vonoliverkrueger 06.07.2017

Zeitlupe

Notizen zu Gesellschaft, Medien und Religion von Oliver Krüger, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Freiburg (Schweiz).

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Die neuerliche Debatte um die Aufrüstung Deutschlands birgt ein ungeheures Potential. Zur Vernichtung oder zu allgemeinen Wohltaten.

Warum immer so negativ? In der vergangenen Woche meldeten die Presseagenturen, dass die NATO-Staaten dem Ruf des unliebsamen US-Präsidenten bereitwillig gefolgt sind und ihre Militärbudgets kräftig erhöht haben. Gleichzeitig hat mit dem britischen Flugzeugträger Queen Elizabeth das größte und teuerste Kriegsschiff, das in Europa je gebaut wurde, sein Dock verlassen.  Kann man die Idee nicht mal durchspielen und sich unvoreingenommen ausmalen, wie es denn wäre, wenn auch das ökonomisch stärkste Land Europas 2% seiner Wirtschaftsleistung für die Rüstung ausgeben würde? Wenn Deutschland seinen heutigen Wehretat von ca. 41 Milliarden $ auf über 70 Milliarden $ aufstocken würde?

Dann würden nicht nur Hubschrauber wieder fliegen und die Kameraden auf ihren Stuben W-LAN erhalten – nein, dann könnten wir wieder ganz große Träume zur Realität werden lassen. Unsere NATO-Freunde mit ihren bescheidenen Ausgaben – wie die 56 Milliarden $ in Frankreich und 48 Milliarden $ in Großbritannien – würden wir schnell hinter uns lassen. Die deutsche Luftwaffe, das Heer und erst recht die Marine sind im Vergleich zu unseren Nachbarn im Moment sehr „übersichtlich“. Eine Flotte von strategischen und taktischen Tarnkappenbombern (Stückpreis 880 bzw. 120 Millionen $) muss kein Hirngespinst bleiben. Das Heer könnte innerhalb von zehn Jahren die Zahl der Kampfpanzer auf 1000 Stück verdreifachen, was nur um die 5 Milliarden $ in Anspruch nehmen würde.

Und schließlich könnten wir mit einem Rüstungsvorsprung von jährlich ca. 20 Milliarden $ der Marine einige Filetstücke gönnen. Deutsche lieben ihre U-Boote und wieso sollte man von der vielgerühmten, leisesten U-Boot-Klasse 212A nur die 8 geplanten Modelle zu Wasser lassen? Bei einem Stückpreis von ca. 530 Millionen $ sind 20 bis 30 Exemplare innerhalb des kommenden Jahrzehnts machbar. Die unverzichtbare Krönung des gesamten Rüstungsprogrammes wären dann natürlich ein paar hübsche Flugzeugträger. Die Vollendung des ersten deutschen Flugzeugträgers, der Graf Zeppelin, musste ja leider 1943 eingestellt werden. Selbst solche militärischen Kronjuwelen könnten wir uns leisten, die Royal Navy veranschlagt zurzeit ca. 6,5 Milliarden $ für die Produktion von zwei Flugzeugträgern der neuen Queen-Elizabeth-Klasse. Ach, Kaiser Wilhelm II. würde sich vor Freude in seiner Gruft in die Hände klatschen ob der sich anbahnenden Möglichkeiten für die deutsche Aufrüstung.

Und müssten wir angesichts der militärischen Bedeutung, die Deutschland in Europa und der Welt dann wieder innehaben würde, nicht auch ein kleines aber feines Atomprogramm in Erwägung ziehen? Die Abhängigkeit vom atomaren Gutdünken eines amerikanischen Präsidenten ist doch langfristig unerträglich. Inklusive der dann notwendigen Entwicklung von Mittel- und Langstreckenraketen könnte man hier ca. 2 Milliarden $ jährlich uranisch verpulvern. Schöne neue Welt! Unsere europäischen Nachbarn im Osten, Westen, Süden und Norden werden uns dafür bewundern und lieben. Oder nicht?


Wenn der Gedanke von Aldous Huxley wahr ist, dass das einzige, was man aus der Geschichte der Menschen lerne, sei, dass sie nichts aus ihrer Geschichte lernten, dann wird sich kaum noch jemand an den Weltenbrand erinnern, der vor genau 100 Jahren Europa und seine Kolonien erfasste. 1917 fielen Hundertausende dem Völkerschlachten in Flandern zum Opfer. Diesem bis dato schrecklichsten aller Kriege, der ca. 17 Millionen Menschenleben forderte, ging ein jahrzehntelanges Wettrüsten voraus. Der spätere Mythos des Kalten Krieges, Frieden durch Aufrüstung bis hin zum Overkill zu schaffen, gehört ins Reich der Märchen. Eine geringfügige Fehleinschätzung z.B. durch John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow während der Kuba-Krise 1962 hätte das Ende der Menschheit bedeutet.

In der ungleich komplexeren Weltlage, in der wir uns heute befinden, verliert die „Logik“ des Wettrüstens ohnehin jegliche Plausibilität. Dass man Terrorismus nicht mit roher Gewalt, heute also durch willkürliche Exekutionen mittels himmlischer Drohnen, bekämpfen kann, die bisweilen die Auslöschung ganzer Familien des unliebsamen Gegenspielers als Kollateralschaden in Kauf nehmen, können wir bereits aus den europäischen Konflikten in Nordirland und dem Baskenland lernen. Extremismus gehorcht dabei einer ganz eigenen Dynamik: Diese benötigt stets zwei Gegenpole, die ihre extremen Positionen wechselseitig legitimieren und stets weiter hochschaukeln.

Statt den Mythos des Kalten Krieges zu zelebrieren, bieten sich gänzlich anders gelagerte Legenden der südostasiatischen Völker Indonesiens, Malaysias und der Philippinen an, die uns vor den Waffen (und ihrer „Logik“) warnen. In diesen Mythen besteht die Vorstellung eines machtvollen Dolches, dem Kris. Verleiht diese Waffe den mythischen Helden bisweilen Unbesiegbarkeit, so verfügt der Dolch allerdings auch über eine ihm eigene Macht: Hat er die Scheide verlassen, so muss er töten. Sein Träger verliert im schlimmsten Fall vollkommen die Kontrolle über den Kris, kann Freund und Feind, Mutter und Tochter, im Blutrausch nicht mehr unterscheiden, läuft „Amok“ (malaiisch für „wütend“ / „rasend“). Stefan Zweig hat dieses Motiv in seiner Novelle Der Amokläufer (1922) anschaulich verarbeitet.

Deshalb gibt es keine unschuldigen Gedankenspiele zur militärischen Aufrüstung. Früher oder später fordern Waffen ihren Blutzoll. Immer. Das lehrt uns die menschliche Geschichte. Der reale Krieg ist und bleibt die ultimative Legitimation allen militärischen Kräftemessens. Und so fern die Getöteten der Anderen für den Drohnenführer am Joystick wie den heimischen Fernsehzuschauer sein werden, so gering auch die eigenen „Verluste“ an Menschenleben erscheinen mögen – es gibt nichts zu gewinnen. Das Wort Gandhis behält seine Gültigkeit: „Ich widerstehe der Gewalt, denn wann immer sie vorgibt, Gutes zu tun, wird das Gute nur zeitweilig sein. Das Unheil aber, das sie anrichtet, wird dauerhaft sein.“

Sollte sich die deutsche Bundesregierung tatsächlich dazu entschließen, den Militärhaushalt jährlich um ca. 30 Milliarden $ zu erhöhen, so wird sich jedes Milchmädchen ausrechnen können, dass dieser Betrag an anderer Stelle fehlen wird. Was muss man sich überhaupt unter solch einer Summe vorstellen? Nach Schätzungen des IWF haben 90 Staaten im Jahr 2016 noch nicht einmal ein Bruttoinlandsprodukt (!) in diesem Umfang erwirtschaftet. Allein die Kosten für einen einzigen Flugzeugträger würden den Staatshaushalt zahlreicher afrikanischer Staaten noch um ein Vielfaches übertreffen.

Es ist klar, dass dieser immense Betrag soziale Probleme in Deutschland selbst entschärfen könnte: Von der drohenden Altersarmut, über die Unterfinanzierung der Pflegeversicherung bis hin zur besseren Förderung der Energiewende sowie von Schulen und Hochschulen wären viele Wohltaten denkbar, die breiten Bevölkerungsschichten zu Gute kommen könnten. Außenpolitisch würde sich eine konsequente Investition in die Bekämpfung der strukturellen Ursachen von Flucht, Armut und Konflikten auf vielen Ebenen auszahlen. Wie viele Schulen hat Deutschland in Afghanistan gebaut?

Eine umfangreiche militärische Aufrüstung würde daher nicht nur eine ungeheure Verschwendung von Steuergeldern bedeuten, sondern den Zielen der Stabilität, der Sicherheit und des allgemeinen Wohlstandes in der heutigen Welt zuwiderlaufen. Es ist kein Zufall, dass diejenigen Länder mit den höchsten Militärausgaben gleichzeitig unter den stärksten Ausprägungen sozialer Ungleichheit sowie einem schlechten Bildungs- und Gesundheitssystem leiden. Auf der anderen Seite zählen Staaten wie die Schweiz, die ihren letzten Krieg – mit 86 Toten (!) – vor genau 170 Jahren führte, zu den wohlhabendsten und glücklichsten der Welt.

Worum es also heute geht, bringt John F. Kennedy auf den Punkt: „Die heutige Zeit ist außergewöhnlich. In seinen sterblichen Händen hält der Mensch nun die Macht, alle Formen von Armut zu vernichten oder alle Formen des menschlichen Lebens.“

 

Bildnachweis: Flugzeugträger Queen Elizabeth. Open Government License, Ministry of Defense.

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