Mit allerhand Verspätung kommt die Hoffnung Schottlands nun auch in Deutschland an. Anfang September 2008 wurde das Debüt der Band Glasvegas in England veröffentlicht. Und bereits im Dezember folgte die EP „A Snowflake Fell“ – und immernoch rührte sich in Deutschland niemand. Dabei haben die Schotten alles, was es braucht, um mal wieder eine Lawine loszutreten: die Haartollen zur Rockabilly-Frisur aufgetürmt, wabernden Nebel auf der Bühne, einen zur Ikone taugenden Frontmann und eine zwischen The Jesus And Mary Chain und My Bloody Valentine brachial hin- und herpendelnde Soundkulisse.
(Interview mit Paul Donoghue, zweiter von links)
Der NME war natürlich wieder flugs aus dem Häuschen, sprach gleich von der wichtigsten Band des neuen Jahrtausends und Creation Boss Alan McGee wurde nicht müde zu erwähnen, wie stolz er auf „seine“ Entdeckung sei. Ist da Skepsis angebracht? Zu oft hatte man es seit der „MySpace-Entdeckung“ Arctic Monkeys erlebt, dass Bands noch vor der ersten Veröffentlichung bereits als Gralsbringer bezeichnet wurden – und nach dem Debüt in der Versenkung verschwanden. Dahin gehören Glasvegas allerdings nicht. Auf ihrer ersten Tour durch Deutschland im Winter 2008 macht Bassist Paul Donoghue klar, dass Glasvegas einen großen Entwurf haben – und dass der nur einem Menschen zuzuschreiben ist: ihrem Frontmann James Allan.
Popblog: Welche Rolle spielt James Allan bei Glasvegas?
Paul Donoghue: Die größte, wahrscheinlich. Die meisten Songs auf dem Debüt existieren bereits seit einigen Jahren als Demos, den Rest hat James im Kopf. Er ist das Mastermind hinter Glasvegas. Und ich bin mir sicher, dass er bei den Studioaufnahmen nicht an die nächste Platte gedacht hat. Er wollte das Debüt so perfekt wie möglich. Deswegen hat es damit auch so lange gedauert. James brauchte diese Entwicklung, die Zuversicht. Und ein professionelles Studioequipment.
Ihr seit das erste mal auf Tour in Deutschland und heute abend in München zu Gast. Was sind die ersten Eindrücke?
Die Deutschen verstehen anscheinend, was wir machen. Die singen sogar mit schottischen Akzent, was mich auf der Bühne ungemein amüsiert. Gestern abend (Anm.: in Berlin) haben wir „Daddy’s Gone“ gespielt – da war es, als singe ein schottischer Chor im Publikum.
Das Jahr 2008 scheint wohl ein Glasvegas-Jahr zu sein…
…hoffentlich, es ist ja nur noch ein Monat übrig (lacht). Was mich wirklich glücklich macht ist die Tatsache, dass wir lange vor unserer Band Freunde waren und die ganzen Erfahrungen, die man als Band so macht, miteinander teilen können. Das macht die Kommunikation auf Tour auch so einfach. Wir sind Freunde, wir können uns ein „Fuck You“ an den Kopf werfen, und keiner ist beleidigt.
Glasvegas sind die perfekte Band für einen betrunkenen Heimweg, wusstest du das?
Oh, das kenne ich gut. Bei mir war das „Urban Hymns“ von The Verve. Speziell bei Glasvegas habe ich aber den Eindruck gewonnen, dass es nur zwei Arten von Reaktionen gibt: entweder die Leute sind ekstatisch und begeistert, oder es ist ihnen einfach völlig egal. Bei Konzerten sieht man das gut.
Haben euch die Reaktionen der Öffentlichkeit, vor allem aber auch der Medien, überrascht?
Wir waren sehr selbstsicher, was die Musik, die Band, die Songs betrifft. Uns hat vor allem überrascht, dass Fans so emotional auf Glasvegas reagieren. Das hätten wir nicht gedacht. Das schmeichelt uns, aber soetwas kann niemand ernsthaft planen oder erwarten.
Welche Rolle spielt dabei das Internet? Glasvegas wurden in Deutschland noch gar nicht veröffentlich, trotzdem spielt ihr vor ausverkauftem Haus.
Das Internet spielt natürlich eine große Rolle und ganz langsam wacht auch die Musikindustrie auf und bemerkt das ungeheuere Potenzial. Aber was Glasvegas betrifft: wir haben unsere Demos noch an Plattenfirmen verschickt. Und auf die alten Mechanismen gehofft. Aber ohne das Internet würde uns hier in Deutschland wahrscheinlich niemand kennen.
Es gibt ein schönes deutsches Wort für den Sound von Glasvegas: pathetisch. Im englischen ist das glaube ich lofty oder elevated. Trifft das den Kern?
Ich weiß, was du meinst. Ich habe das in einem sehr frühen Stadium gespürt. Schon bei den ersten Demos war mir klar, was James will und wo Glasvegas vom Sound her mal stehen werden.
Warum seit ihr für das Mini-Weihnachtsalbum nach Transylvanien? War das eine Geldfrage?
Oh nein, der Chor hätte auch in England nicht viel mehr gekostet. Außerdem hätten wir eine Bank ausgeraubt, nur um mal einen Chor auf ein paar Glasvegas Songs zu hören. Es ist vor allem James geschuldet, dass wir dort aufgenommen haben. Er wollte immer wissen, wie das Land aussieht, dass er in seinen Songs beschreibt (lacht). Wir saßen an einem Abend in einem Pub in Glasgow, zusammen mit einigen Leuten vom Label. Da hat James uns und die Plattenfirma überzeugt, den ganzen Krempel nach Transylvanien zu verfrachten. Dort haben wir neben den Aufnahmen natürlich auch den üblichen Vampir-Touri-Quatsch mitgemacht.
Was wird in Zukunft wichtiger sein: die Soundästhetik von Glasvegas zu erhalten oder sich neu zu orientieren?
Das musst du James fragen. Ich denke, wir haben schon mit dem Mini-Album neues ausprobiert. Die Balance zu finden ist natürlich schwierig und immens wichtig zugleich. Aber wer weiß schon, ob wir überhaupt noch ein zweites Album aufnehmen? Wir könnten schon morgen tot sein…
Interview: Robert Heldner
Ende Januar erscheint nun auch endlich in Deutschland das Debütalbum von Glasvegas, das in England nur durch Metallica vom Spitzenplatz der Albumcharts verdrängt wurde.
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