vonWolfgang Koch 31.07.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Am 29. Juli 2011 schrieb die taz-Leserin Kati in einem Kommentar: »Die Instrumentalisierung der Toten von Oslo zur Untermauerung der eigenen subjektiven Meinung ist unanständig«. – Kann sein, liebe Kati, aber welcher Instanz, möchte ich rückfragen, haben wir denn dieses harte Urteil zu verdanken?

Warum soll ich mich denn nicht zu einer blutige Realität äußern, deren medialer Zeitzeuge ich doch letzte Woche geworden bin? Weil die Realität des Doppelattentats schrecklich wie ein Schlachtgemälde war, weil Leichen am Boden lagen oder leblos im Fjordwasser trieben?

Nein, liebe Kati, dann dürften wir morgen auch nicht mehr über Vegetarismus oder über gesunde Ernährung sprechen, weil wir dabei geschlachtete  Tiere und gezüchtete Pflanzen »zur Untermauerung unserer subjektiven Meinung« über Hülsenfrüchte, Bratstufen und Sylviasauce »instrumentalisieren«.

Das wäre doch ausgesprochen konterproduktiv, oder? Und am Ende sprächen wir vielleicht über gar nichts mehr, was direkt mit dem Leben zu tun hat, wir kehrten in ein mythisches Schweigen zurück, weil doch jede Rede nur für dreckige eigene Zwecke missbraucht würde …

Und weiter fordert die eilige Kati: »Nun würde ich von der taz und ihren Autoren schon einmal gerne wissen, wie und in welcher Form man eine Meinung über den Islam und dessen Erscheinungsformen in Deutschland haben und äußern darf. Oder soll man dazu keine Meinung haben, keine öffentliche und keine im Kopf?«

Nun, wie sich die Sache in Deutschland verhält, da muss ich als österreichischer Autor naturgemäß passen. Wie man aber mit dem Islam am ganzen europäischen Kontinent umgehen sollte, da möchte ich Kati gerne ein paar Vorschläge machen, die sich dann sicherlich auf deutsche Köpfe leicht adaptieren lassen.

Ich sage das gereizt, weil uns die Breivik-Morde in Oslo doch eines überdeutlich vor Augen geführt haben: Das leidige Einwanderungsthema ist ein Gegenstand der gesamteuropäischen Politik, es umfasst sogar einen noch weiteren Raum als den Europäischen Union – denn der ressentimentgeladene, hysterische und kulturalistischer Unsinn, der dazu geäußert wird, übersteigt heute spielend alle Grenzen.

Herr Anders Behring Breivik, der mörderische Antiislamist, ist nicht nur ein norwegischer, sondern auch ein deutscher, ein österreichischer, ein portugiesischer, ein albanischer Ernstfall. Niemand, die Bewohner keines europäischen Landes, brauchen sich vor ihren Nachbarn vornehm hinter der Nationalflagge verstecken.

Kati wünschte sich konkrete Antworten. Gut, rufen wir dazu doch diesen beelzebübischen Blogger Fjordman zur Hilfe. Dieser Gottseibeiuns der antiislamistischen Bewegung, der wichtigste unter den drei geistigen Zieheltern Breiviks, hat nach den ersten fünf Jahren seines unentwegten publizistischen Zündelns und Brandredens eine saloppe Zwischenbilanz gezogen, die das Herz eines jeden Paranoikers erfreuen dürfte.

Fjordman hat im fünften Jahr seines scharfmacherischen Wirkens in stilistisch unüberbietbarer Kürze das Credo des neuen islamophoben Menschen formuliert:

1. »Sind die islamischen Lehren als solche gewaltträchtig? Ja.«

2. »Kann der Islam reformiert werden? Nein.«

3. »Kann der Islam mit unserer Lebensweise versöhnt werden? Nein.«

4. »Gibt es so etwas wie einen gemäßigten Islam? Nein.«

5. »Können wir es weiterhin den Muslimen erlauben, sich in unseren Ländern niederzulassen? Nein.«

»Diese wenigen Sätze«, schrieb der anonyme norwegische Blogger am 20. Februar 2010, »enthalten alle die Informationen über den Islam, die man braucht. Es ist zwar nützlich, mehr über die Art und Weise, in der der Feind denkt, zu wissen und wie man seine Schwächen ausnutzen kann, es ist aber sinnlos, zu viel Zeit mit dem Studium der gescheiterten islamischen Kultur zu verbringen«.

Keine der fünf apodiktisch hingeworfenen Aussagen Fjordmans, lieber Kati, ist wirklich durchdacht und daher im demokratischen Diskurs als Meinung zum Islam zulässig.

1. Die islamischen Lehren sind als solche nicht gewaltträchtig; einige schüren die Antipathie gegen Ungläubige, andere nicht; und natürlich muss hier wieder einmal betont werden, dass es nie die Lehren selbst (also die Agumentationsfäden der Glaubenssätze) sind, von denen Gewalt ausgeht, sondern die Menschen, welche die Gedankenkonstrukte zur Rechtfertigung ihrer Aggressionen nutzen.

Im gegenständlichen Fall heißt das auch: Nicht Breiviks überheblichen Thesen oder seine Bombenbauanleitungen haben getötet, sondern er selbst als Tatherrscher zielte auf ein blutiges Ergebnis und er, der handelnde Mörder, führte es unmittelbar herbei. Breivik war nicht der herzlose Exekutor seiner »Europäischen Unabhängigkeitserklärung«, nein, er war der Mann, der seine Intentionen realisierte, die mit dem erwünschten Sturz des Multikulturalismus nicht zwingend etwas zu tun haben.

2. Ob der Islam reformiert werden kann, ist eine sinnlose Frage, da eine blockartige Weltreligion solches Namens nicht existiert. Der Monolith Islam zerfällt, wie der Monolith Christentum oder der Monolith Buddhismus, in eine stattliche Anzahl divergierender und rivalisierender Richtungen. Manche davon werden sich im Lauf der nächsten Jahrhunderte wandeln, so wie sie das schon bisher getan haben, andere nicht.

3. Kann der Islam mit unserer Lebensweise versöhnt werden? – Bei dieser Frage liegt der Denkfehler in der Unterstellung einer gemeinsamen westlichen Lebensweise: noch so ein Hirngespinst des europäischen Rechtsextremismus. Was hat denn die Lebensweise einer Pariser Bankerin mit der eines schwedischen Skinheads gemeinsam? Nichts. Was die Lebensweise eines griechischen Fischers mit der einer schottischen Hausfrau? Kaum etwas.

Nun gut, man putzt sich die Zähne am Morgen, man isst mindestens eine warme Mahlzeit am Tag, man schläft nächtens in einem Bett und begräbt die anverwandten Verstorbenen zur letzten Ruhe in der Erde. Aber diese Übereinstimmungen zwischen den genannten europäischen Personentypen sind nicht größer, als die Übereinstimmungen jedes einzelnen von ihnen mit einem x-beliebigen Moslem.

Selbst wenn es das herbeifantasierte »gute alte Europa« der Nostalgiker noch gäbe, das Europa mit dem Brot, das aus der Bäckerei kommt und nicht aus der Backstube, das Europa mit unseren Geld, das in Banktresoren liegt und nicht als Investmentfondsanteil virtuell um die Erde kreist, wenn es dieses idyllische Europa noch gäbe mit seinen keltischen Volkstänzen und den bayerischen Würsten, so müssten wir zu Fjordmans grimmiger Enttäuschung doch festhalten, dass Muslime mit und ohne Schleier damit bestens zurechtkämen.

4. Gibt es so etwas wie einen gemäßigten Islam? – Aber gewiss doch, den Mystizismus der Sufis von Ibrahim inb Adham (gest. 782) bis Al-Ghasali (1058-1111); den Ibadismus, die dritte Richtung des Islam, die weder der sunnitischen Mehrheit, noch der schiitischen Minderheit zuzurechnen ist; die islamischen Aleviten; die Anwendung von Ijtihad (Neuinterpretation von Schriften) und das Konzept der Fitra; der Euroislam, die Schule von Ankara, etc.

Es wird, wie beim Buddhismus, in einigen Jahren einen »Islam des Westens« geben, der dann unserem Kulturgut mit derselben Selbstverständlichkeit angehört, wie das heute Sushi und Feng-shui-Möbel tun.

Aus diesen vier Punkten folgt logisch der 5., nämlich dass wir getrost weiterhin Muslimen erlauben können, sich in unseren Ländern niederzulassen. Tun denn die Muslime nicht das gleiche mit unseins in ihren Ländern? Die reichen Franzosen klotzen ihre Villen in die marokkanischen Berge; deutsche Geologen fördern Erdöl in den arabischen Ölstaaten. Und wir Mitteleuropäer leben seit Jahrhunderten mit in Bosnien ansässige Moslems Seite an Seite, für deren hanafitische Rechtsschule die k. u. k. Monarchie 1912 das erste »Islamgesetz« des Kontinents erlassen hat.

Der große, in der rechte Blogsphäre gefeierte Fjordman täte gut daran, mehr Informationen über den Islam einzuholen. Vielleicht sollte er ein bisschen weniger alte Filme ansehen, ein bisschen weniger Pinot noir-Rotwein aus Neuseeland trinken und Bücher über mittelalterliche Geschichte lesen, wie er das demonstrativ an dem Wochenende getan hat, als in Norwegen 77 Menschen über die Klinge seiner geistigen Ignoranz sprangen.

© Wolfgang Koch 2011

http://fjordman.wordpress.com/2010/03/02/fjordman-die-ersten-funf-jahre/

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