vonWolfgang Koch 10.09.2013

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Mit dem Wort »kabarettreif« ist man in Wien schnell zur Hand, und zwar immer dann, wenn die Hohlheit einer Zeremonie in der Luft zum Greifen steht und Laudatoren ihre seit Jahren bekannten Sprechblasen abzusondern drohen.

 

Als »kabarettreife Ehrung eines Wiener Originals« bezeichnete Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) letzte Woche die Auszeichnung des Szenefigaros Erich Joham mit dem Silbernen Ehrenkreuz der Stadt Wien. Alles an dieser Feier hatte Show-Charakter: die erschienen Ehrengäste, die Konfettiansprachen, der Medienzirkus.

 

Umzingelt von Fotografen und TV-Teams gab zumnächst der Schauspieler Peter Paul Skrepek den verblichenen, doch unvergessenen Bürgermeister Helmut Zilk am Rednerpult im Rathaus zum Besten. Zilk verkörperte das von dem Bürgerkaiser Karl Lueger im 19. Jahrhundert eingeführte Modell des jovialen Stadtvaters bisher am radikalsten. Das zahlreich erschienene Publikum lachte über typische Zilk-Sätze wie: »Ruhe, bitte! Ich werd Ihnen schon sagen, wenn das Lachen angebracht ist«.

 

Der falsche Zilk ehrte in Erich Joham eine große »Persönlichkeit des Überlebens« und »eine Art Google mit menschlichem Antlitz«. Der stadtbekannte Salonbetreiber, darüber war man sich unter den prächtigen Lustern einig, wird sicher nicht als Friseur in die Geschichte der Stadt eingehen, sondern als geschickter Katalysator ihrer Kultur.

 

Filmautor Peter Patzak erinnerte sich an »geniale Haarschnitte, die unter geistiger Abwesenheit passierten«, nannte den Salon in der Griechengasse »eine Presseausschnittdienststelle« und »eine psychotherapeutische Tagesklinik«, nach derem Tagwerk Joham noch auf nächtliche Hausbesuche zu seinen Kunden gehe. Der Kulturstadtrat wollte im Firmennamen »Er-Ich« gar die Fortschreibung von Sigmund Freuds »Über-Ich-Modell« erkannt haben.

 

Kurz: Man lächelte und lachte komödiantisch, man durchlüftete die Titel- und Ehrungssucht des Wieners mit Klamauk und Selbsttravestie.

 

Woran erkennt man einen echten Wiener? An der  Sehnsucht, auch nach dem unvermeidlichen Ableben weiter geliebt zu werden, am deutlichsten formuliert in dem ortüblichen Wunsch nach einem Ehrengrab der Gemeinde. Ein echter Wiener richtet sich zeitlebens an der Vorstellung auf, dass ihm die Nachwelt die letzte Ehre erweist und sich Leute, die Wangen mit Tränen benetzt, über den verwesenden Leichnam beugen.

 

Alle paar Tage rufen irgendwelche Kulturschaffenden im Büro des Stadtrates an und erkündigen sich in eigener Sache nach einem solchen Monument im Kulturhain der Gruppe 40 des Zentralfriedhofs. »Kein Problem«, gibt Mailath-Pokorny in diesen Fällen bereitwillig Auskunft. »Zur Erteilung eines Ehrengrabes müssen Sie zunächst einmal sterben«.

 

Im Fall des Erich Joham hat die Gemeinde nun erstmals eine spektakuläre Ausnahme gemacht und ihm ein Ehrengrab der Stadt bereits zu Lebzeiten zugesichert. Das scheint uns vollkommen gerechtfertigt! – Erich Joham hält seit Jahrzehnten dem Wiener Hirntod sein offenes Sammlerauge entgegen, er besitzt im kleinen Finger mehr Geist als die meisten Mimenköpfe, die er heimsucht.

 

Der Mann versteht sich als Mäzen, als Talente-Scout und Frühförderer. »Oft ist es so«, sagt er, »dass man nicht weiß, was ist das in meinem Geschäft jetzt ist: ein Casting, ein Kinderg’schnas, ein Heim für Obdachlose oder a Party. I glaub, dass die Leute, die zu mir kommen, auch einen Familienanschluß suchen«.

 

Wer da kommt, ist oft nicht irgendwer: Künstler, Journalisten, Makart’sche Prachtleiber, Mondkinder, strenge Charakterköpfe auf der Beamtenlaufbahn, Werbefuzzis, Unternehmer, unerkannte Genies kurz vor dem Durchbruch, niederträchtige Verleumder, Tagediebe, bösartiger Selbstdarsteller, Hochlandvieher, Gemeindeobere.

 

.,. Und Erich Joham ist in dieser Gesellschaft kein eilfertiger Plaudergeist, sondern ein geschickter Kommunikator, der das richtige Mischungsverhältnis für die Welt draußen sucht.

 

Dieser Exzentriker entzieht sich der allgemeinen Trostlosigkeit des Kommerzes, er kehrt dem Kommerz als Fluch unserer Zeit durch Kunst, Drogen und Society den Rücken. Dabei hat Johams Witz gar nichts Funkelndes; er macht eher Spaß von der Sorte, wie er in den 1950er-Jahren geschätzt wurde, als Wien noch von fremden Armeen besetzt war.

 

Fasziniert von der Schnittstelle zwischen Leben und Tod, flüstert Joham den Mitwienern stets junge Kultur ins Ohr. Bekannt wie Rudolph Moshammer in Bayern, mediengeil wie Silvio Berlusconi und komisch wie Hans Moser trägt er nuschelnd und stottert zur hellsten Gemütentwicklung in Wien bei.

 

Und artig ist Erich Joham natürlich auch. Artig, wie das Lieblingsäffchen der sozialdemokraischen Jeunesse dorée, wollte er sich am Ende seiner eigenen Heiligsprechung beim Stadtrat mit dem Abspielen des obigen Videoclips bedanken. Der g’schamste Diener scheiterte freilich daran, dass niemand die nötige Hardware in den Wappensaal mitgebracht hatte.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

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