vonWolfgang Koch 30.06.2016

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Fünfeinhalb Kilometer stoffbelegte Stege und Bahnen, davon drei Kilometer am Wasser, der Rest auf den Uferwegen und in den malerischen Gassen norditalienischer Fischerdörfer – das ist das dritte große Landschaftskunstwerk des amerikanischen Künstlers Christo auf europäischem Boden.

Als der bulgarienstämmige New Yorker, damals noch in kongenialer Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau Jeanne-Claude, im Spätsommer 1985 den Pariser Pont Neuf mit champagnerfarbenen Stoffbahnen verhüllte, da eröffneten die Christos der aus der Pop Art hervorgegangenen Land Art-Bewegung einen völlig neuen Raum: die Stadtlandschaft.

Ihre Künstlerkollegen Michael Heizer, Robert Smithson und Walter De Maria waren vom erweiteren Kunstbegriff zu Grossraum-Earthworks in Wüstengegenden vorangeschritten. James Turell und Charles Ross versuchen sich in den 1980ern an Observatorien. Das Ehepaar Christo aber verwarf diesen kolonialistischen Zug der Avantgarde und wandten sich in seiner Ästhetik überraschend den zivilisatorischen Lebensräumen des Menschen zu.

Sie gedachten mit ihrer Kunst, historische Tiefenschichten städtebaulicher und schließlich politischer Symbole zu erschließen. Die Reichstagsverhüllung 1995, das zweite große Europaprojekt der Christos, wurde von deutschen Intellektuellen breit rezipiert und als »architektonischer Impuls« für den Umbau des Parlaments, als »Denkanstoß« im politischen Diskurs oder als »würdiges Zeichen« der repräsentativen Demokratie interpretiert.

Wieder gingen spektakuläre Bilder einer monumentalen Aktion um die Welt. Christo hatte in Berlin einen silbern schimmernden Wolkenberg auf der grünen Wiese landen lassen.

Doch diesem Vorstoß der künstlerischen Verhüllungsästhetik in die Gefilde der sichtbaren Macht waren sehr enge Grenzen gesetzt. Wrapped Reichstag markierte vielleicht das gewandelte politische Selbstverständnis der wiedervereinten Deutschen; das Glaubwürdigkeitsdefizit ihrer demokratischen Kultur konnte das Kunstwerk aber nicht beheben.

Entsprechend folgten bei den Christos in den nächsten Jahren wieder verhüllte Bäume, unter verschärften ökologischen Rücksichtnahmen, luftige Parktore in New York und ein begehbarer Riesenballon. Mit der diesjährigen Aktion kehrt Christo nun, mittlerweile verwitwert, im lombardischen Sulzano nahe der Stadt Brescia in den Kontext europäischer Symbolarbeit zurück.

Im Wasser des Gebirgssees liegen stramme, 16 Meter breite und 35 Zentimeter hohe Matratzen, gebaut mit 220.000 luftgefüllten Schwimmwürfeln aus Kunststoff, sorgfältig überzogen von 100.000 Quadratmeter Polyamidgewebe, in Münster hergestellt und in Lübeck verarbeitet, welches im trockenen Zustand das Morgenlicht krebsrot, das Mittagslicht dahliengelb und das Abendlicht dann orange reflektiert. Die nassen Ränder der Stege nehmen dem Gewebe den Glanz und lassen es ein paar Stufen dunkler, wie beschattet, erscheinen.

Die Schwimmdocks im Wert von 16 Mio. Euro werden von 190 Anker am Grund des Sees festgehalten. Täglich schreiten über 50.000 Menschen darüber, allerdings nie mehr als 11.000 zugleich, um sich und das temporäre Bauwerk nicht zu gefährden.

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300 Leute waren im Einsatz, um die Piers in nur wenigen Tagen zu installieren. 1.000 Helfer, Ingenieure, Techniker, Mechaniker, Taucher, Polizisten, Zivilschützer und Softwarespezialisten sind um einen reibungslosen Ablauf der Performance bemüht – ein unglaublicher Aufwand angesichts der Tatsache, dass alles nach 16 Tagen wieder abgebaut wird.

Ein Fest der Sinne, und scheinbar ganz umsonst: Es wird vom Veranstalter kein Eintritt erhoben. Die Pontons, das Gewebe, die Schlauchboote, die Mitarbeiter – Christo finanziert alles selbst aus dem Verkauf von Skizzen und Druckwerken sowie aus der Veranstaltung geführter Touren bis hin zum Hubschrauberrundflug. Der einst aus dem kommunistischen Europa geflohene Künstler ist ein wahrer Meister der Vermarktung und Bild-Kontrolle.

Die internationale Berichterstattung zu Floating Piers, soweit ich sie überblicken kann – eine einzige Katastrophe! Es ist, als ob das Feuilleton bereits ausgestorben wäre und eine Kunstkritik überhaupt nicht mehr existieren würde. Die Krise unserer Medien, eine Krise ihrer Redaktionen, drückt sich aus im Schwärmen von der Gigantomanie des Projekts und in Schilderungen davon, wie angenehm und schön der Stoff in der Sonne reflektiert.

Die internationalen Berichterstatter des Kunstevents lassen sich bezaubern von den kleinen Gassen in Monte Isola, den Olivengärten, der Natur des Bergsees. Was sie über das Top-Kunstereignis des Jahres zu sagen wissen, hat in jeder beliebigen Reisebeilage Platz; und das genau ist ja die Absicht der Promozione Turistica Lombardia: mit einer internationalen Public Relations-Kampagne eine Freizeitregion bekannter zu machen.

Man kann in dieser gleichgeschaltenen Presse über das Kunstwerk lesen, die Piers seien unbeweglich, und noch häufiger, sie würden sanft die Wellenbewegungen des Wassers an die Besucher weiter geben. Legionen von Kulturfuzzis übersetzen das in ihren Berichten als »meditatives Gehen«, als dandyistisches Flanieren oder als christusartiges »Wandeln auf dem Wasser«.

»Auf den Stegen spürt man die Dynamik des Wassers unter den Füßen«, sagte Christo bei einer Pressekonferenz, »die Stege atmen«.

Das alles ist höherer Blödsinn! – Ganz konkret übertragen die Schwimmstege nämlich nicht nur die Bewegungen des Wassers; die luftgefüllten Kunststoffwürfel selbst geben beim Auftritt unter dem Fuss nach. Der Besucher schreitet so automatisch und langsam über eine in dreifacher Hinsicht unkalkulierbare Oberfläche. Die wasserinduzierte Bewegung des Stegs, das abfedernde Eigengewicht auf dem Luftpolster oder eine Falte im Gewebe können das Körpergleichgewicht im selben Moment ins Straucheln bringen.

Das ist Lichtjahre entfernt von Jesus Christus.

© Wolfgang Koch 2016

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Fotos: W. Koch

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https://blogs.taz.de/wienblog/2016/06/30/floating-piers-christos-idyllischer-kapitalismus-am-iseo-see-12/

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kommentare

  • Ein Fest der Sinne!!!!! Noch Tage später sind wir von der Installation
    ganz tief beeindruckt. Am 4. Tag stimmte die Organisation „ringsum“ bereits sehr gut und auch das machte das Wandeln auf den Piers zu einem einmaligen und unvergesslichen Erlebnis. Das Lächeln auf meinem Gesicht,
    wenn ich an diesen Tag denke, wird mich noch lange begleiten…..

  • Lieber Herr Koch.

    Sie haben Recht und Ihre Beschreibung der Installation ist auch richtig.
    Aber.
    Haben Sie die Gesichter der Menschen gesehen, die dort -unter Aufbietung einiger Energie/Zeit/Schmerzen- auf den Piers wandeln?
    Ich gebe zu dass ich hin und hergerissen war und bin, ob die kreative Idee oder die kaufmännische Leistung mehr zu bewundern ist.
    Aber das Christo die Idee „Kunst“ den Menschen sehr nahe bringt und diese Menschen auch noch mit seiner Installation begeistert muß man anerkennen, finde ich.
    Mich hat es beeindruckt und ich habe es genossen.

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