen Misserfolg geboren wurde und sein Schreiben als »eine Dienstleistung für Gleichgesinnte« versteht. Gesinnungsprosa für Bobos gewissermassen.

Im Album dürfen sich die Architekten des Stuttgarter Porsche-Museums nicht selbst ausloben. Hier kramt Wojciech CZAJA die Superlative »aus dem Vollen geschöpft« und »eine Wucht« aus dem Sack (siehe auch Spectrum).

Ein neuer Sammelband des Wiener Thanatosophen Rudolf BURGER wird vom Theaterkritiker Roland POHL nicht rezensiert, sondern angesungen: dieser Denker sei ein Zauberer ohne illusionistische Tricks, ihm eigne das Zeug zum Dichter. »Er musiziert freilich in und mithilfe von Begriffen« (siehe auch Extra).

Als Austriaca wird ein Band über österreichische Exzentriker von Hans VEIGL vermeldet. Der Rezensent weiss leider nicht zu schätzen, dass die österreichische Biographik hier endlich den Schritt wagt, mit einer von Genies und Träumern bevölkeren Vergangenheit aufzuräumen.

Hans HÖLLER bietet ohne wirklichen Gewinn den Geist von Walser, Handke, Benjamin und Agamben auf, um einen Hofmannsthal-Roman von Walter KAPPACHER interessant zu machen.

Über MAX BLAULICHs dritten Roman hingegen hätte man gerne mehr erfahren.

Die Amerika-Serie (womit die Vereinigten Staaten gemeint sind) hat diesmal einen glänzenden Text der in Iowa geborenen Suhrkamp-Autorin Ann COTTEN zu bieten. Sie versucht sich in einer fast akademisch schwerfälligen Sprache am »monströsen Wesen der USA«. Da kreuzen philosophische und psychologische Begriffe wie Fregatten der Pazifikflotte durch den Text, Bilder werden verdreht und malträtiert, Wort-Libellen schweben über dem Sinn – und doch presst die Autorin damit Einsichten und Erkenntnisse hervor, an denen es experimentellen Texten sonst häufig mangelt. Ein Rose nach Berlin.

3. Platz: EXTRA der »Wiener Zeitung«, Redaktion: Hermann Schlösser

Eine ungekünstelte Zwei-Seiten-Reportage von Marco LAUER über die mühsame Arbeit am Gotthart-Basistunnel, der bis 2017 fertig sein soll. Interessant; doch im klassischen Magazin-Stil gehalten und darum in einem Feuilleton fehl am Platz. Feuilletonbeiträge müssen die journalistische Tagesarbeit in irgendeine Richtung überschreiten; das Kriterium der Länge ist dabei nicht zugelassen.

In Fortsetzung der vor zwei Wochen diskutierten Vergewaltigungswelle in der sowjetischen Besatzungszone nach 1945 erinnert sich Ex-Justizminister Harald OFNER an die Ankunft der Russen in Milleschau. Und die Historikerin Barbara STELZL-MARX bremst die Behauptung dieses Zeitzeugen ein, der Sowjetdichter Illja EHRENBURG habe damals Soldaten zur Vergewaltigung aufgerufen. Das zu dieser Behauptung gehörige Flugblatt sei seit 1950 nirgends aufgetaucht.

Wien als Spiegelkabinett: Hausautor David AXMANN glossiert, dass der Standard-Theaterkritiker Pohl ein Bühnenwerk zur Aufführung gebracht hat, worüber ein weiterer Standard-Kritikaster im Brotblatt der beiden »geschickt und uneitel« zu berichten gewusst habe (siehe auch Album).

Ein Interview mit dem Musikforscher Herwig KNAUS, in dem sich alles um das Privatleben des Schönerianers Alban BERG dreht. Wie in dem bereits im letzten Herbst vom selben Autor im Residenz-Verlag erschienen Buch vermögen auch hier ellenlange Zitatpassagen aus dem schriftlichen Nachlass des atonalen Komponisten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Detailversessenheit dieser Recherche aus denselben banalen Motiven speist wie das Gaffertum von Klatschblättern.

Weitere Themen: der Austro-Jurist Heinrich KLANG und Edgar Allan POE.

Barbara EDER weiss genau, welche schreckliche Lücke im nationalen Gedächtnis Israels klafft (woher eigentlich?) und empfiehlt uns – unterfüttert mit Thesen von Jans Assmann und Maurice Halbwachs – den Animationsfilm Waltz With Bashir.

Eine Woche nach der Konkurrenz rezensiert Peter MOHR den neuen KEHLMANN-Kracher im Extra. Hut ab vor soviel Gelassenheit der Redaktion! Aber hat sich die Bedenkzeit denn auch bezahlt gemacht? Also im Text schlägt sie sich nicht nieder. Bei literarischen Grossereignissen wie dieser Neuerscheinung versagt die österreichischen Literaturkritik durch die Bank; die Rezensenten liegen vor dem deutschen Grossfeuilleton am Bauch. Wir empfehlen die Lektüre des gut begründeten Kehlmann-Verrisses von Dirk KNIPPHALS in der taz vom 16. Jänner.

© Wolfgang Koch 2009
next: SO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2009/01/25/wiener_feuilleton_4_woche_2009/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert