vonWolfgang Koch 06.09.2013

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Für den österreichischen Maler Jürgen Messensee ist Kunst eine fantastische Möglichkeit des menschlichen Geistes, Erkenntnis zu erlangen. Fantastisch, weil sie eine neue, zusätzliche Realität zu der unserer Gedanken kreiert.

 

Messensee, »gibt zu sehen, was er tut«, hat Elfriede Jelinek einmal gesagt. Er gestikuliert atemlos auf Wänden herum wie das verirrte Kind im Wald. Er schickt seinen Strich auf Todesmärsche, dichtet den Farben eine Baufellentzündung an. Schreie wogen durch den Raum, Beine trommeln auf den Boden. Doch immer »bleibt das Bild das Tun«, verwandelt die hervorbrechenden Destruktivkräfte in trotzige Begeisterung und künstlerisches Hochgefühl, das sich augenblicklich auf den Betrachter überträgt.

 

Ständig torpediert das Formengewitter den intellektualistischen Anspruch auf Erkenntnisgewinn. Die Geschwindigkeit der Zeit wird von Messensee durch Tischkalenderblätter veranschaulicht. Der Künstler unterwirft sie dem Jetprinter, einer digitalen Drucktechnologie, die sie als Überformate auf Karton wieder auswirft. Diese Blow-ups werden dann mit Acryl exzessiv handbearbeitet, auf Fotofolien und kopierten Unterlagen entstehen kontrastreiche Farbwunder, so dass man »Light My Fire« rufen mochte, und: »Give Me Some Of That Good Old Love«.

 

Gestische Präsenz in bester europäischer Tradition, willenstarke Verschiebungen dicker Farbbahnen, ein geradezu rigider Freiheitsdrang, ohne jede schmerzliche Wucht wie bei Hermann Nitsch, appollinisch konzentriert – auch wenn der Künstler von sich sagt, dass er die dionysische Trance braucht, um in einen Zustand des Möglichen und damit der Malerei zu kommen.

 

Bedeutungshuberisches enthalten die Titel. Der Katamaran z. B. steht in Messensees Malkunst für den Geschlechtsakt. — Verbindet denn das berühmte Boot mit dem Doppelrumpf nicht die Spannungseinheit eines Gegensatzes, um auf Kurs zu bleiben? Ist Adam nicht eine Art Voraussetzung für Eva, und umgekehrt? Nun, die Tamilen benennen mit dem Wort Katamaran zusammengebundene Baumstämme, und ein Baum spielt ja auch in der christlichen Schöpfungsgeschichte eine tragende Rolle.

 

Es geht also nicht ohne Bildung und Pathos. Er mache, was mitzuteilen sei, sagt der Künstler. Seine Malereien seien gedankliche Notationen der empfundenen Welt, sie basierten auf einem reflexiv fundiertem Selbstverständnis.

 

Messensee stilisiert sich gerne zum »Außenseiter«, der natürlich einer, der mit der lokalen Nobelpreisträgerin befreundet ist und von wichtigen Galerien vertreten wird, nicht sein kein. Gut, der Mann ist 15 Jahre älter als die Neuen Wilden der 1980er-Jahre. Wie alle Künstler hat er die Neigung, die Aggressivität gegen sich selber zu kehren – auch wo es vielleicht darauf ankäme, sie gegen die wirklichen Feinde zu richten.

 

Doch sich selbst zu vergewissern, über das eigene Leben nachdenken, über das gelebte und das ungelebte, das ist eben ein Bedürfnis, das im Alter einen immer gewaltigeren Stellenwert einnimmt.

 

010Altersradikalität heisst schamlos offen zu sein. Der Mangel an Zukunft lässt dich ungehemmter sehen und das sagen, was dir nicht in den Kram passt. Alter ist nun Mal das Ende jener Illusionen, die durch Zukunftskonformismen entstehen. Rücksichtslos, befreit und unbekümmert, illusionsresistent, produktiv rasend, befreit von jedem Taktgefühl – wir kennen in der Kunst diese fröhliche Depression eines »Malens gegen die Zeit«. Der späte Picasso oder Horst Janssen hingen mit jeder Faser an der Sinnlichkeit, zeigten vitale Bilder ohne jegliche Verklärung, Kopulationen in Großaufnahme.

 

Andererseits hat mir Arnulf Rainer vor vielen Jahren einmal versichert, ein gutes Alterswerk müsse unbedingt in eine Schublade passen. Auch das hat viel für sich. Wer dem Druck der eigenen Vergänglichkeit entgegenarbeitet, muss eine strenge Zeitökonomie entwickeln, Aussagen verdichten, reduzieren.

 

Ist diese Schau etwa gar kein Alterswerk? Nun, bei Messensee ist die Aggression sicher ein vom Alter unabhängigen Ausdruck der Persönlichkeit. Schon sein allererster Katalog, anlässlich einer Ausstellung 1968 in der Galerie Würthle, zeigt ein strenges Formenbewusstsein. Der berserkerische Malgestus der letzten Jahre ist derselben mönchischen Selbstdisziplin unterworfen.

 

Also, Altersradikalität oder nicht? Doch, doch. Man mag sich ja gar nicht vorstellen, wie dieser 77jährige Senior Löcher in Aluminumplatten schneidet und große Flächen nach außen biegt. Auf allen Bildern überdeckt die körperliche Präsenz des Künstlers die geistige.

 

Dass Messensee auf ein Kalenderblatt vom Ostermontag Fleischfarben kleckst – geschenkt. Aber dass er nicht nur Schicht über Schicht aufträgt – grundierte Leinwand, Pastellkritzel, darüber Acryl mit Wischtuchresten –, sondern auch den umgekehrten Vorgang sichtbar macht, das allmähliche Verschwinden der Farbe, indem er verblassende Kalendernotizen dokumentiert, das macht doch mehr Spaß und Sinn als die theorielastigen Knäckebrotreste jüngerer Kollegen.

 

Das sechsjährige Kind, mit dem ich die Ausstellung besuchte, war restlos begeistert. Das wieder erinnert mich an eine Episode auf der langen, langen Reise Mumins von Tove Jansson, in der eben Mumin, Schnupferich und das Snorkfräulein auf Stelzen die Schluchten am Boden eines ausgetrockneten Meeres überqueren. So elegante Stelzen wie im Bank Austria Kunstform haben wir schon länger nicht gesehen.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

www.bankaustria-kunstforum.at/

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