vonWolfgang Koch 01.12.2023

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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»Ich werfe Müll hinter meinen Spiegel«, heisst es an einer Stelle in dem soeben erschienen Nachlassband des US-Lyrikers Keith Waldrop, der in diesem Sommer verstorben ist. In Österreich, wo man das Leben bekanntlich für unentzifferbar hält, wie die Hieroglyphen eines Kindes, ist das eine schon seit längerem eingeübte Praxis bildender Künstler·innen.

Diese Woche fiel mir ein mit spiegelnder Oberfläche punktender Katalog zu einer Ausstellung in Räumen des Kärntner Landesmuseum in die Hände. ›MIRROR … MIRROR‹ ist ein Projekt der Design-Initiative Ars Carintha und widmet sich ausschliesslich reflektierenden Flächen, die eine Abbildung entstehen lassen.

Silbermetallic-Umschläge ziehen mich seit Jahrzehnten in den Bann. Um den Bücherberg in meiner Arbeitsumgebung einigermassen in Schach zu halten, haben strenge Razzien in der Bibliothek nur ganz wenige Bücher und Kataloge mit solchen Preziosen überdauern lassen. Auf Augenhöhe hinter meinem Bildschirm steht die 1979 von der Erisian Liberation Front alias Helmut Höge edierte Ausgabe von Alfred Seidels Finalschrift ›Bewusstsein als Verhängnis‹ (1924); zwischen graufarbenen Bildbänden ein Situationismus-Katalog aus dem Jahr 1998, und – in unserem Zusammenhang besonders wichtig – auch der nur 60 Seiten starke Katalog zur Ausstellung ›spiegelverkehrt« des Schmuck- und Objektkünstlers Peter Skubic ist glücklicherweise noch vorhanden. In der Kunsthalle Krems ging es vor 17 Jahren um so ziemlich dasselbe Thema wie derzeit in Kärnten-Koroška: um Spiegel und um die Räume, die Spiegelungen in uns schaffen.

1988 hat Heinz Gappmayr, Österreichs Hauptvertreter der visuellen Poësie, im Kunsttempel von Schloss Buchberg am Kamp unter dem Titel ›Spiegelungen‹ zwei schwarze Rechtecke in Augenhöhe auf zwei Wände geklebt. Darunter ist der Schriftzug »gegenüber« präsent. ¿Comprende? Gappmayrs minimalistische Textinstallation konstituiert also in der Sammlung Dieter & Gertraud Bogner eine räumliche Spiegelsituation als Resultat eines feinsinnigen Denk- und Formulierungsprozesses.

Deborah Sengl, aus der Serie Toy Story

Damit war ein Kilometerstein im leidenschaftlich exakten Kunstgeschehen gesetzt. Skubic führte in jenen 1980er-Jahren mit einem Implantat gleich zweimal den Beweis, dass es »unsichtbaren Schmuck« gibt. Und zwar nicht metaphorisch, sondern ganz real mit dem Operationsmesser. Ab derselben Zeit beschäftigte sich der Schöpfer von Kleinodien und Miniskulpturen auch mit Spiegelungen, und Skubic hat – wie Gappmayr – mehr daraus hervorgeholt, als nur eine Frage der Optik.

»Spiegelungen kann man im erweiterten Sinn als Umkehrung der Wirklichkeit auslegen«, erklärte der österreichische Spiegelphilosoph, der lange an einer Fachhochschule in Köln unterrichtet hat. »Zweimal minus ergibt plus, zweimal Spiegelung ist wieder optische Realität … oder eben Spiegelungen von Spiegeln«. Bis heute besteht Peter Skubic darauf, dass Spiegel eigentlich unsichtbar sind. »Kein Mensch hat je einen Spiegel gesehen. Spiegel ist im Grunde nur denkbar«.

Leider hat es keine von Skubics Arbeiten in die aktuelle Ausstellung geschafft, obwohl sich mindestens eine aus seinem Atelier im Besitz des Kärntner Landesmuseums befinden. Skubic benötigte für seine Kunstproduktion keine Handwerksbetriebe, er fertigte alle seine spiegelnden Metallwerke selbst. Vielleicht ist das der Grund.

Anders als Skubic suchen die an ›MIRROR … MIRROR‹ teilnehmenden Kreativen nicht das Bild hinter dem Bild. Die meisten von ihnen ironisieren einfach den Spiegel als Medium der Selbstwahrnehmung, in dem wir rastlos auf der Suche nach Perspektiven sind. Die Exponate spielen mit der Eitelkeit, die uns die Glasflächen erlauben, mit den Selbstüberhöhungen des Ichs, und die Werke gelten ihren Gestalter·innen schon als gelungen, wenn Spiegelbilder in verschiedene Sequenzen gebrochen erscheinen.

Nichts gegen die unterhaltsamen Wahrnehmungseffekte! Es macht immer Spass, Schönheit in vermeintlichen Verzerrungen zu entdecken. Doch vierzig Jahre nach einer Kunst, die auf präzisen Denkprozessen beruht, dürfen wir uns mehr erwarten. Der Spiegel als Symbol der Vanitas, na gut, als Attribut der Venus pudica – also, bitte, darüber sind wir doch hinaus.

Gewiss, wir identifizieren uns damit, was der Spiegel zurückwirft, oder wir tun es eben nicht. Normalerweise macht uns das Selbstbewusstsein immun gegen den Irrtum durch Fehlidentifikation. Ich weiss, dass ich hineinschaue, weil jemand mir Ähnlicher herausschaut. Keimt aber im Traum der Gedanke, Spiegel müssten sich komisch verhalten, kippen wir in das Reich der Psychose. Wir nehmen Verzerrungen wahr, erkennen uns nicht mehr, fremde Gesichter erscheinen.

Reinbold Friedrich: Reflexionen der Wahrnehmung

Bei Tag hält der Spiegel das Gesehene im Präsens, er sagt: »So und so ist es«. Wir finden kaum mehr als ein unbedeutendes Alles & Nichts. Der neue Apostel der Vollholz-Architektur, Matteo Thun, beschreitet mit ›Omaggio – Ettore‹ klug einen anderen Weg. Nicht das Spiegelbild wird von ihm befragt, sondern der Spiegel als Objekt, das sichtbar wird, wenn wir uns nicht auf das Zurückgeworfene fixieren.

Matteo Thun hat bei seinem hochrechteckigen Wandspiegel auf einer der vier Seiten das Rahmenprofil verdünnen und abschrägen lassen. Der Effekt ist verblüffend: das ganze Medium des Spiegel scheint plötzlich verzerrt. Das Werk irritiert auf so freundliche Weise, dass man gerade darauf verzichtet, ins Glas hinein zu schauen.

Armin Guerino: Fluss der Gedanken

Nicht wenige der Ausstellenden, darunter Boris Podrecca, setzen auf bewegliche Spiegelteile, deren Schwenken Seitenverkehrungen und alle möglichen fremden Bilder hervorbringt. Am elegantesten löst Angela Hareiter den Bau aufklappbarer Flügel mit einer hölzernen Psyche, produziert von Möbeldesign Tschetschonig in Griffen-Enzelsdorf.

Weiters zu sehen: Brechungen in einer überdimensionaler Diamantform von Tanja Prušnik; der Blech-Plastiker Armin Guerrino setzt die Lust an räumlicher Desorientierung in einem Kasten um, worin der Spiegel das Bild der Betrachter·in fragmentarisch irgendwo zwischen einer grauen und einer gelben Endlossschleife zurückwirft. Der Rogy-Schüler Werner Hofmeister, Betreiber eines Museums hinter den sieben Bergen, fragt unter dem Titel ›Adam‹ nach seinem Gesicht unter den vielen Masken, indem er einen Spiegel hinter die Löcher einer Metallmaske montieren liess.

 

Etliche der beteiligten Kunstschaffenden widmen sich Tautologien und Synonym-Skulpturen, es gibt Wortverspielte und Erbauer von Spiegelkabinetten. Auf die Beiträge pensionierter Hochschullehrer hätte das mittlerweile siebente Gestaltungsexperiment von Ars Carinthia aber ruhig verzichten können.

Intellektuell am stärksten durchdrungen hat die Aufgabe wahrscheinlich das Künstlerpaar Jolana Skacel & Igor Scacel. Es fragt im Katalogtext eindringlich nach dem Body. Wir erleben in unserem Körper, ist da zu lesen, 1. den Ort eines basalen Lebensgefühls, 2. einen Resonanzraum von Stimmungen und Gefühlen, und 3. das Zentrum der Wahrnehmungen, Gedanken und Handlungen.

Es handelt sich also um ein wirkliches Pluriversum, das wir da den ganzen Tag durch die Gegend schleppen. Und die Durchsichtigkeit, welche die Sphären des Körpers aufeinander erlauben, ruft für Skacel & Scacel nach einer »atmosphärischen Theorie des Subtilen«. Nicht nur das Wahrhafte, auch das Sphärische soll mit Hilfe des Spiegels betrachtet werden.

Natürlich ist auch der 1942 geborene Grossmeister der südostalpinen Spiegelkunst mit einem Werk in der Ausstellung vertreten. Glasmeister und Spiegelbeleger Arnulf Komposch hat seine Karriere als Hippiekünstler im Summer of Love begonnen. »Jeder Liebende ist ein Krieger!« Und Komposch hat seither nicht mehr aufgehört, unsere Einkörperlichkeit zu durchbrechen und das alchemistische Feuer der Verwandlung mit kalten Materialien in die Welt zu setzen. Die gerillte Vertikalflächen seines Guten-Morgen-Spiegels schleudern Licht und Farben wie mit Wasser gefüllte Luftballons in die Höhe. Von Komposch könnte auch der nützliche Tipp sein: Spiegelschrift mit Lippenstift schreiben, da Fett am Glas haftet.

© Wolfgang Koch 2023

Sonderausstellung bis 11. Februar 2024, kärnten.museum,

Museumgasse 2, 9021 Klagenfurt / Celovec

Abb.: ›Narrenspiegel‹ von Gudrun Kampl (Ausschnitt), Fotos: Marie Obermayr (1), Herbert Wieser (3)

 

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