vonWolfgang Koch 20.01.2024

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Am 23. Jänner 2004 verstarb nach einem dreimonatigen Performance-Exzess mit Patienten, Ärzten und Besucher·innen im Krankenhaus der schwertzornige Kunstrebell vom Wörthersee. In einem letzten Rausch rief der von seiner Krebserkrankung gezeichnete Entgrenzer Freund und Feind an seine Spitalsbetten in Villach und Klagenfurt, wobei besonders an Feinden kein Mangel war.

Ein Charakter wie Viktor Rogy wäre im heutigen Kunstbetrieb, wo schon das Gendern einer Anrede über Auf oder Ab einer Karriere entscheiden kann, völlig undenkbar. Der Mann spazierte mit dem grauen Homburg am Kopf durch die Provinzhauptstadt Klagenfurt, konnte aber seine proletarische Fäuste blitzschnell auf Handgreiflichkeiten umschalten. Er versetzte einem Leiter der Landesgalerie bei einer Vernissage einen Tritt in den Arsch; und Rogy blamierte den angesehenen Kunsthistoriker Arnulf Rohsmann, der sich ein paar Jahre lang kuratorisch um dessen Œvre bemühte, indem er einmal in die Druckerei stürmte, um eigenhändig einen Katalogtext über seine Arbeit aus der Druckmaschine zu reissen.

Für Viktor Rogy kam als Konsequenz aus der Radikalität der 1960er-Jahre nur das Abenteuer der Selbstfindung in Frage. Seine Bilder und Objekte, Künstlerbücher, Leuchtschriften und Videos präsentieren nicht nur die Geschichte eines einzigartigen Menschen, sondern auch eine einzigartige Geschichte der Nachkriegsgesellschaft, gesehen von einem ihrer wachesten Zeitgenossen. Viktor Rogy könnte heute durchaus ein österreichischer Wolfgang Neuss sein, wäre seine Anerkennung nicht so dünn gesät.

Skript der Viktor-Rogy-Performance auf Gästeblock im Hotel Altstadt Vienna, 27. Februar 1999

Der nur sechs Monate ältere Wolfgang Neuss schoss sich im Frühjahr 1943 in Weissrussland den Zeigefinger der linke Hand weg und erklärte den Akt später zu einem »Symbol für Kunst statt Krieg. Selbstverstümmelung war und ist eine gute Friedensbewegung!« Rogy simulierte Krankkeiten und Verletzungen, um dem Wahnsinn der deutschen Wehrmacht zu entkommen. Auf einem Heimurlaub von der Front liess er sich von seiner Mutter Kuhmilch in die Blutbahnen injizieren, um krank geschrieben zu werden; nach einer Unfallbagatelle täuschte er wochenlang eine Hirnverletzung vor, um als Simulant dem Aggressionskrieg zu entgehen.

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Nach dem Krieg mutierte Neuss zu einer Instanz des politischen Kabaretts in Deutschland und wurde, wie Mathias Bröckers nachgezeichnet hat, »zum Schrecken Adenauerscher Rundfunkräte, vom komischen Knallchargen zum Lautsprecher der APO, und dann, vom Anmacher und Unruhestifter zum Aussteiger, Haschisch-Orakel und Meditationsmeister«. Rogy hatte nur eine Maurerlehre abgeschlossen. Er mutierte nach dem Krieg zu einem Virtuosen des Stuckputz und schrieb Gedichte am Arnoldsteiner Wasserfall. 1959 zog er mit dem Maler Hans Bischoffshausen nach Paris, fand aber über algerische Migranten hinaus keinen Anschluss an die Fremde und kehrte aus Liebeskummer in die österreichische Provinz zurück, wo er sein unstetes Leben fortsetzte.

Ein Jahrzehnt lang tingelte er als Bauarbeiter durch Schlösser des Adels und eines Kunstaufsteigers, gründete eine Familie und zerstörte sie wieder. Er warf sich bei einem Bildhauersymposion in Vermont, USA, als Skulpteur ins Zeug, führte dann im Gartenhaus von Maria Lassnig am Klagenfurter Lendkanal ein feuchtfröhliches Eremitendasein, erschreckte Politiker·innen, Galeristen, Journalisten und Architekten, errichtete am Höhepunkt seines Lebens mit einem Sponsor drei Künstlerlokale und starb.

Der Künstler (links) mit dem Dichter Gösta Maier (rechts) im 13. Arrondissement von Paris 1959, Foto: Archiv kärnöl

Neuss kurierte seine 20-jährigen Tabletten-und Alkohol-Orgien mit Cannabis. Die Verächter sehen in ihm noch heute bloss das »Drogenwrack aus Charlottenburg«. Doch Neuss war ganz einfach zu roh, zu radikal, zu rebellisch, um als saturierter Literat zu enden. Rogy kurierte sich von seinen Alkoholorgien nie, doch er verfeinerte mit dem trockenen Sherry Tío Pepe ständig die Dosis. Die Verächter sehen in ihm heute einen »Lebenskünstler«, einen Hochstapler aus der östereichischen Provinz, den »Alpenbeuys«, doch Rogy war einfach zu starrköpfig, zu fromm und zu aufbrausend, um als Kulturpreisträger die Hände von Förderern zu schütteln und freundlich in die Kamera zu lächeln.

Rogy war bekannt für sein Gentleman-Gehabe, und zugleich gefürchtet wegen seiner Reizbarkeit und der ungebetene politische Vernaderung in aller nur denkbaren Richtungen. Ob Demokratie oder Diktatur, spielte für ihn keine Rolle! Sobald Rogy einen Tisch eingenommen hatte, begann er schrecklich zu lamentieren und schilderte alle möglichen Nöte und Feindschaften, die ihn plagten. Dabei berief sich das empörte Universalgenie auf den Gestapo-Mord an seinem Vater und auf seine Repressionserfahrungen unter Hitler. Der Künstler identifizierte seine verpatzte Jungmännerzeit in einem Kurzschluss mit der Ignoranz potenter Kunstkreise gegenüber dem Autodidakten, der er nun einmal war.

Lebende Skulptur im Wirthaus

Seit der nach dem Raufhandel in einer Kirche erfolgten Trennung von seinem Dienstgeber Giselbert Hoke 1963 witterte Rogy hinter jedem Krawattenknopf gefährliche Machenschaften der Freimaurer. Mal diffamierte  er den sozialdemokratischen Villacher Bürgermeister als »ärgerer Hitler«, dann wieder verpasst er dem Konterfei des freiheitlichen Landeshauptmanns Jörg Haider eine Hitler-Tolle. Abend für Abend flossen in diesem Künstlerleben Bier, Wein und Sherry in Strömen, bis in den Morgenstunden die Portemonnaies aller leer waren. Rogys Sauftouren in Arbeiterkneipen, Künstlercafés und schliesslich in jenen Lokalen am Villacher Ring, denen er als Designer und lebende Skulptur den persönlichen Stempel aufdrückte (Gourmet zur Roten Lasche, Geist, OM), hatten lange nur einen kleinen Preis. Der Exzess erzwang einen Tag pro Woche eine heilsame Askese mit Haferschleim.

Am Ende aber kippten auch seine radikalen Werkserien aus der antipolitischen Haltung der 1970er- und 1980er-Jahre in eine Protestästhetik gegen den Rechtspopulismus der Jahrtausendwende, Rogy zerstritt sich mit vier seiner sechs Schüler·innen und er trieb den Hauptmäzenaten seiner Eskapaden in den finanziellen und existenziellen Ruin. Was bleibt, das sind seine grossartigen Kalligrafien zwischen Leid und Ekstase, seine Zeichungen zwischen Häme und Zärtlichkeit schwankender Körper. Rogy war ein Alchimist, der niedere Stoffe und Doofdinge zu Schätzen transformierte und Ekel in Andacht verwandeln konnte.

Rogys Konzeptarbeiten, seine Aktionen und Interventionen im öffentlichen Raum atmten den freien Geist einer Aufbruchsgeneration, sie standen für Ch-ch-changes! Wobei die Sache natürlich oft genug schief ging. Man muss wissen, dass seine Kunst nicht nur auf Ideen basierte, sondern immer auch darauf, wie diese sich in Objektform lösen. 

Mythos des Verkanntseins

Viktor Rogy bei der Vernissage der 3Fotoausstellung 1998 in der Kunsthalle Exnergasse. Foto: Kunsthalle Exnergasse

Rogy war keineswegs verkannt, was das kleine Häuflein seiner Getreuen immer noch behauptet. Er hat über sein angestammtes Biotop hinaus in Wien, Krems, Innsbruck und Triest ausgestellt. Vor allem aber beherrschte er die regionale Öffentlichkeit in Kärnten-Koroška durch ein Vierteljahrhundert wie kein anderer Künstler in diesem Raum. Keiner seine Kunstanschläge blieb unbemerkt, kein Auftritt ohne bösartige Kommentare. Wiederholt landeten Handgreiflichkeiten des Künstlers auf dem Tisch der Staatsanwaltschaft.

Viele Zeitzeugen sind bereits verstorben, einstige Konkurrenten in den Ruhestand getreten, die Deppenpresse ins Netz abgewandert. In den drei Jahrzehnten vor dem Millennium hatte Rogy regelrechte Verfolger·innen in den Lokalredaktionen, unter denen der Gedanke an den Mann Ilse Gerhardt bis heute mit Schaudern schüttelt.

Bei Künstler·innen dieser Generation interessiert uns nicht nur, wie sie Medien und Themen wechelten – das ist lediglich die Oberfläche. Was zählt sind ihre Absichten, ihr Antrieb, ihre Ambitionen. Bei Rogy war das sicher die Erinnerung an seine wilden Kindertage in der Schütt, dem eindruckvollen Bergsturzgebiet des Dobratsch, aber auch seine Kenntnisse von Duchamp und dem Aufbruch des Minimalismus, der Arte Povera, sein ernstaftes Studium der christlichen Mystik und des Zen-Buddhismus, wie er vom japanischen Autor Daisetsu T. Suzuki nach dem Weltkrieg in den Westen getragen worden ist und eine ganze Künstlergeneration von Kalifornien über die europäischen Zentren bis in die Bildungsstuben der österreichischen Provinz mitgeprägt hat.

Nachkriegsmoderne als Flaschenkarusell

So taucht in Rogys höchst disparatem Werk alles wieder auf: die militärischen 1940er (›musildenkmal dachau‹), die 1950er der Neutralität und des Wirtschaftswunders (›durchrostetes blech‹), die Protest- und Aufbruchsära der 1960er (›in memoriam otto berndt-morena‹), das Genie (›hier ist der Hund begraben‹) und der Antipolitiker der 1980er Wären Politiker Schweine, müsste man auf Schweine verzichten«), und schliesslich die Nazikeule der innenpolitischen Opposition (»Wir brauchen jetzt die Roten!«) in den 1990ern. In zahlreichen Akten der psychischen Aufladung und Akzentuierung der inneren Werte der Objekte machte Rogy die Schwellen zwischen persönlicher und kollektiver Vergangenheit sichtbar.

Es gab wenige Rabiatniks in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die mit dem Kärntner Künstler verglichen werden können: der schrullige Avantgardist und Literatur-Herausgeber Hubert Fabian Kulterer (1938-2009) liesse sich anführen, und der Mail-Art-Collagist und Objektkünstler Padhi Frieberger (1931-2016). Diese beide Nonkonformisten lagen absolut auf der Linie von Rogys Schaffen, doch beide zog es zielstrebig in die Wiener Kunstszene, wo man sie bis zur Entlassung auf den Zentralfriedhof als Grossstadt-Originale duldete, wie einige Generationen davor den Stock-Narren, Literaten und Frauenverehrer Richard Altenberg.

Dass der Kunstbetrieb zu Lebzeiten einen Bogen um Rogy machte, kann man ihm kaum verübeln. Aus der historischen Perspektive ist es grundfalsch. Heute besitzt keine der Bundessammlungen in der Hauptstadt ein Werk von dem fintenreichsten aller Entgrenzer. Weder die Kuratoren-Bataillone der Albertina Modern noch die des Belvedere oder des Mumok beweisen Aufgeweckheit und historischen Sachverstand. In der edlen Privatsammlung von Dieter und Gertraud Bogner archiviert man ein paar Zeitungsausschnitte und Fotos aus dem Nachlass der legendären Galerie Hildebrand, dem ersten nichtkommerziellen Kunstspace im Süden Österreichs.

Neuerer der Bewunderungskunst

Gut, Rogy war ja auch nie bereit, seinen brigantischen Reduktionismus als logische Konsequenz eines bestimmten Denkens darzustellen. Er begriff sich lieber in der Tradition eines Jakob Böhme und anderer Mystiker, besonders des in der Schweiz lebenden Bô Yin Râ, einem deutschen Schriftsteller aus Aschaffenburg, dem es um geistige Erweckung des Individuums ging. Was muss das für ein Moment gewesen sein, als Rogy 1996 die Töchter des Mystikers in der Villa Gladiola in Massagno aufsuchte, sich vor dem Besuch im Tessiner Heiligtum des verstorbenen Gurus eine Flasche Tío Pepe hinter die Binde goss, und daraufhin den hochbetagten Damen eindringlich klar zu machen versuchte, dass das Gesicht ihres Vaters im Schauspielstar der Stummfilmwesterns George O’Brien fortlebt.

Die grösste und bedeutendste Rogy-Sammlung besitzt heute die Familie Grolitsch in Techelsberg am Wörthersee, gefolgt von den Archiven der Künstlerwitwe Isabella Ban und dem ehemaligen Rogy-Assistenten Werner Überbacher. Möge der Himmel Hirne regnen lassen, damit der Werkkorpus des österreichischen Ausnahmekünstlers das Zeitalter blödianischer Social-Media-Accounts einigermassen unbeschadet überlebt.

© Wolfgang Koch 2024

 

Abb.: Der Autor mit dem Rogy-Schüler Reinhard Eberhart (rechts) am Alten Friedhof, Arnoldstein

 

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