vonoliverkrueger 24.09.2017

Zeitlupe

Notizen zu Gesellschaft, Medien und Religion von Oliver Krüger, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Freiburg (Schweiz).

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Es gibt Momente, da läuft mir ein kaltes Schaudern durch den Körper. Einer dieser Momente war im Juli 2015, als ich bei meinen sehr seltenen TV-Streifzügen die CSU-Politikerin und Strauß-Tochter Monika Hohlmeier bei Anne Will über Flüchtlinge reden hörte (29.7.2015). Nicht so sehr, was sie inhaltlich sagte, ließ mich erstaunen – vieles war erwartbar und entsprach der üblichen dramaturgischen Rollenverteilung dieser inszenierten Gesprächsrunden. Vielmehr erschütterte mich, dass sie das Motiv des „echten Volkszorns“ in die Diskussion einführte – natürlich um die Gewalt gegen Flüchtlinge zu relativieren. Niemand in der Gesprächsrunde reagierte darauf besonders.

Seitdem begleitet mich dieses Erschaudern vor der rechten Sprache, die offenbar mal lauter und mal leiser, jedoch stetig wieder salonfähig wird. Frauke Petrys Plädoyer für eine Rehabilitierung des Begriffes „völkisch“ gehört ebenso dazu. Mit dem heutigen Tag müssen wir uns darauf einstellen, dass diese bewussten Tabubrüche, Provokationen und Umdeutungen faschistischer Sprache zusammen mit mehreren Dutzend Abgeordneten der AfD und anderer Einzug in den 19. Deutschen Bundestag halten werden.

Meine Sensibilität ist nicht nur der allgemeinen Einsicht geschuldet, wie sehr Sprache unsere soziale Wirklichkeit konstruiert. Bewegt und sensibilisiert haben mich vor allem Victor Klemperers Tagebücher. Klemperer war ab 1920 Professor für Romanistik an der Technischen Hochschule Dresden und wurde aufgrund der Rassengesetze der Nationalsozialisten 1935 aus seinem Amt entfernt. Nur sehr knapp kann er die faschistische Zeit aufgrund des – wie er es beschreibt – „stillen Heldentums seiner arischen Ehefrau Eva” überleben. Sein geistiger Lebensanker wird zunehmend das Projekt der Dokumentation der sich wandelnden politischen und Alltagssprache, der Lingua Tertii Imperii (LTI):

„Ich beobachtete immer genauer, wie die Arbeiter in der Fabrik redeten, und wie die Gestapobestien sprachen, und wie man sich bei uns im Zoologischen Garten der Judenkäfige ausdrückte. Es waren keine großen Unterschiede zu merken; nein, eigentlich überhaupt keine. Fraglos waren alle, Anhänger und Gegner, Nutznießer und Opfer, von denselben Vorbildern geleitet.“ (LTI, S. 22).

Wo stehen wir heute? Anders als aufsehenerregende Ereignisse schleicht sich Sprache kaum bemerkbar in unseren Alltag ein. Der „Volkszorn“, von einer CSU-Politikerin eingeflüstert in eine populäre Talkshow, erregt kein Aufsehen. Dabei ist gerade die Verbindung von Volk und Zorn das Amalgam rechtsextremer und rechtspopulistischer Ideologie.

Der Begriff des „Volkes“ ist eine organische Überhöhung der Nation. Zum „Volk“ gehört man durch Blutsbande. Man kann aus dieser Sicht nicht durch einen amtlichen Prozess, qua Einbürgerung, Teil dieses „Volkes“ werden. Das „Volk“ wird zudem stets als homogene Einheit betrachtet. Es gibt keine Differenzen und Ambivalenzen, gar Parteiflügel, nur den einzigen „Volkswillen“, der im Nationalsozialismus als identisch mit dem „Willen des Führers“ definiert wird. Wer sich diesem „Volkswillen“ nicht beugt, gehört nach dieser Logik entweder rassisch nicht zu diesem „Volk“ oder er ist ein „Volksverräter“ – ein zentraler Begriff im Vokabular des Präsidenten des nationalsozialistischen Volksgerichtshofes, Roland Freisler, der eigens und unter Umgehung etablierter rechtsstaatlicher Normen 1934 zur Verfolgung „volksverräterischer“ Handlungen eingerichtet wurde. 2016 wurde „Volksverräter“ aus aktuellem Anlass zum Unwort des Jahres gewählt. Im heutigen Rechtspopulismus verbindet sich mit diesem „völkischen“ Begriffsapparat die Kritik „des Volkes“ an der vermeintlichen „Elite“.

Der Begriff des „Zorns“ ist seit dem Kirchenlehrer Laktanz (4. Jhd.) tief in der Geschichte des Christentums verwurzelt. Der Zorn Gottes – ira dei – sei unbändig und zerstörerisch und bilde die Grundlage der für den Glauben notwendigen Gottesfurcht. Dieser Zorn braucht keine Legitimation, er kann nicht hinterfragt werden, er ist Teil der göttlichen Allmacht. Der Zorn Gottes impliziert stets eine Schuld der Menschen.

Im Nationalsozialismus wird der „Zorn“ säkularisiert. Die organisierten Pogrome des 8. November 1938, bei denen mehr als 400 jüdische Mitbürger ermordet oder in den Selbstmord getrieben wurden, werden von der NS-Propaganda als spontane Reaktion des „Volkszorns“ präsentiert. So schreibt Goebbels in sein Tagebuch:

„Ich gehe zum Parteiempfang im alten Rathaus. Riesenbetrieb. Ich trage dem Führer die Angelegenheit vor. Er bestimmt: Demonstrationen weiterlaufen lassen. Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu verspüren bekommen. Das ist richtig. Ich gebe gleich entsprechende Anweisungen an Polizei und Partei. Dann rede ich kurz dementsprechend vor der Parteiführerschaft. Stürmischer Beifall. Alles saust gleich an die Telephone. Nun wird das Volk handeln … Aus dem ganzen Reich laufen nun die Meldungen ein: 50, dann 75 Synagogen brennen. Der Führer hat angeordnet, daß 20 – 30 000 Juden sofort zu verhaften sind. Das wird ziehen. Sie sollen sehen, daß nun das Maß unserer Geduld erschöpft ist . . . In Berlin brennen 5, dann 15 Synagogen ab. Jetzt rast der Volkszorn . . . Laufen lassen . . .“

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Daher gibt es keine innocence, wenn heute der Begriff „Volkszorn“ verwendet wird. Der englische Terminus innocence umfasst die beiden Aspekte der Unschuld und Unwissenheit besser als entsprechende deutsche Begriffe. Wer „Volkszorn“ in den politischen Diskurs einführt, relativiert und legitimiert das, was dieser „Volkszorn“ anrichtet. Damit besteht „Volkszorn“ auch stets als Drohung eines Vergeltungsrechtes, das jenseits rechtstaatlicher Ordnung existieren darf.

Die Namenswahl der wichtigen Neonazi-Band Volkszorn aus den 1990ern und frühen 2000ern ist daher nicht zufällig. Ihre Alben Im Namen des Volkes, Der ewige Jude, Skinheads, Blut und Ehre u.a. sind incl. hetzerischer Coverbilder zu meiner Überraschung fröhlich über YouTube abrufbar. Der politische „Volkszorn“ lebt von dieser Empörungsbewirtschaftung, da die Erfahrungen des Einzelnen eigentlich kaum den Grad eines gewalttätigen Wutausbruches erreichen. YouTube oder die durch massenhaften Einsatz von Social-Bots gesteuerten Facebookgruppen der AfD illustrieren dies.

Leider geht die Logik von Zorn und Vergeltung weit über die Grenzen deutscher Rechtsextremer hinaus und sie wird überall dort spürbar, wo Hass und Ausgrenzung den politischen Diskurs bestimmen, wo Mauern statt Brücken gebaut werden. Sie entspricht auch einem bestimmten Spektrum des auf Drama und Eskalation angelegten Medienbetriebes. Die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum hat sich in ihrem Buch Zorn und Vergebung: Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit (2017) für einen Bruch mit dieser über Jahrtausende gepflegten Vergeltungslogik ausgesprochen. Mit Vernunft allein sei Politik hilflos gegenüber diesem Denken. Mitgefühl müsse der Ausgangspunkt von jedem Streben nach Gerechtigkeit werden – oder wie es der Dalai Lama ausdrückt: „Love and compassion are necessities, not luxuries. Without them humanity cannot survive.”

 

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Literatur:

Ralf Georg Reuth (Hrsg.): Joseph Goebbels. Die Tagebücher 1924–1945. 5 Bände, Piper, München und Zürich 1992. Auszüge auf Spiegel.de

Victor Klemperer: „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ Tagebücher 1933–1945. Aufbau, Berlin 1995

Victor Klemperer: LTI. Reclam-Verlag, Stuttgart 2010

Laktanz: De ira Dei liber. Herausgegeben und eingeleitet von Heinrich Kraft und Antonie Wlosok. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1971

Martha Nussbaum: Zorn und Vergebung: Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit. Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, Darmstadt 2017

 

Bildnachweis

Brennende Synagoge von Hannover, 10.11.1938

http://www.erinnerungundzukunft.de/?id=79

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https://blogs.taz.de/zeitlupe/2017/09/24/volkszorn-ein-blick-in-die-geschichte-der-vergeltungslogik/

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