vonWolfgang Koch 06.01.2024

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Rechtsintellektuell? Was soll das sein! Können Originalität, logische Stringenz und Erklärungskraft überhaupt politisch rechts stehen? Sind moralischen Qualitäten je anderswo zu finden als dort, wo das Herz schlägt, nämlich links? – Zur Überraschung der einfachen Gemüter lautet die richtige Antwort: »Aber ja doch, der wache Geist kann natürlich auch rechts stehen! Warum denn nicht? Esprit sprüht per se weder oben noch unten, Klugheit ist weder gut noch böse, weder fortschrittlich noch konservativ, sondern in jedem beliebigen Aggregatzustand energisch auf Gedankenarbeit aus. Idealismus und Überzeugungstreue finden sich auf der rechten wie auf der linken Seite der politischen Raumordnung, und gar nicht so selten in ihrer neutralen, konsensorientierten Mitte

Nein, sage ich, die besondere Intentionalität des Denkens und Schreibens, die an Alchemie grenzende Unberechenbarkeit des Intellekts, der Wille kreativer Köpfe, sich Wissenslücken einzugestehen, ihre besondere Lust, gedankliche Verknüpfungen zu gerieren, ihr Kontrollblick über die Komposition – all das, was Künstliche Intelligenz in Sprachmodellen wie GPT-4 überhaupt nicht zu leisten vermag – trägt kein ideologisches Mäntelchen. Erst die Ergebnisse der forschenden Denkweise sind im Wissenskapitalismus anschlussfähig a) an die Verhandlungsmacht des generell intellect und b) an alle Partikularinteressen, die in der politischen Arena im Namen des guten Lebens gegeneinander wirken.

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Unter den Zauberern und Zwergfürsten der deutschen Ultras beansprucht der Verleger und Autor Götz Kubitschek seit der Jahrtausendwende den Titel eines »volksverbundenen Rechtsintellektuellen«, in seinem Fall hervorgegangen aus dem geistigen Erbe der sogenannten Konservativen Revolution im 20. Jahrhundert, zu deren Drahtziehern Kubitschek seinen Lehrer, den ehemaligen Waffen-SS-Mann Armin Mohler, aber auch den mit verbotenen Drogen experimentierenden Großschriftsteller Ernst Jünger zählt. Kubitscheks Videoauftritte zeigen einen Mann im nachdenklichen Habitus des Intellektuellen, mehr der gescheite Theoretiker als der begabte Propagandist seiner Sache. Der selbst ernannte Streiter für die »Freiheit des Wortes« wirkt auf seine Fans wie ein emeritierter Professor, argumentiert gerne differenziert und lässt eine grosse Liebe zur historischen wie zur belletristischen Literatur erkennen.

Aber ist der im politischen Sumpf des Rechtsextremismus performende »Bewegungsunternehmer« Götz Kubitschek darum schon ein Intellektueller? Kann er irgendwie oder irgendwo in die theoretischen Fußstapfen von Giovanni Gentile, Robert Michels, Julien Benda, Carl Schmitt oder Leo Strauss treten? Alle diese publizistischen Kaliber waren Gelehrte von immenser Ausstrahlungskraft auf die politischen Entwicklung ihrer Generationen. Ihre theoretischen Entwürfe, Studien und Lehrtätigkeiten wirken in Politik-, Rechtswissenschaft und Soziologie bis in die Gegenwart fort. Der überzeugte Katholik Georges Bernanos griff sein eigenes Lager scharf an; der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila bestritt die Existenz universaler Prinzipien gegenüber der Aufklärung – hat jemand in Deutschland heute einen solchen Wurf zu bieten? Ragt noch ein Hirn heraus aus der Masse der Gebildeten, das uns nicht mit seiner »Widerständigkeit« nervt, das die Ursachen des neuen Nahostkrieges nicht in der Geschichte sucht und staatliche Corona-Schutzmassnahmen für eine Verschwörung gegen das freie Individuum hält?

Im November 2023 unternahm Kubitschek den Versuch, mit seinem rechtsintellektuellen Image einen »metapolitischen« Erfolg auf der Universität Wien einzufahren. Der deutsche Gast setzte mit seinem Wiener Fußvolk auf die subversive Macht einer Chiffre, indem er behauptete, die Buch- und Lesekultur gehöre bereits seit zwei Jahrzehnten der Neuen Rechten, sei nunmehr deren geistiges Eigentum und eine gefährliche Waffe im Meinungsstreit. Mit der »Neuen Rechten« sind die Aktionen einer kleinen ausserparlamentarischen Opposition am äussersten Rand des politischen Diskurses gemeint.

Der Erfolg seiner literaturbeflissenen Konterrevolte habe sich eingestellt, bilanzierte Kubitschek nach dem Krawall in Wien, »weil der Gegner nicht hygienisch bleiben kann«. Hätte man seinen Vortrag über ein schönes Buch auf der Universität Wien einfach zugelassen, soll das heissen, wäre der Inhalt unter hunderten anderen Vorträgen sang- und klanglos untergegangen. Erst durch den heftigen Widerspruch auf der Strasse und in den Mainstream-Medien hat der Auftritt öffentliche Aufwertung erfahren.

Das identitäre Provokationsmuster war also leicht zu erkennen vor dem Ereignis; und es wurde von den Akteuren offen dargelegt. Der heftige und erwünschte Widerspruch am Universitätsring hatte ausserdem eine prominente Vorgeschichte unter praktisch denselben politischen Vorzeichen: 58 Jahre vor dem Zusammenstoss im November 2023. Am 31. März 1965 demonstrierten im Ersten Bezirk von Wien Vertreter von Studentenorganisationen, ehemalige Widerstandskämpfer sowie Gewerkschafter gegen die Lehrpraxis des nationalsozialistischen Historikers Taras Borodajkewycz, der von 1955 bis zu seiner Zwangspensionierung 1971 als Professor an der Hochschule für Welthandel wirkte und dort laufend mit antisemitischen und antidemokratischen Äußerungen auffiel.

Beim Zusammenstoss mit einer vom Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), der Studentenorganisation der Freiheitlichen Partei (FPÖ), organisierten Gegendemonstration wurde der ehemalige 67jährige kommunistische Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger von einem 24jährigen Studenten und bereits zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Neonazi beim Hotel Sacher mit einem Faustschlag ins Gesicht niedergeschlagen. Kirchweger erlitt so schwere Verletzungen, dass er zwei Tage später an den Folgen starb.

Auch beim ersten Todesopfer politischer Gewalt in der Zweiten Republik war es also um die »akademische Freiheit der Rede« gegangen. An der Strassenschlacht von 1965 waren rund 3.000 Personen beteiligt. Bei der Verabschiedung von Kirchwegers Leichnam nahmen 25.000 bis 30.000 Menschen an einem Schweigemarsch vom Heldenplatz über die Ringstrasse zum Schwarzenbergplatz anteil, darunter der damals wahlkämpfende sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt.

Es wäre kein Fehler gewesen, diesen 8. April 1965 als offiziellen Gedenktag der Zweiten Republik Österreich einzuführen, denn selten haben die demokratischen Kräfte Österreichs unter größerer Einigkeit den antifaschistischen Konsens der Nachkriegsgesellschaft gefestigt – als an diesem Tag. Heute erinnert ein Pflasterstein an jener Stelle, an der Kirchweger niedergeschlagen wurde, die Stadtbenutzer·innen an das Unglück.

Der Ring Freiheitlicher Studenten, heute der politische Flügel deutschnationaler Burschen- und Mädelschaften an den Hochschulen, verfügt aktuell – trotz des anhaltenden Höhenflugs seiner Mutterpartei – über nur einen von 55 Sitzen in der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH). Er hat deshalb das Recht, Bildungsveranstaltungen in Hörsälen der Universität Wien anzubieten. Ein geeignetes Einfallstor für das metapolitische Phantasma der ultrarechten Zirkel, ein wokes Geistesvirus unterdrücke an den Universitäten die freie Rede. Götz Kubitschek, so das offizielle Begehren des RFS, sollte in einem Universitätssaal über den dystopischen Roman ›Fahrenheit 451‹  von Ray Bradbury (1953) sprechen, das heisst, sich als der unbeugsame Feind derjenigen darstellen, die angeblich das zulässige Meinungsspektrum im Namen der politischen Korrektheit einengen wollen.

Angemeldet wurde die Veranstaltung als Podiumsdiskussion an der Universität Wien von einem RFS-Funktionär und Polizisten, der berufsbegleitend studiert. Die Universitätsverwaltung untersagte den Event – allerdings nicht wegen politischer Bedenken, sondern wegen eines Formfehlers. Kubischeck war ihr nicht von Beginn an als Redner bekannt gegeben worden.

Es waren demnach nicht Kubitscheks zuweilen wirre Beiträge in der Parallelöffentlichkeit der rechtsextremen Foren, seine Verschwörungserzählung vom »Grossen Austausch« der einheimischen Bevölkerung gegen Fremde, die Ablehnung der »antiweissen Ideologie«, die Beobachtung seiner Person durch den deutschen Verfassungsschutz, es waren nicht Kubitscheks Islamophobie, sein angeblich antitotalitärer, aber in Wahrheit antiliberaler Kreuzzug zur Verteidigung des Abendlandes, die den Auftritt in den akademischen Mauern verhinderten, sondern ein bürokratischer Winkelzug, mit dem die Universität auf einen Winkelzug einer Studentenfraktion geantwortet hat.

Götz Kubitschek residiert auf einem Rittergut im Dorf Schnellroda im Süden Sachsen-Anhalts und leitet dort einen Think Tank mit der Zeitschrift Sezession, dem Verlag Edition Antaios und dem im Jahr 2000 gegründeten Institut für Staatspolitik (IfS). Das kleine Milieu der Neue Rechten ist politisch relevant, um ein Lebensgefühl unter Gleichgesinnten herzustellen. In Wien geschah das, indem die Akteure Kubitscheks untersagten Auftritt in den öffentlichen Raum verlegten – nämlich auf die Treppenanlage vor dem Portal der Hauptuniversität – und »Gegen linke Zensur und Cancel Culture« als Motto ihrer Kundgebung ausgaben. Die Uni konnte den Auftritt so nicht mehr verhindern, denn die Rampe grenzt direkt an öffentlichen Grund.

Das Extremistenmilieu machte Stimmung für eine Konfrontation. »Die Fantasie von Fahrenheit 451 ist nun an der Universität Wirklichkeit geworden. Kritische Bücher und Gedanken sind verboten. Einheitsdenken verseucht die Hörsäle. Wir dagegen lesen ohne Scheuklappen. Und wir handeln. Denn den Pionieren des gefährlichen Denkens gehört die Zukunft«, schrieb die anonym bleibende Aktion 451 auf ihrer Website. Wien war gespannt. Wie viele »gefährliche Denker« würden sich an dem Tag aus der Deckung wagen? Wie viele sich an Kirchweger erinnern?

17. November 2023, Nachmittag. Der Zugang zum Hauptgebäude der Universität Wien steht unter massivem Polizeischutz. Hinter der Absperrung am Ring mit Hamburger Gittern versammeln sich neunzig Teilnehmer·innen zur rechtsforschen Kundgebung (nicht fünfzig wie die Medien berichten). Die mehrheitlich jungen Leute nehmen vor der Portaltreppe des zurückspringenden Festsaaltrakts im Monumentalbau wartend Aufstellung: Verbindungsstudierende, Freiheitliche, Heimatschützer·innen, Ex-Identitäre, Neonazis, überwiegend schwarz gekleidet, von den Gegner·innen habituell kaum zu unterscheiden.

Ihnen gegenüber treten 200 bis 300 teils mit Mundschutzmasken vermummte Demonstrierende, im Durschnitt ein paar Jahre jünger, die sich der Antifa zurechnen und von Medienvertretern durchgängig »Gegendemonstranten« genannt werden. (Seit 1. Oktober 2017 gilt in ganz Österreich ein Verbot der Gesichtsverhüllung). Aufgerufen zum Protest hat die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH). Dem Aufruf Folge leisten die »Omas gegen rechts«, eine »Plattform für zivilgesellschaftlichen Protest« aus Wien-Landstrasse; weiters die Gruppe für organisierten Antifaschismus (GFOA), die »Nazis stressen!« offen zu ihrer politischen Agenda erklärt. »Dabei wollen wir von reaktionären Ideologien in der Gesellschaft über die rechtsextreme FPÖ bis zum militanten Neonazismus alles bekämpfen und sabotieren, was der befreiten Gesellschaft im Wege steht«, ist auf der Homepage zu lesen.

Die Sozialdemokratie hat mit einer kryptischen Presseaussendung zur Mobilisierung beigetragen, in der vor einer »Instrumentalisierung des Holocausts« gewarnt wird. »Wer so jemandem eine Bühne bietet, bereitet den Boden für antisemitische Übergriffe«. Buchstäblich zwischen den beiden Gruppen bilden rund 300 behelmte Polizeikräfte Ketten an der Absperrung sowie marschbereite Einheiten an den beiden Auffahrten der Rampe. Die Ordnungsmacht sperrt die Nebenfahrbahn, während der Verkehr auf der Hauptfahrbahn weiter strömt. Die massive Polizeipräsenz, die das Geschehen mit zahlreichen Kameras überwacht und die Anwesenden laufend in Lautsprecherdurchsagen belehrt, steht ihrerseits unter Beobachtung der Medienvertreter·innen.

Im Jahr 2019 war bekannt geworden, dass mindestens 13 Beamte Verbindungen zur Identitären Bewegung hatten und einige von ihnen sogar Geld an die rechtsextreme Gruppierung gespendet haben. Der beleibte Einsatzleiter gibt sich sportlich-agil und hechtet schon mal vor dutzenden Augenpaaren schwungvoll über die Tretgittersperre, um sich eilfertig mit dem Veranstalter zu besprechen. Touristen·innen halten im Schlendern inne; Fotografen prüfen die Akkuladung ihrer Kameras, Tramways gleiten im Schritttempo vorbei.

Die Stimmung ist trotz klirrender Kälte aufgeheizt. Die Rechtsrechten verfügen über eine Soundanlage und skandieren unter Tautenhayns »Geburt der Pallas Athene« im Dreiecksgiebel mit ihrem Einpeitscher »Meinungsfreiheit ist kein Verbrechen« oder »Unsere Uni, unser Land, Jugend leistet Widerstand«. Es klingt so blechern, als wär das Parolenrufen für die rechtmäßig unter dem Titel »Abendbummel Wiener Verbindungsstudenten« angezeigte Veranstaltung in Live-Chats geübt worden.

Die Protestierenden antworten mit Blick auf die Inschrift VNIVERSITAS LITTERARVM VINDOBONENSIS in Chorgruppen: »Alerta! Alerta! Antifascista!«, »Wien, Wien nazifrei!« und »Kein Raum für Nazis an der Uni«. Zwei linke Aktivisten schaffen es, von der Arkadenloggia vor dem Festsaal das Banner »Kein Raum für Nazis an der Uni« herunterzulassen. Ihre rechtsrechten Widersacher entrollen ein Transparent mit der Aufschrift »Geben Sie Gedankenfreiheit« über die gesamte Breite der Treppenanlage.

Die Situation wird augenblicklich unübersichtlich, als Kubitschek von der Mölker Bastei kommend unter den Flügeln der Nike am Liebenberg-Denkmal mit Gattin Ellen Kositza und Sohn Wieland Kubitschek den Ring überquert. Etwa ein Dutzend Demonstranten stürmt auf die Hauptfahrbahn und es kommt zwischen den anhaltenden Fahrzeugen zu einem etwa 40 Sekunden langen Gerangel zwischen Kubitschek, seinen Begleitern, militanten Antifas und den schutzgepolsterten Ordnungskräften. Dabei rudert der Mann aus Schnellroda kräftig mit den Armen in der Luft, als ihn Vermummte von hinten und von der Seite niederzustossen versuchen. Die lustige Windmühle seiner Fäuste trifft niemanden, vergeblich zerrt er auch am Körper einer Person, die sich mit einem Beamten in die Wolle gekriegt hat, bis er von einem Beteiligten niedergedrückt wird. Augenblicklich befreien ihn Beamten aus seiner misslichen Lage und bilden mit ihren Körpern spontan einen Schutzpanzer über Kubitschek. Ein 16jähriger aus der Begleitung des Redners holt mit einer Trinkflasche aus und wirft sie dem Gefährder, an dem weiter gezerrt wird, an den Kopf, wodurch das 40jährige Opfer mit einer gehörigen Platzwunde zu Boden geht und am Asphalt von Polizisten fixiert wird.

Die hässliche Situation wird von den herbei eilenden Beamten mit Schreien, Ausfallschritten, Rempeleien und Anhaltegriffen unter Kontrolle gebracht. Ihre Überzahl stellt die staatliche Dominanz wieder her. Die übergriffigen jungen Männer ergreifen daraufhin die Flucht in die Menge. Uniformierte helfen Kubitschek auf die Beine, der sich sogleich reihum bei ihnen bedankt. Der mittlerweile blutüberströmte Verletzte darf sich in einem Polizeikessel vom Boden erheben und auf die Ambulanz warten; der 16jährige Flaschenwerfer hingegen mit Kubitschek unbehelligt in die abgesperrte Zone zum ›Abendbummel‹ entschwinden.

»Gerangel«, »Schlägerei«, »Raufhandel«, »Tumult«, »Krawall«, »Zusammenstoß« – welches Wort wäre für diesen nahezu symbolischen Gewaltausbruch angemessen? Welcher Ausdruck trifft die Expression der physischen Kräfte, die in vierzig Sekunden jenen gefährlich emotionalen Bodensatz aufblitzen haben lassen, der allem politischen Handeln zugrunde liegt? »Glasflaschenbewurf«, verzeichnet das Polizeiprotokoll. Das verengt die Perspektive zu stark auf den folgenschwersten Akt. Nach einer Lagebeurteilung durch den behördlichen Einsatzleiter, dem Springbock, wird die »nicht rechtmäßig angezeigte Kundgebung« formal aufgelöst. Damit ist die gesamte Gegendemo gemeint. Dieses Dispositiv hat eine vorwiegend strategische Funktion. Doch keine Privatperson kommt der Aufforderung aus den Lautsprechern, sich zu entfernen, nach.

Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce, spottete Karl Marx. Auf einem vom Sender PULS 24 gezeigten Video ist dokumentiert, wie mehrere, teils vermummte Privatpersonen nach Kubitschek greifen und der sich mit in der Luft rudernden Armen recht komisch zur Wehr zu setzen versucht. Dass es durch die Attacke auf ihn zum Gerangel und dem blutigen Ergebnis kommt, wird in den schriftlichen Medienberichten fast vollständig verschwiegen. Lediglich die Berichterstatterin der Linkswende, Lisa Hasenbichler, schreibt noch am selben Tag triumphierend, Kubitschek sei »ein würdiger Empfang« bereitet worden, indem er »gleich bei seiner Ankunft von einem mutigen Antifaschisten zu Boden gebracht wurde«. Dieser Beobachtung entspricht auch meiner Wahrnehmung als Augenzeuge.

Die Kubitschek-Gegner meldeten sich in den folgenden Tagen rascher mit reißerischem Zeug zu Wort. Das linksgerichtete Netzgetrommel identifizierte die Tatwaffe einwandfrei als 0,5-Liter-Club-Mate-Flasche, machte das Opfer als »Kampfsportler« aus, und Kubitschek junior als Täter. Drei Tage nach dem Angriff, am 20. November, gab die gar nicht vor Ort anwesende Journalistin Colette M. Schmidt gemeinsam mit einer Kollegin, die die Szene vor Ort zu spät bemerkt hat, unter der fetzigen Überschrift »Blutige Szenen beim Auftritt des Rechtsextremisten Kubitschek« in der linksliberalen Tageszeitung Der Standard eine Videoaufnahme so wieder:

»Ein rechtsextremer Kampfsportler wirft einen Polizeibeamten über die Schulter und drischt ihm danach sein Knie ins Gesicht. Er wird schließlich von Beamten überwältigt und zu Boden gedrückt. Ein junger Mann zieht dem Kampfsportler eine Flasche über das Gesicht, der Kampfsportler beginnt stark zu bluten«. Die beiden Journalistinnen behaupteten, dass »sowohl der Mann, der mit der Glasflasche zuschlug, als auch der Mann mit der Kappe zum engsten Kreis von Kubitscheks Entourage zählten«.

Nach dieser Version »spritzte beim Gerangel von Rechtsradikalen Blut«, und zwar – zum großen Gaudium des moderierten Postingforums der Zeitung – das Blut von ihresgleichen. »Ein rechtsradikaler Kampfsportler wirft einen Polizisten zu Boden und dann kommt ein anderer Rechter und schlägt seinem Kameraden eine Flasche über die Birne!« Auch der Posting-Autor Rechtstwitter schlug in dieselbe Kerbe: »Der Sohn von K. hält den D-Teilnehmer irrtümlicherweise für einen Antifa-Angreifer und will seinen Vater verteidigen.«

Mir ist es ziemlich egal, ob es sich bei dem Verletzten um einen rechten Kundgebungsteilnehmer oder um einen linken Demonstranten handelt. Denn die Ursachenkette für die schwere Körperverletzung begann ja nicht beim Täter auf der Straße, sie begann beim Kubitschek-Zirkel und seiner identitären Provokationsstrategie; die Kausalität des Gewaltakts führte von ihnen weiter über die freiheitlichen Funktionäre, die Reaktion der Universitätsverwaltung, die hysterische Besorgheit der Medienredaktionen und schließlich über die gewalttätige Antifaschisten bis zum Wurf der Glasflasche und der aufgeplatzen Schädelhaut, aus der Blut über den zu Boden gepressten Kopf des Mannes lief.

Moralisch, rechtlich und politisch sind wohl nicht alle Beiträger im Gewaltzusammenhang gleich zu bewerten – doch keiner der Akteure wäre in der strukturell heterogenen »Politik der Strasse« möglich ohne die anderen. Für die Beurteilung von Kubitschek ist die Ursachenkette noch nicht alles; von schlagender Relevanz für seine Blamage ist, was dieser Vordenker in seinem Web-Tagebuch über den Vorfall schreibt:

»Kositza und ich kamen mit ein paar Leuten kurz vor drei an – da war auf beiden Seiten schon Antifa versammelt, und als sie uns sahen, begann’s zu summen wie in einem Wespennest. Beim Überqueren der Strasse zur Treppe hin wurden wir angegriffen, sehr plötzlich und massiv … Gut ist es, mit den richtigen Jungs unterwegs zu sein, wenn so etwas passiert. Die Polizei war völlig überrascht, aber bis sie eingriff, hatten wir uns schon Luft verschafft, nichts abgekriegt, aber ausgeteilt. (Schön zu sehen, wie sich junge Männer in Dreschflegel verwandeln, wenn es sein muss.)«

Der selbst ernannte Rechtsintellektuelle beschönigt sich also als der Held eines Geschehens, das er in Wahrheit keinen einzigen Augenblick lang kontrolliert hat. Weder konnte dieser Heroe des neuen Deutschtums sich der Attacke aus eigener Kraft erwehren, noch konnte er seine »richtigen Jungs« von einer schweren Körperverletzung abhalten. In beiden Fällen kam ihm die Wiener Polizei zu Hilfe! Im ersten Fall, indem sie die Kontrahenten mit Schreien, Boxen und Stossen professionell trennte; im zweiten Fall durch Vertuschung, indem sie den 16jährigen Täter einfach an der Seite des deutschen Gastes in den ›Abendbummel‹ davon spazieren hat lassen. Götz Kubitschek wird seine masslose Angeberei beim Gefolge nicht schaden. Die demokratische Öffentlichkeit ist jetzt aber deutlicher im Bilde, mit wem sie es da zu tun hat.

© Wolfgang Koch 2024

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https://blogs.taz.de/wienblog/2024/01/06/wie-sich-goetz-kubitschek-zweimal-in-wien-blamiert-hat-teil-i/

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kommentare

  • “S. im Netz” gilt als rechter Thinktank. Beim besten Willen, ein linker ist mir noch nicht untergekommen. Wer kann mir einen nennen?

  • Der Herr lobt, das sich junge Männer in Dreschflegel verwandeln. Damit ist doch klar, welch Geistes Kind er ist.

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