vonoliverkrueger 26.04.2025

Zeitlupe

Notizen zu Gesellschaft, Medien und Religion von Oliver Krüger, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Freiburg (Schweiz).

Mehr über diesen Blog

Der Krieg beginnt nicht mit dem ersten Schuss. Er beginnt mit dem ersten Satz eines Aggressors, der ihn rechtfertigt. „Man müsse sich verteidigen“, heißt es. „Man habe keine Wahl“, sagt man. „Die anderen haben angefangen“, sagt man. Immer sagt man etwas. Und immer ist es falsch.

Und nichts ist falscher als den Krieg als eine Art „erweiterten Zweikampf“ zu verstehen, wie es von Clausewitz suggerierte: ein Kampf von Mann gegen Mann – ein Sieger, ein Verlierer.

Diese tribalistische und patriarchale Erzählung erweist sich über die Jahrtausende als äußerst erfolgreich. Schon Pharao Ramses II. verklärte den für ihn desaströsen Ausgang der Schlacht von Kadesch gegen die längst vergessenen Hethiter zu seinem glorreichen Sieg. Andere propagandistische Meister wie Julius Cäsar und Napoleon Bonaparte folgten kundig diesem Drehbuch. Was in der Geschichte bleibt, ist der Ruhm großer Schlachtensieger und Feldherren.

Sie stehen auf Trümmerhaufen und stemmen ihre Fahne. Darunter: Blut, Staub, Schweigen, Tod.

Die Opfer? Sie haben keine Fahne. Keinen Ruhm. Nur Namen und Gräber. Und oft nicht einmal dies. Ihre Namen vergisst man schnell. Die Gräber werden überbaut.

Die Sieger? Sie sind oft selbst am Ende besiegt – von dem, was sie getan und gesehen haben. Ein zerbombtes Dorf, ein verbranntes Kind, eine geschundene Frau, ein entstellter Freund, der nicht mehr spricht.

Es gibt keine Sieger im Krieg. Nur Überlebende.

Doch gibt es durchaus jene, die am Krieg gewinnen. Von plündernden Soldaten bis zur Kriegsindustrie. Der Krieg gegen das Außen verläuft auch stets parallel zu dem im Innern, der die potentiellen Gegner unter dem Verdacht der „Kollaboration mit dem Feind“ entmachtet oder gar ermordet. Und aus dem Grabe der Geschichte erwacht im Krieg seit alten Zeiten die heroische Männlichkeit wieder zu neuem Leben.

Gibt es keine Sieger im Kriege, so gibt es dennoch Verlierer. Ganze Völker wurden versklavt oder ausgerottet. Wer keine Mittel zur Flucht hat, zahlt mit dem Leben, mit der Freiheit, mit der Zukunft der Kinder. Bezahlt wird meist für Männer in feinen Anzügen, die selbst nicht kämpfen und doch über Krieg und Frieden entscheiden.

Der Krieg kennt keine Helden. Nur Menschen, die töten, und Menschen, die sterben. Im Glauben an die grenzenlose Macht über andere ruft er die tiefsten Abgründe der Gleichgültigkeit und des Sadismus im Menschen hervor.

Er kennt kein Mitgefühl. Nur Hunger, Not und Angst.
Er kennt keine Wahrheit. Nur die Propaganda des Sieges.

Der Krieg ist nicht das Problem eines Landes, einer Zeit oder eines politischen Regimes.

Er ist das Problem der gesamten Geschichte der Menschheit.
Solange der Mensch glaubt, man könne ihn „gewinnen“, wird er ihn führen.
Und solange er ihn führt, verliert er alles, was ihn als Menschen ausmacht.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/zeitlupe/2025/04/26/niemand-gewinnt-einen-krieg-der-rest-ist-propaganda/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert