vonWolfgang Koch 22.05.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Ich bin dem Künstler zum ersten Mal bei einer Hochzeit auf einem Schloss in der Steiermark begegnet. Als das Tanzgelage bereits in vollem Gang war, zog er für das Brautpaar einen einzelnen roten Kinderschuh aus der Sakkotasche. Dabei war dem Mann an jeder seiner Fasern anzumerken, dass es sich von dem ärmlichen Objekt, das er eigenhändig präpariert und signiert hatte, weit schwerer trennte als die anderen Gäste von ihren sündteuren Hochzeitsgeschenken.

Sie verstehen jetzt vielleicht: Wir haben es bei Daniel Spoerri mit einem großen Sammler zu tun haben, einem Grandseigneur der Archive. Sein Zuzug nach Österreich und die Eröffnung seines Ausstellungshauses und Esslokals in Hadersdorf am Kamp 2009 gehört zu den glücklichsten Gewinnen, die die österreichische Kunstszene in den letzten Jahren zu verbuchen hatte.

 

Der Anthropologin Margit Berner ist es zu verdanken, dass man im prachtvollen Wiener Naturhistorischen Museums (NHM) auf die Idee verfiel, diesen Ausnahmekünstler ein Jahr lang in den weitläufigen Depots, Archiven, Werkstätten und Sammlungsräumen des Hauses herumschnüffeln zu lassen. Zwar lebt die ehrwürdige Institution mit ihren über 20 Millionen Objekten seit Generationen bestens vom Steuerzahler und den leuchtenden Augen der Kinder. Doch die neue Direktion hat auch das nachvollziehbare Bedürfnis, sich von dem in den letzten Jahrzehnten angehäuften Ökokitsch zu befreien.

 

Herausgekommen ist bei dieser Kollaboration ein unermessliches Gaukler- und Taschenspielertheater, wo alles bewunderungswürdig und unvorhergesehen ist. Ein Rebus des Wissens und der Formen, zu dem auch Sehende keinen Schlüssel erlangen können. Ausgestellt werden in der Schau, die Spoerri einen »inkompetenten Dialog« nennt, unerhörte Dinge: einerseits Museumsobjekte wie aufgeklappte Schildkrötenpanzer, eine Wand mit seltenen Rinderschädeln, Mineralien von kalter und magischer Helligkeit, in Alkohol eingelegte Fische, die zur ersten Beschreibung der Typen dienten, usw.

 

Und als Kontrapost zu diesen Archivfunden künstlerische Arbeiten aus Spoerris letzten zwanzig Jahren, Assemblagen aus Holz, Knochen, Sand und Porzellan, zu denen man besser Halluzinationen als Kunstwerke sagen würde. Ein Geburtsstorch, der dem Betrachter ein silbernes Kindergerippe im Spitzentuch vor die Füße legt; »Hirnkorallen«, ein »Kümmerlingskrickerl« und ein steinernen Irokese tummeln sich in dieser Wunderkammer, die man studieren sollte, bevor die Arbeiten wieder in Sammlerhänden und die wissenschaftlichen Objekte wieder in ihre tausendjährige Dunkelheit verschwinden.

 

Zu den schönsten Dingen, die man diesen Sommer in Wien zu Gesicht bekommen kann, zählt eine 45 quadratische Bilder umfassende Serie von Assemblagen, in die Spoerri ein Herbarium aus den 1940er-Jahren eingearbeitet hat. Die gepressten Pflanzen aus dem Lainzer Tiergarten sind mit Tinte beschriftet: Moschus, Wilde Malve, Klapperkopf, Ochsenzunge, Mauerpfeffer, und jedem einzelnen der Blätter hat Spoerri anmutige Miniaturobjekte hinzukomponiert: Püppchen, Schneckenhäuser, Muscheln, Miniaturinstrumente, Spielwürfel – ein Spätwerk mit einem besonderen Wahnsitz: nämlich mit Poesie, Zartheit und Gleichgültigkeit in einem. Spoerris wohlwollender Blick auf die Natur ist durch einen wesentlich von Alternsmilde bedingten Firnis poetisiert.

 

Soweit die Gegenüberstellung von Kunst und Objekt, die sich bis in Vitrinen hinein fortsetzt. Spoerri wollte übrigens seine Funde und Findungen über dem fünfstöckigen Tiefspeicher keinesfalls in Konkurrenz zur historistischen Architekturmalerei treten lassen, weshalb er die Säle 16 und 17 eigens weiß präpariert ließ. Eine Lektion, zu der wohl kein österreichischer Gegenwartskünstler in der Lage gewesen wäre.

 

Nur ein einziges Objekt wurde originär für diese Schau geschaffen. Spoerri platzierte auf dem Skelett einer Pythonschlange einen Tigerkopf aus eigenen Beständen. Das Ergebnis: eine beeindruckende Chimäre, an der allerdings auch deutlich wurde, auf welcher Seite denn die »Inkompetenz«, ohne Fragezeichen, im Dialog zwischen NHM und dem Künstler angesiedelt ist.

 

Bei der Pressekonferenz daraufhin angesprochen, ob die Python mit Tigerkopf-Assemblage in Zukunft einen Ehrenplatz im Museum erhalten werde, eierte Ausstellungsdirektor Reinhard Golebiowski herum, man werde in den nächsten drei Monaten irgendwie sehen, ob das NHM auf ein Sammlungsobjekt oder der gewonnene Künstler auf seinen Tigerkopf verzichte.

 

Dass man einem greisen Künstler etwas mehr Respekt zu zollen habe, ja dass eine künstlerische Arbeit auch zu bezahlen sei, auf diese Ideen schien bei der Präsentation niemand zu kommen. Wie von Grund auf verstört ist denn dieser Diskurs? Dass ein Museum auch über ein angemessenes Ankaufsbudget verfügen sollte, wenn es sich mit zeitgenössischer Kunst schmücken will, soviel Anstand scheint an der Wiener Ringstraße neuerdings unbekannt.

 

© Wolfgang Koch 2012

 

Fotos: W. Reichmann, Rita Newman, NHM

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