vonWolfgang Koch 06.11.2020

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Österreichs fulminant erfolgreicher Bundeskanzler Sebastian Kurz wird von seinen Gegnern gern abschätzig »Inszenierungskanzler« genannt. Am Wiener Ballhausplatz sollen für ihn nicht weniger als sechzig PR-Spezialisten, Imageberater und Pressedienst-Beamten werken. Nur drei Tage nach dem jihadistischen Terroranschlag auf Zufallspassant*innen in der Wiener City, dem vier Menschenleben und zwanzig Verletzte zum Opfer fielen, bat die Regierungspitze die beiden Polizisten ins Bundeskanzleramt, die den 20jährige Gunman erschossen haben.

Die Ehrung der Sicherheitskräfte sollte ein wenig von der Tatsache ablenken, dass die österreichischen Behörden seit Juli 2020 wussten, dass der bereits wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verurteilte und auf Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassene islamistische Gefährder den Versuch unternommen hatte, in der benachbarten Slowakei an gefährliche Munition zu kommen.

Die heimischen Medien publizieren mittlerweile Bewegungsprofile des Vorstadtmonsters vom Montagabend; die Buddhistische Religionsgemeinschaft – in Österreich halten sich selbst Buddhist*innen für religiös – bedauerte in einer eigenen Aussendung, zum Gedenkgottesdienst für die Opfer im Stephansdom nicht eingeladen worden zu sein. Die Medienprofis der Regierung aber setzten heute zwei Polizisten in Sturmhaube unter ein 2009 entstandenes Schüttbild mit hellblauer Farbe, keine Sonderanfertigung für das Büro des Bundeskanzlers, sondern eine Leihgabe aus einem Bundesmuseum, die Hermann Nitsch der Republik 2013 zum Geschenk gemacht hat.

Für die Aufnahme von Arno Melicharek, er leitet seit der Schredderaffäre im Mai 2019 das Besuchermanagements im Kabinett des Bundeskanzleramtes, posierten die Wega-Beamten am Sofa, der Innenminister links und der Kanzler rechts im Vordergrund. »Fehlt nur noch die Beute«, äzten Wiener Zungen, nämlich der mühsam »gestellt und niedergestrecktAttentäter, der es im Einsatz für den globalen Islam im Herbst 2018 nicht bis nach Syrien schaffte, sondern nur bis in den türkischen Grenzort Hayat, wo er in einem Safe House des IS mit deutschen Jihadisten von der türkischen Polzei aufgegriffen worden war.

Das Pressefoto der Ehrung sorgt nun bei Zeitgenoss*innen für Irritation, wirkt auf viele unangenehm und befremdlich. Aber warum eigentlich? Bemerkenswert an der monumentalen Aufnahme ist die symmetrische Anordnung der Männer, der Möbel und der Medaillen unter dem malexpressiven Gemälde von Nitsch. Man muss nur einen Blick in die aktuelle Ausstellung mit neuen Arbeiten des Meisters im Nitsch-Museums in Mistelbach werfen, um zu erkennen, dass der gestische Exzess dieses Malers immer wieder von strengster Symmetrie gebändigt wird.

Hermann Nitsch ist als Künstler, also als Ganzes, eine ekstatische Erscheinung. Er malt und komponiert, veranstaltet mehrtägige Orgien-Mysterien-Spiele, er formulierte zudem seine Unsterblichkeitsmedizin auf bisher über 3.000 Buchseiten. Jeder Künstler ist für diesen Kunstpriester eine Art Erlöser, indem seine künstlerische Arbeit der Schöpfung huldigt, und damit unserer Existenz. »Je mehr ich glückhaft existiere, desto näher bin ich dem Mittelpunkt der Welt«, sagt Nitsch, und auch:»Je expressiver ein Kunstwerk ist, desto stärker muss es durch die Form geprägt sein«.

Ich habe im Martyriumsverhalten der Dschihadisten noch nie den Ausdruck einer Ideologie sehen können. Diese kapitalen Spinner fühlen sich in ihren Operationen als Blutzeugen der koranischen Sache, aber in Wahrheit dominiert doch ein Exzess der Männlichkeit, eine ziemlich niedere Lust am Spektakulären, ein autoerotisches Aufgeilen an der Furcht und dem Schrecken, den der Terror verbreitet.

Die Anonymität der Beamten hätte im Bundeskanzleramt vielleicht auch weniger bizarr gewahrt werden können. Doch im obigen Sinn sehe ich in der fotografische Inszenierung eine echte künstlerische Hand am Werk, wobei sich Kuratorentätigkeit, Verbrecherjagd und die verrrückte Welt der Passionen leuchtend ineinander spiegeln.

© Wolfgang Koch 2020

Fotos: © Bundeskanzleramt/ Arno Melicharek (2), Wolfgang Koch (2), Manfred Thumberger (2), alle 2020

 

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