vonoliverkrueger 11.03.2022

Zeitlupe

Notizen zu Gesellschaft, Medien und Religion von Oliver Krüger, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Freiburg (Schweiz).

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Der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine ist durch keinerlei Verteidigungsrhetorik zu rechtfertigen. Der Angriff erzeugt unendliches Leid für Männer, Frauen und Kinder in der Ukraine aber auch für die vielen jungen russischen Soldaten, die von einem Diktator in einen sinnlosen Krieg gesendet werden, den sie nicht wollen, nicht verstehen und noch nicht einmal als solchen bezeichnen dürfen.

Gleichzeig wird deutlich, dass sich jeder äußere Krieg immer auch gegen die „inneren Feinde“ richtet – das Ausmaß an Zensur und politischer Verfolgung ist beispiellos in der jüngeren Geschichte der russischen Föderation. Der Krieg wird im Innern zur Machtkonsolodierung und der Etablierung einer extrem restriktiven Diktatur nach nordkoreanischem Vorbild genutzt. Das Drehbuch dieser Politik scheint auf George Orwells Roman 1984 zu beruhen, befeuert vom Geltungsdrang eines alternden Regenten, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiern und gleichzeitig das 100. Gründungsjahr der Sowjetunion begehen wird.

Es gehört zu den traurigen Wahrheiten, dass wir – wie schon so oft in all den Jahrhunderten zuvor – in einer Welt aufwachen, in der ein einzelner Potentat ohne äußeren Zwang einen territorialen Eroberungskrieg vom Zaun brechen kann. Es wird zur Zeit viel darüber spekuliert, ob man Putin seitens der Europäischen Union und Deutschlands in den vergangenen 22 Jahren hätte anders begegnen sollen, inklusiver oder konfrontativer. Diese retrospektiven Hoffnungen auf einen Putin, der in einem imaginären Paralleluniversum tatsächlich ein friedvoller, „lupenreiner Demokrat“ geworden wäre, sind jedoch müßig und ignorieren zudem die lange Liste von expansionistischen Kriegen und Interventionen während seiner zunehmend autokratischen Herrschaft (Tschetschenien, Georgien, die Krim, Syrien bzw. Belarus und Kasachstan) sowie die Morde an regimekritischen Journalisten und Polititikern.

Vor diesem Hintergrund ist es angemessen, die Bundeswehr wieder nach ihrem verfassungsmäßigen Auftrag der Landesverteidigung auszurichten und entsprechend auszustatten (Grundgesetz Art. 87a). Der spontane Reflex von Olaf Scholz, den Wehretat anzuheben, ist daher durchaus nachvollziehbar und war als politisches Signal wichtig.

Auf den zweiten Blick stellen sich jedoch einige grundsätzliche Fragen. Im internationalen Ranking der Ausgaben für die Verteidigung befindet sich die Bundeswehr mit 46,93 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf Rang 7, in etwa vergleichbar mit den Budgets von Frankreich und Großbritannien. Wieso das deutsche Heer, die Luftwaffe und die Marine bei diesem bereits üppigen Budget „mehr oder weniger blank dastehen“, wie der Heeresinspekteur, Alfons Mais, kürzlich lamentierte, ist erklärungsbedürftig und verweist offensichtlich auf strukturelle Mängel, die auch nicht einfach durch spendable Finanzspritzen behoben werden.

Wenn Deutschland tatsächlich das 2%-Ziel an Militärausgaben erreichen und sogar übertreffen sollte, sprechen wir hier von Ausgaben von über 70 Milliarden Euro jährlich, womit es nach den Vereinigten Staaten und China das weltweit drittgrößte Militärbudget hätte.

Wollen wir das? Ist das notwendig?

Militärisch zeigen eigentlich die Kriege in Afghanistan und offenbar auch aktuell in der Ukraine, dass konventionelle Waffensysteme wie Panzer und Jagdbomber mit ihren extrem hohen Anschaffungs- und Wartungskosten kaum zu taktischen Vorteilen führen, viele zivile Opfer bedingen und durch günstige MANPADS und Drohnen in Schach gehalten werden können. Die Lektüre von Stanisław Lems Waffensysteme des 21. Jahrhunderts wäre jedem heutigen Militär dringend zu empfehlen.

Geostrategisch zeigt sich, dass die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern jede wirtschaftliche Sanktionspolitik an ihre Grenzen führt. Eine progressive Wirtschafts- und Energiepolitik wäre im Endeffekt wohl wirkungsvoller als eine Flotte von Flugzeugträgern (und all diejenigen, die in diesem Zusammenhang von einer Renaissance der Atomkraft träumen, sollten sich bewusst sein, dass wir hier ebenfalls vollständig von Uran-Importen abhängen und auch dieser Rohstoff endlich ist).

Es wird auch viel darüber spekuliert, wie man Putin nun einen Weg aus dem kriegerischen Morden aufzeigen kann, das er allein zu verantworten hat. Dies ist ein schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen. Allerdings sollten gleichzeitig dem demokratisch gesinnten Teil der russischen Gesellschaft Perspektiven für die europäische Integration aufgezeigt werden. Der Weg zu Versöhnung und Verständigung wird nach den Verwerfungen des aktuellen Kriegsgeschehens lang und steinig sein. Aber dies ist selbst den “Erbfeinden” Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen.

Nur bedingt können sich Putin oder gar Russland auf lange Sicht an die Volksrepublik China als engsten Partner binden. Denn wenn China das gleiche Geschichtsbewusstsein wie der russische Präsident an den Tag legen würde, dann gehört Russland neben den USA, Großbritannien, Frankreich und Japan zu den fünf Imperialmächten, die nach dem zweiten Opiumkrieg (1856-1860) von der Schwäche Chinas profitierten. In den „ungleichen Verträgen” musste China diesen Handelsprivilegien und Gebietsabtretungen einräumen. Diese Demütigung durch die europäischen Mächte ist gerade für Präsident Xi Jinping eines der Hauptargumente, um Chinas enorme militärische Aufrüstung zu legitimieren.

Die weitläufigen russischen Landgewinne in der Mandschurei sind sogar die einzigen Kolonialgebiete, die bis heute nicht an China zurückgegeben wurden. Dieser Umstand geht sicherlich auf die enge Beziehung der UDSSR zur Kommunistischen Partei Chinas während des Bürgerkriegs von 1927-1949 und der Gründungsphase des Staates zurück. Formell wurden bestehende Grenzkonflikte erst 2008 abschließend geregelt. Aber ganz ähnlich wie Putin befördert auch Xi Jinping ein revisionistisches Geschichtsbild, das von der Wiederherstellung eines „großen China“ der Vergangenheit träumt. Geopolitisch birgt eine dauerhafte Allianz mit China daher einige Risiken für den wirtschaftlichen Juniorpartner Russland.

Viel wird im Augenblick über einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine diskutiert. Die sicherheitspolitische Problemlage lässt sich jedoch nur entspannen, wenn auch Russland Perspektiven für eine europäische Integration eröffnet werden. Für einen dauerhaften Frieden sind Aussichten für beide Länder essentiell. Es ist klar, dass ich hiermit auf ein demokratisches Russland nach dem diktatorischen Putin blicke – erst dann werden vertrauensvolle politische Beziehungen wieder möglich sein.

Russland ist ein Teil Europas und die nationalistische Rethorik verfängt in der jungen Generation von Europäerinnen und Europäern beiderseits der Grenzen nicht mehr. Laut einer Umfrage von 2021 erwägen fast 50% der jungen Russinnen und Russen, das Land wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und politischen Repressionen zu verlassen. Mehrere 100.000 akademische Auswanderer setzten diese Pläne in den vergangenen Jahren bereits um.

Es gilt allerdings auch für uns, nicht der Block-Logik des kalten Krieges zu verfallen und sich in einer erneuten Spirale der verbalen und militärischen Aufrüstung wiederzufinden (so sehr sich das die Aktionäre von Rheinmetall auch wünschen mögen).

Will man heute die demokratischen und putinkritischen Kräfte in Russland stärken, so müssen auch für Russland konstruktive Zukunftsperspektiven aufgezeigt werden. Gibt es im Frieden mit Europa nichts zu gewinnen, so werden die Ambitionen für einen demokratischen Wandel Russlands auch nach der Ära Putin im Getöse nationalistischer Propaganda verhallen.

 

Bildnachweis: Battle of Konotop, 26.2.2022, by ZomBear Wiki-Commons

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