vonWolfgang Koch 28.02.2013

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Den Vorhang zu und alle Fragen offen / Foto: E. Obermayr

Österreichs Streitmacht beruht also auch weiterhin auf Furcht vor Militärstrafen. Seit 2004 wurden schon über 1.000 Wehrpflichtige wegen Nichtbefolgung einer Zuweisung oder unerlaubter Abwesenheit kriminalisiert.

 

Die SPÖ tritt seit der Volksbefragung am 20. Jänner 2013 innenpolitisch ängstlich auf und bewertet koalitionäre Einheit wieder höher als politischen Meinungsstreit. Dabei könnte sich die Partei – trotz der schwerwiegenden Fehler, die mit den prominenten Namen Androsch, Fischer und Burgstaller verbunden sind – durchaus glücklich schätzen, hat sie doch von ihren vier Grundwerten (Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Demokratie) erstmals die Freiheit in einer bundesweiten Kampagne in Stellung gebracht.

 

Die SPÖ zog in der Kampagne zur Heeresreform unter dem Stichwort »Freiwilligkeit« an einem Strang mit den grünen Bürgerrechtlern und den beiden liberalen Parteien im Land (BZÖ, Strachisten). Sie lehnte die Wehrpflicht im Namen »sozial verantworteter Selbstbestimmung« ab und propagierte neben dem »Freiwilligenheer« ein »Freiwilliges Sozialjahr«.

 

Das war politisch klug und sachlich richtig! Denn in Österreich gibt es eine drit Jahrzahnten ungestillte Sehnsucht nach Liberalität. Das Freiheitsideal der bürgerlichen Revolution war seit jeher ein Leitstern aller fortschrittlichen Politik, und hat nicht bereits das 19. Jahrhundert gezeigt, dass es die ArbeiterInnenbewegung besser zu bewahren verstand als die Besitzerklasse?

 

Ihre freiheits- und menschenrechtsfreundliche Position zur Heeresreform hatte die SPÖ allerdings nicht der programmatischen Arbeit ihrer Parteiakademie zu verdanken, sondern der militärpolitischen Intelligenz, also engagierten Offizieren.

 

Mit ihrem Herzensthema »soziale Gerechtigkeit« ist für die SPÖ in einem Land ohne dramatische soziale Konflikte kein Profil zu gewinnen. Darum war es längst überfällig Kollektivismus, Anti-Individualismus und den Verzicht auf persönliche Verantwortung ideologisch abstreift. Den Ruf nach dem »Vater Staat« ist keine brauchbare Basis für die Zukunft mehr.

 

Im Gegenzug strapazierte Schwarz-Blau fast ausschließlich das »Gemeinwohl« für die Wehrpflicht. Man erörterte die Grundsatzfrage, ob es zulässig sei, den Bürgern nicht nur Steuergeld, sondern auch gesellschaftliches Engagement abzuverlangen. Die Rückschrittsparteien forderte junge Menschen zu »solidarischen Staatsbürgern zu erziehen«, bei ihnen Sinn und Verantwortung für das Gemeinsame zu erwecken. »Eine wertelose Gesellschaft«, wiederholte H.C. Strache in einer Tour, »wird zu einer wertlosen Gesellschaft«

 

Im Wesentlichen entschied genau dieses kommunitaristische Abstimmungsmotiv die Befragung, ergo der Zivildienst über die Sicherheitsvorsorge. Darin mochte eine Rationalisierung anderer Unzufriedenheiten stecken, doch es war durchaus mehr als natürliche Ranküne.

 

Was bedeutet es in einer Demokratie, wenn eine Mehrheit Zwang als Stütze der solidarischen Gesellschaft anerkennt? Was besagt es auf historisch belastetem Boden, wenn die Gemeinwohlverantwortlichkeit unter Strafdrohung auf die Schultern junger Männer gelegt wird?

 

Es bedeutet, dass die Grenze zwischen Staat und Gesellschaft verwischt wird und die Politik ein totalitäres Verbundsystem zwischen ihnen erzeugt.

 

Kommunitaristische Debatten kommen aus den USA. Dort beklagt man schon länger die »Auflösung von Bindungen« und das Ausufern »egoistische Sonderinteressen«. Linke und Rechte versuchen eine Wiederbelebung von Gemeinschaftsdenken unter den Bedingungen der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft.

 

Doch das Lob eines an die Gemeinschaft gebundenen Selbst hat in den USA stets ein starkes liberales Gegengewicht. Als 1940 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, protestierte das Commitee on Militarism in Education mit den Worten: »Nach unserer Auffassung schmeckt die Wehrpflicht zu Friedenszeiten nach Totalitarismus …«.

 

Das gilt in Österreich gleich doppelt. Hier musste sich die SPÖ ja erst aus den Widersprüchen ihrer Gleichheitsideologie lösen, um dem Gemeinschaftstrend eines sehnsüchtigen Zeitalters entgegenzutreten.

 

Anders als in den USA läuft die Idee einer »Wehr- und Wertegemeinschaft« hierzulande automatisch Gefahr an die »Volksgemeinschaft« der Hitler-Diktatur anzuschließen. Auf mentalitätsgeschichtlich verseuchtem Boden setzt Waffenpflicht zwangsläufig den Geist der braunen Massenideologie fort.

 

Auf die Idee, aus der Zwangsrekrutierung einen neuen Gemeinschaftssinn zu entwickeln, konnte nur eine postfaschistische Gesellschaft verfallen. Womit agitierte Schwarz-Blau denn gegen das »Profiheer«? Mit Bürgersinn und gemeinschaftlicher Zwangsorganisation – gerichtet gegen antisoziales und gemeinschaftsschädigendes Verhalten.

 

ÖVP und FPÖ haben am 20. Jänner 2013 den politischen Schulterschluss für eine mobilisierte Gesellschaft vollzogen, die auf der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft, auf gegenseitiger Kontrolle und der freiwilligen Unterordnung der Individuen unter das Gemeinwohl beruht.

 

Konnte man bis dahin glauben, dass die »Volksgemeinschaft« in Österreich nur mehr als eine »Wehrgemeinschaft« gegen Fremde aufersteht, als aggressives Kollektiv der Verfolger von Illegalen, Asylsuchenden und Bettlern, wie seit Wochen in der besetzten Wiener Votivkirche, so sind wir seit dem 20. Jänner gewarnt.

 

***

Was übrigens die Boulevardmedien betrifft, so haben sie allein an die Leserschaft der Zukunft gedacht und ein nachhaltiges Signal an die Jugend ausgesandt.

 

© Wolfgang Koch 2013

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