Blogserie, Teil 7, gewidmet der »Falter«-Redaktion
7- CHRISTIAN REDER
Dass er in Budapest geboren ist, sagt über ihn soviel wie die Tatsache, dass Thomas Bernhard in Heerlen in Holland geboren ist: nämlich nichts und weniger als das. Christian Reder kam nicht als Fremder nach Österreich und doch ist aus ihm über die Jahre eine Art Fluchthelfer geworden, der unablässig Fremdes in ein Land schmuggelt, das sich am liebstem am Eigenen ergötzt.
Der Analytiker, Autor, Essayist, Herausgeber, Kurator und Kunstsammler wirkt seit 1985 als Professor an der Universität für angewandte Kunst Wien und leitet daselbst ein Zentrum für Kunst- und Wissenstransfer. Er ist gefragter Gesprächspartner von bildenden Künstlern, Schriftstellern, Wissenschaftern, nicht nur in Österreich: wir nennen Alexander Kluge, den Libanesen Amin Maalouf, den chilenischen Biologen Humberto R. Maturana.
Entsprechend häufig verfasst Reder Katalogtexte, bestreitet Podien, eröffnet Ausstellungen. Sein geistiges Profil ist ohne ausgedehnte Reisetätigkeiten nicht denkbar. Dabei absorbieren – nachdem das um 2000 herum die Donauanrainerstaaten getan haben – heute die Kulturen des alleröstlichsten Europas seine Aufmerksamkeit.
Reder stellt für seine Studien regelrechte Expeditionen mit Experten und Künstlern auf die Beine. Die später seine Begegnungs- und Diskussionsreisen dokumentierenden Essay- und Theoriebände sind auf Projektwelten und auf ein Projektdenken orientiert. Reders Intention: Europa von den Rändern her zu erfahren – auch als Schärfung der Wahrnehmung gegenüber Zuständen in der eigenen Metropole. Wechsel von Blickrichtungen, multimediale Kooperationen, Verstehens-Transfer zwischen Disziplinen und Denkzonen, zwischen Text-, Ton- und Bildwelten, …
Entsprechend heißen die Projekte »Graue Donau, Schwarzes Meer«, »Transferprojekt Sahara«, »Transferprojekt Damaskus«, – und sie haben rein gar nichts mit dem kalkulierten Realitätsverlust im Tourismus zu tun, der das richtige Leben auf einer Reise bekanntlich zum unerwünschten Faktum erklärt.
Reders Reisen sind Grenzgänge, führen in die schöpferischen Kraftfelder am Rand des Sagbaren. Dieser hektische Sensibilist möchte unbedingt mitwirken an der Simulation des Vernunftfortschritts. Kein Gang aus seinem Haus am Stephansplatz – mit privilegiertem Ausblick auf die gotische Domfassade –, dem nicht die fragende Sozioethnologie folgte.
Ererbtes Vermögen machen Christian Reder und seine Gattin Ingrid, eine Modedesignerin, unabhängig von den Querellen des Wiener Kulturbetriebs. Im Regelfall finanziert man die Publikationen im Springer Verlag, und das sind inzwischen unüberblickbar viele, einfach selbst.
Reder kennt das berühmte Freud’sche Credo: »Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat«. Also beherzigt er diesen Satz, ruht nie und nimmer, doch das ballfreudige und verfressene Wien stellt sich wieder mal mit dem ganzen Geschick eines Simulanten taub.
Über die Jahre ist Reders geschäftiger Kulturtransfer zu einem mittelgroßen Betrieb angewachsen. Er betreibt simultan Projekte, finanzierte eine materialreiche Website, ruft Plattformen ins Leben, gründet immer neue Buchreihen. »Transdisziplinär«, »interkulturell« anregend muss es dabei zugehen, ungewohnte Konstellationen müssen passieren – ein ewiges, unnachgiebiges Learning-by-doing.
Bei dieser Fülle von echoarmen Projekten geht inzwischen manches daneben, die von Reder koedierte Wissenschaftsgazette Recherche zum Beispiel. Das Blättchen mit einer behaupteten Druckauflage von 25.000 Stück macht gerade das Gegenteil von dem, was es zu tun vorgibt: sprich Forschungsergebnisse »in einer zugänglichen, attraktiven Wissenschaftsprosa zu präsentieren«. Kilometerlange Bleiwüsten, ohne jede journalistische Kompetenz aufbereitet, dienen allein dem Distinktionsgewinn weniger Autoren-Rezipienten, statt den versprochenen Wissensgewinn für Viele abwerfen.
Reder freilich gründet immer weitere Schlepperbanden aus Künstlern, Theoretikern, Papierarbeitern, um Neues in die Zonen der dämonischen österreichischen Dürftigkeit zu schmuggeln. Das ist gut so, beispielhaft; doch das Transfergut schlüpft durch die Schlupflöcher im Zaun nie wirklich ins Land, weil die Wiener ihre denkerische Gemütlichkeit als das unmittelbare Resultat einer Grenzabschottung begreifen. Wiens Großstadtzeitungen danken diesem einmaligen Fluchthelfer durch beständiges Wegducken.
© Wolfgang Koch 2011