vonWolfgang Koch 15.09.2020

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

Mit der Biographie des Extremkünstlers Viktor Rogy (1924 –2004) füllt der Wiener Hollitzer Verlag eine klaffende Lücke in der österreichischen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Neben den Gruppenaktivitäten der Secessionisten, Expressionisten, Phantasten und Aktionisten und der Galeriebewegung der Neuen Wilden agierte nach 1945 eine Reihe von Einzelkämpfern und Außenseitern im Kunstgeschehen, unter denen Rogy als der Einfallsreichste und Sonderlingshafteste gelten darf.

Der Kriegssimulant und gelernte Maurer begann unter dem Einfluss des deutschen Dichtermalers Bô Yin Râ (Joseph Anton Schneiderfranken) in den 1950er-Jahren als Lyriker, zog mit Hans Bischoffshausen nach Paris und später durch drei Kärntner Schlösser, bis er im Gartenhaus von Maria Lassnigs Villa in Klagenfurt sein definitives »Schloss Sorgenlos« fand. In den 1960er-Jahren wandte sich Viktor Rogy mit erschütternder Konsequenz der minimalistischen Bildhauerei zu, schritt von dort weiter zur Fundkunst, erweiterte das Readymade um Gedrucktes und Gebautes.

Rogy imaginierte – wie Július Koller in Bratislava – Ausstellungen und Kunstorte, er kalligraphierte am Wirtshausblock Einwortgedichte, die er in Leuchtschriften ausführen ließ. Er designte drei Klagenfurter Innenstadt-Lokale, setzte spektakuläre Aktionen für den Ensembleschutz, polemisierte gnadenlos gegen Politiker und den kommerziellen Kunstbetrieb und verspiegelte die Stadtkirche in Villach.

 

Der Architekturkritiker Friedrich Achleitner und die legendäre Galerie Hildebrand warfen sich mit Verve für dieses wilde Schaffen ins Zeug. Rogy stellte in Slowenien, Italien, Deutschland und den USA aus. Er schuf in einem einzigartigen Paarlauf mit seiner zweiten Ehefrau Isabella Ban Künstlerbücher und Tanzvideos, Anzüge und Fantasiegerichte, und er performte als »lebende Skulptur« bis zur letzten Minute am Sterbebett.

Die 556 Seiten starke Biographie mit 96 Abbildungen fördert zahlreiche unveröffentlichte Materialien aus dem Leben und Werk des Künstlers ans Licht. Das Buch bringt fünfzig Stimmen von Angehörigen und Zeitzeugen, Schülern und Opfern des alkoholfreudigen Kunstrebellen zu Gehör. Das vielstimmige und erzählfreudige Werk fokussiert die Aufmerksamkeit auf einen blühenden Rand unserer Kultur, schildert den einzigartigen Freiraum der Provinz und es sichert dem intensiven Geist des Minimalismus endlich den gebührenden Platz in der österreichischen Kunstgeschichte.

Präsentation der Viktor-Rogy-Biografie mit dem Autor am Freitag, 18.9. 19:30, im Perinetkeller, 1200 Wien. Gezeigt wird an dem Abend eine Tanzperformance Rogys in der 17minütigen Filmdokumentation »Hallo Hallo, hier Radio OM« von Gerhard Roth.

Fotos: Rogy-Brille aus den 1980er-Jahren, Sammlung Grolitsch, und Modell für die Ausstellung “Reißzweck”, Gaugeler-Halle, Klagenfurt 2003, © Wolfgang Koch 2019. Tischvitrine mit weißen Handschuhen, Galerie FreiHaus, Villach, © Pepo Strutz 2019.

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2020/09/15/der-bewunderungskuenstler-und-retroavantgardist-viktor-rogy/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert