vonWolfgang Koch 15.01.2024

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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»Ein Portrait ist nur dann interessant, wenn auch die lächerliche Seite darin zum Vorschein kommt«, notierte E.M. Cioran 1969. Wir haben gesehen, wie im Überlegenheitsgestus seines Kommentars zur Antifa-Attacke (»austeilende Dreschflegel«) das Artistische und Clowneske von Götz Kubitschek zutage tritt. Es lässt sich nicht vermeiden, dass dabei das Lächerliche die Gestalt vermenschlicht.

Nach dem Angriff steht der Redner eine Dreiviertelstunde lang vor dem Riesentransparent auf der Stiege des Festsaaltrakts und klemmt den Zeigefinger der rechten Hand in das »Arschgesicht« eines mitgeführten Taschenbuchs. Das Kundgebungsvolk zu seinen Füssen skandiert währenddessen weiter mit dem Einpeitscher Parolen. »Meinungsfreiheit ist kein Verbrechen«, rufen die Versammelten, gut von der Polizei bewacht, um ihre Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausüben zu können. »Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda«, antworten die Versammelten vor den Sperrgittern in Chören ohne Lautsprecher.

Kurze Ansprache auf der Rampe

Als die unsichtbare Regie der Veranstaltung den richtigen Zeitpunkt für gekommen hält und Kubitschek das Mikro ergreift, bedankt er sich zuerst einmal bei seinem Publikum. Er lobt dessen »Mut« und wünscht sich, dass von dieser Veranstaltung auf der Universitätsrampe eine Strahlkraft ausgehe. »Es ist sehr, sehr wichtig, auch an der Universität Wien zu zeigen, dass es eine besondere Art zu denken ist, wenn man von rechts her denkt.«

In seiner kurzen Ansprache diffamiert Kubitschek die protestierenden Studierenden als »orientierungsloses akademisches Proletariat«, das alles mögliche tue, nur garantiert nicht lesen. Der deutsche Verleger  wirft seinen Opponent·innen vor, »staatsnah« zu sein und auch nach Abschluss des Studiums noch nichts zu können. Er, so versichert Kubitschek, möchte mit seinen Claqueuren die »Reconquista« an die Universität tragen, was soviel heissen soll wie einen angeblich muslimischen Machtbereich in der Institution zurück zu drängen. Das kämpferische Mittel dazu sei die »Vereinnahmung und Selbstermächtigung von Literatur«.

Verlagsmarketing auf der Strasse

Wenn ein Verleger Wind um das Lesen macht, so ist das nichts besonderes. Er will das eigene Programm an den Mann und die Frau bringen. Trommeln gehört zum Geschäft am Buchmarkt; schliesslich lebt ein Verleger ja vom Erfolg seiner Druckwerke. Der Antaios Verlag hat die Öffentlichkeit allerdings bitterer nötiger als andere, weil seine Produkte, wie die aller rechtsextremen Häuser, von den Mainstream-Medien systematisch ignoriert werden. »Literatur ist eine Waffe«, behauptet das Meme der ausgerufenen Aktion 451, und damit sind keineswegs nur Belletrisik und Lyrik gemeint, sondern auch Klassiker der politischen Philosophie, der Ökonomie und der Soziologie; sowie aktuelle Reader abseitiger Theorien und jede Menge Indoktrinationsware.

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Rechtsextremisten sind keine ungezogenen Cousins der konservativen Familie. Wie Armin Mohler fasst auch sein Schüler Kubitschek den Faschismus nicht als historisches Ereignis, sondern als zeitlose Haltung. Der Sammelbegriff der Konservativen Revolution – also die Vorstellung, dass es jenseits von dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus einen moralisch akzeptablen, von diesen Ideologien abgrenzbaren »deutschen Faschismus« mit George-Verehrern und Falange-Bewunderern, Ständestaatlern, Nationalbolschewiken und anarchischen Waldgängern gegeben hat – diese Idee dient als intellektuelle Fiktion, um ein Kaufpublikum für das Angebot aus Schnellroda zu gewinnen.

Der Wandkalender ›Grabstätten der Konservativen Revolution‹ aus dem Antaios Verlag für 2024 spiegelt ein verschrobenes Weltbild. Seine Fotografien zeigen die Monumente von Friedrich Nietzsche, Max Weber, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Friedrich Gundolf, Gottfried Benn, Carl Schmitt, Ernst Jünger, Jochen Klepper, Eberhard Koebel, Ernst Niekisch, Martin Heidegger und Armin Mohler. Der rechte Wandschmuck vereint also ziemlich viel disparate Männerliteratur: aufklärerischen Rationalismus mit religiösem Sozialismus, SS-Waffenbruderschaft mit politischer Désinvolture, volksbildnerische Germanistik mit unbedingtem Etatismus – eine selbst am Friedhof noch unverträgliche Mischung.

Wo bleibt der Farbkübel aus der Luft?

Dass die Hochschulkultur heute nicht nur in den USA ideologisiert ist, dass sich unser Wissenschaftspersonal immer öfter in den Klauen der Administrationsfunktionäre befindet und in Seminaren und Hörsälen Cancel Culture mit Intellektualität verwechselt wird, lässt sich kaum bestreiten. Genau in diese Kerbe schlägt Kubitschek in Wien; er stuft die Hochschulen als autoritär ein, weil er selbst nicht in der Alma Mater Rudolphina auftreten darf. Er behauptet, eigentlich über den Roman sprechen zu wollen. »Aber an den Unis geht es nicht um die Sache, sondern darum, wer überhaupt reden darf und wer nicht«.

Ohne Umschweife spricht der in Hannover und Heidelberg zum Lehramt ausgebildete Redner im Namen seiner Gefolgschaft und kündigt an, »unseren Platz an den Unis zurück erkämpfen zu wollen«. Das demagogische Manöver endet mit dem Aufruf, »Lesezirkel« an den Unis zu gründen, die sich Ray Bradburys Romantitel auf die Fahnen schreiben sollen. Die beiden Antifa-Aktivisten, die hoch über Kubitscheks Kopf ihr Transparent entfaltet haben, harren die ganzen zehn Minuten hinter der Brüstung versteckt aus. Hätten sie stattdessen einen Kübel Farbe oder Jauche auf den Balkon geschleppt und in die Tiefe gekippt, hätte sich der Inhalt symbolträchtig über den Redner ergossen.

Sammeln zum gemeinsamen Abzug

Zum Abschluss der Kundgebung gruppieren sich die Rechten zum Gruppenfoto auf den Treppenstufen, brennen Magnesiumfackeln ab und stimmen mit abgespielten Tracks in Schlachtgesängen ein, die den Protestlärm am Ring für ein paar Minuten übertönen. Im Polizeibericht wird später stehen: »Die Personen verliessen die Örtlichkeit selbstständig«. Das ist grob unwahr. Denn erst nach Ende der Kundgebung prallen die beiden Hassdemonstrationen direkt aufeinander. Als die rechten Kundgebungsteilnehmer·innen den Absperrungsbereich dicht geschlossen verlassen, springen ihnen auf der Strecke Richtung Jonasreindl alle paar Meter jungen Antifas in den Weg und bilden mit den Armen Menschenketten aus ihren Körpern. Erst ein Stosstrupp aus Uniformierten kann den Gehsteig für den Bulk aus der Sperrzone Schritt für Schritt freiräumen. An der Spitze seiner Beamten rückt der brüllende und schimpfende Einsatzleiter der Polizei höchstpersönlich vor, schubst die Demonstranten eigenhändig zur Seite, reisst ihre Transparente zu Boden.

Passant·innen bietet sich in der Abenddämmerung ein wirklich kurioses Bild. Zwei zum Verwechseln ähnliche Menschengruppen stehen sich mit ihren Mobiltelefonen in der Hand gegenüber, die einen blockierend, die anderen lachend abwartend, bis die Ordnungskräfte wieder ein paar Meter am Asphalt für sie freigepflügt haben. In den wütenden Bericht der Linken heisst es: »Mit, im Polizeijargon, ›verhältnismässiger Gewaltanwendung‹ (Tritt in die Eier) sind sie gegen gefährliche Linksaktivisten (14-Jähriger) vorgegangen, um auch ja keine Zweifel aufkommen zu lassen auf welcher Seite sich der Staat positioniert.«

Als der Pulk der Neuen Rechten nach zehn Minuten die Endhaltestelle der Strassenbahnlinie 43 erreicht, hat die Polizei die Blockierer·innen bereits bis auf die Währingerstrasse gedrängt, was dort den Autoverkehr zum Stocken bringt. Um die Situation so rasch wie möglich zu deeskalieren, werden die bereits in der zur Abfahrt bereit stehenden Garnitur sitzenden Fahrgäste gebeten, die Strassenbahn zu verlassen. Das Signalschild an der Garnitur wird auf »Sonderzug« umgeschaltet. Wie aus dem Nichts tauchen Bedienstete der Wiener Linien in fluoreszierenden Jacken auf und dirigieren die Rechtsextremisten in den geleerten Waggon. Nach Meinung von Kubitschek »wurde eigens für uns eine Strassenbahn requiriert, eine ›Bim‹. Irgendwie und immer wieder irre, das Ganze. Dabei ging es doch bloss um ein Buch«.

Sondertransport der Wiener Linien

Da ich hören will, was der Mann auf Universitätsboden so Dringendes hätte sagen wollen, steige ich mit ein. Obwohl die Garnitur als »Sonderfahrt« ausgeschildert ist und die Anwesenden bereits dicht gedrängt sitzen und stehen, treten auch ahnungslose Passagiere ein. Als sich die Türen noch einmal öffnen und eine kopftuchtragende Moslema Kinderwagen und Kleinkind ins Innere bugsiert, wird der vorgesehene Abstellplatz sofort für sie frei gemacht, und eine männliche Stimme sagt laut und vernehmlich: »Jetzt können wir gleich mal unsere multikulturelle Toleranz zeigen!«, was der ganze Wagen mit Gelächter quittiert. Die Stimme gehört Martin Semlitsch, der unter dem Pseudonym Martin Lichtmesz im Think Thank von Kubitschek Karriere macht. Der geborene Wiener führt seit 14 Jahren die Edelfeder im pulizistischen Kosmos der Dezessionisten und wird von zwei schönen jungen Frauen begleitet.

Die Bahn fährt stockend ohne Zwischenhalt an den Haltestellen, stoppt aber alle paar Meter. »Im Zuge des Abstroms der angezeigten Kundgebung«, heisst es dazu im Polizeibericht, »wurde eine Strassenbahn von Personen blockiert, weshalb diese Blockade aufgelöst und die Strassenbahn bis zur Kreuzung Lange Gasse/Spitalgasse begleitet wurde«.

In der Analyse der anonymen Antifa ist dazu zu lesen: »Die Polizei musste die Faschisten mit einem Personenaufgebot schützen, dass sonst nicht einmal Staatschefs geniessen. Ihre Einsatzstrategie war jedoch strategisch so mangelhaft, dass sie die Strassenbahn, die die Rechtsextremen wegeskortieren sollte, für eine peinlich lange Zeit nicht in Bewegung setzen konnten, weil Antifaschist:innen die Strecke blockierten. Zum Schluss formierte sich spontan noch ein starker linksradikaler Demozug über den Ring«.

Kubitschek berichtet in seinem Blog: »Der Abzug von der Treppe und die Verlegung zur Landsmannschaft war dann noch ein Spektakel. Die Polizei räumte das akademische Proletariat beiseite, damit wir zur Strassenbahn kämen. Die wurde extra aufgehalten, und während wir durch die Stadt zuckelten, eskortierte die Polizei im Laufschritt. Surreal, so etwas, aber in der Situation ganz logisch und plastisch und absurd. Aber auch: ein Erlebnis.«

Volksfeststimmung unter Polizeischutz

Im Inneren des Fahrzeugs, so viel kann ich bestätigen, herrschte während des halbstündigen Transports Volksfeststimmung. Kommandos wurden durch den Wagen gebrüllt, »Lichtmesz nach vorne!«, Männer scherzten, Frauen lachten, es wurden Tracks mit einer Bluetooth-Box abgespielt, während draussen weiss behelmte Beamte in schwerer Montur keuchend neben der Strassenbahn herliefen, die Schienen von Störversuchen frei hielten (»Runter von der Fahrbahn!«), und ein paar Schritte neben ihnen Demonstranten auf Fahrrädern die Sonderfahrt verfolgten. Auch hier gab es wieder hässliche Szenen, etwa wenn wütende Schläge gegen die Glasscheiben der Bahn gelangen oder ein Behelmter gegenüber einem Demonstranten derart ausrastete, dass ihn eine Kollegin zurechtweisen musste.

Den militanten Linken ging es darum zu beweisen, dass die gegnerische Szene Wiens in der Öffentlichkeit nichts zustande bringt. Sie sagen: »Im Kampf gegen Rechtsextremismus können wir uns weder auf den Staat noch Parlamentarier verlassen, sondern müssen eine mächtige antifaschistische Bewegung auf den Strassen aufbauen«. Da die Behörde auch für die sogenannte Nachsicherung der Kundgebung verantwortlich ist, war unsere Reise beim Halt in der Brünnlbadgasse noch nicht zu Ende. Die Beamten eskortierten uns weiter beim Fussmarsch von der Endstation durch die Gassen der Josefstadt. Autos wurden abrupt angehalten, bellende Kommandos hallen von den Wänden. »Weitergehen! Zusammenbleiben!« Ungefähr so dürfte sich Vieh beim Almtrieb fühlen.

Schulvereinshaus ersetzt den Hörsaal

Ziel war der ›Treffpunkt Kultur‹, ein holzgetäfelter Saal im Schulvereinshaus, das sich im Eigentum der Österreichischen Landsmannschaften (ÖLM) befindet. Hierher, in die Fuhrmanngasse 18A, soll schon einmal Jörg Haider mit seiner Familie vor einer Donnerstagsdemo geflohen sein. In das rettenden Haus eintretend, bedankten sich viele Vortragsgäste sittsam und manierlich bei den Behelmten.

Die militanten Gegner·innen schäumten noch tagelang zornig in den Netzforen: »Die Faschos kapern mit Polizei-Unterstützung einen 43er; und bei einem Klimaprotest werden 57 verhaftet. Irgendwas rennt da falsch«, heisst es in einem Post. Ein weiteres: »Diese rechtsradikale Bande hätte vertrieben gehört! Die sind unerwünscht! Die stören mit ihrem Fanatismus die öffentliche Ordnung und gefährden den öffentlichen Frieden!«

Die offizielle Bilanz laut Polizeipressestelle: »Ein Beamter wurde bei diesem Einsatz in einer Sperrkette niedergestossen und dabei verletzt. Insgesamt wurden sechs straf- und vier verwaltungsrechtliche Anzeigen gelegt. Eine Person wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen«.

© Wolfgang Koch 2024

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